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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Silberarbeitern bewohnt. Ehe man hinkommt, reißt
man hie und da an Waldungen vorbei. Aussen vor
der Stadt werden viele neue Häuser gebaut, wodurch
sie sehr verschönert wird. Da fängt auch das herrliche
Ramsthal an, das von einem Flüßchen den Namen
hat. Unbeschreiblich schön sind diese Gegenden. Zur
rechten Hand steigen immer die schönsten Weinberge in
die Höhe, und linker Hand sind Wiesen, Felder, und
das Wasser darzwischen, das alles belebt und erfrischt.
An eben dem Tage, da ich dies herrliche Land durch-
streifte, war die Weinlese angegangen, und auch der
Fremde kan bei der Höflichkeit und allgemeinen Mun-
terkeit der Einwohner an diesen Freuden Theil nehmen.
Ich fand da unter andern auch eine rothe Cläfner
Traube,
die einige weisse und doch zeitige süsse Beeren
zwischen ihren übrigen rothen hatte. Vermuthlich ist
bei dem ungleichen Blühen, worüber man dieses Jahr
geklaget hat, Blumenstaub von einer gemeinen weissen
Cläfner Traube herübergeflogen. Der Weg führ-
te mich durch Lorch, wo eine reiche Abtei ist, wovon
der jedesmalige Kanzler in Tübingen, Abt ist. Aus-
ser seiner Weinbesoldung hat dieser Prälat noch, ver-
möge alter Stiftungen, 24. Eimer Würtembergischen
Wein unter dem Namen Schlaftrunk, womit er, wie
man sagt, ehemals den Gesandten oder andern vorneh-
men Personen, die da über Nacht blieben, die Zunge
lösen, und Geheimnisse ablocken sollte. Ich dachte an
das, was Pope sagt:

"Abteien im Schatten der Weinstöcke, wo
"die Aebte des Nachts roth, wie ihre Weine,
"schimmern!"

Schorn-

Silberarbeitern bewohnt. Ehe man hinkommt, reißt
man hie und da an Waldungen vorbei. Auſſen vor
der Stadt werden viele neue Haͤuſer gebaut, wodurch
ſie ſehr verſchoͤnert wird. Da faͤngt auch das herrliche
Ramsthal an, das von einem Fluͤßchen den Namen
hat. Unbeſchreiblich ſchoͤn ſind dieſe Gegenden. Zur
rechten Hand ſteigen immer die ſchoͤnſten Weinberge in
die Hoͤhe, und linker Hand ſind Wieſen, Felder, und
das Waſſer darzwiſchen, das alles belebt und erfriſcht.
An eben dem Tage, da ich dies herrliche Land durch-
ſtreifte, war die Weinleſe angegangen, und auch der
Fremde kan bei der Hoͤflichkeit und allgemeinen Mun-
terkeit der Einwohner an dieſen Freuden Theil nehmen.
Ich fand da unter andern auch eine rothe Claͤfner
Traube,
die einige weiſſe und doch zeitige ſuͤſſe Beeren
zwiſchen ihren uͤbrigen rothen hatte. Vermuthlich iſt
bei dem ungleichen Bluͤhen, woruͤber man dieſes Jahr
geklaget hat, Blumenſtaub von einer gemeinen weiſſen
Claͤfner Traube heruͤbergeflogen. Der Weg fuͤhr-
te mich durch Lorch, wo eine reiche Abtei iſt, wovon
der jedesmalige Kanzler in Tuͤbingen, Abt iſt. Auſ-
ſer ſeiner Weinbeſoldung hat dieſer Praͤlat noch, ver-
moͤge alter Stiftungen, 24. Eimer Wuͤrtembergiſchen
Wein unter dem Namen Schlaftrunk, womit er, wie
man ſagt, ehemals den Geſandten oder andern vorneh-
men Perſonen, die da uͤber Nacht blieben, die Zunge
loͤſen, und Geheimniſſe ablocken ſollte. Ich dachte an
das, was Pope ſagt:

„Abteien im Schatten der Weinſtoͤcke, wo
„die Aebte des Nachts roth, wie ihre Weine,
„ſchimmern!“

Schorn-
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[58/0096] Silberarbeitern bewohnt. Ehe man hinkommt, reißt man hie und da an Waldungen vorbei. Auſſen vor der Stadt werden viele neue Haͤuſer gebaut, wodurch ſie ſehr verſchoͤnert wird. Da faͤngt auch das herrliche Ramsthal an, das von einem Fluͤßchen den Namen hat. Unbeſchreiblich ſchoͤn ſind dieſe Gegenden. Zur rechten Hand ſteigen immer die ſchoͤnſten Weinberge in die Hoͤhe, und linker Hand ſind Wieſen, Felder, und das Waſſer darzwiſchen, das alles belebt und erfriſcht. An eben dem Tage, da ich dies herrliche Land durch- ſtreifte, war die Weinleſe angegangen, und auch der Fremde kan bei der Hoͤflichkeit und allgemeinen Mun- terkeit der Einwohner an dieſen Freuden Theil nehmen. Ich fand da unter andern auch eine rothe Claͤfner Traube, die einige weiſſe und doch zeitige ſuͤſſe Beeren zwiſchen ihren uͤbrigen rothen hatte. Vermuthlich iſt bei dem ungleichen Bluͤhen, woruͤber man dieſes Jahr geklaget hat, Blumenſtaub von einer gemeinen weiſſen Claͤfner Traube heruͤbergeflogen. Der Weg fuͤhr- te mich durch Lorch, wo eine reiche Abtei iſt, wovon der jedesmalige Kanzler in Tuͤbingen, Abt iſt. Auſ- ſer ſeiner Weinbeſoldung hat dieſer Praͤlat noch, ver- moͤge alter Stiftungen, 24. Eimer Wuͤrtembergiſchen Wein unter dem Namen Schlaftrunk, womit er, wie man ſagt, ehemals den Geſandten oder andern vorneh- men Perſonen, die da uͤber Nacht blieben, die Zunge loͤſen, und Geheimniſſe ablocken ſollte. Ich dachte an das, was Pope ſagt: „Abteien im Schatten der Weinſtoͤcke, wo „die Aebte des Nachts roth, wie ihre Weine, „ſchimmern!“ Schorn-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/96>, abgerufen am 29.03.2024.