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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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viele vornehme Leute hier sind, die kein Kupfer bei sich
tragen; so ist das Betteln, wie man aus Erfahrung weis,
ein gutes und einträgliches Handwerk. Mancher bet-
telt bald des Tags 2 -- 3. Gulden zusammen. Auf die
Stube kamen viele zu mir, die im Staat bettelten,
vacirende Kanzelisten, Sekretärs, ein Baron v. Gries-
heim
aus Anspach, Leute, die ehemals beim Grafen
Hodiz in Roswalde in Schlesien in Diensten waren.
Einige gaben vor, sie wollten wieder ins Reich reisen,
andre wollten mich in Berlin gesehen haben etc.

Unter der verstorbenen Kaiserin war zwischen der
Stadt und den Vorstädten eine sehr beschwerliche Sperr.
Wer nach den festgesetzten Stunden zu Fuß kam, mußte
1. Kreuzer, und der im Fiakre für sich, den Kerl und
jedes Pferd 3. Kreuzer bezahlen. Das hinderte die Ge-
meinschaft zwischen der Stadt und den Vorstädten, son-
derlich mit den Arbeitsleuten. Es soll nach Abzug der
Beamten etwa jährlich 80000. Gulden eingetragen ha-
ben. Der jetzige Kaiser hobs auf; man mußte immer
lange am Thore warten.

Den 16ten Mai.

Nachdem wir kaum einige Tage Wärme gehabt hat-
ten, windete und stürmte es heute schon wieder; die
Vorbereitung der Natur zum Regenwetter war schon wie-
der mit Kälte verbunden.

Hr. Löschenkohl zeichnete mich heute vollends aus,
und bemerkte dabei, daß es ein Fehler sei, wenn die
Maler allen Köpfen einerlei Ohr zeichnen. Es sei
ein grosser Unterschied in der Höhe, Tiefe, Breite und
Weite der Muschel. Jeder Mensch habe auch hier seine

eigene

viele vornehme Leute hier ſind, die kein Kupfer bei ſich
tragen; ſo iſt das Betteln, wie man aus Erfahrung weis,
ein gutes und eintraͤgliches Handwerk. Mancher bet-
telt bald des Tags 2 — 3. Gulden zuſammen. Auf die
Stube kamen viele zu mir, die im Staat bettelten,
vacirende Kanzeliſten, Sekretaͤrs, ein Baron v. Gries-
heim
aus Anſpach, Leute, die ehemals beim Grafen
Hodiz in Roswalde in Schleſien in Dienſten waren.
Einige gaben vor, ſie wollten wieder ins Reich reiſen,
andre wollten mich in Berlin geſehen haben ꝛc.

Unter der verſtorbenen Kaiſerin war zwiſchen der
Stadt und den Vorſtaͤdten eine ſehr beſchwerliche Sperr.
Wer nach den feſtgeſetzten Stunden zu Fuß kam, mußte
1. Kreuzer, und der im Fiakre fuͤr ſich, den Kerl und
jedes Pferd 3. Kreuzer bezahlen. Das hinderte die Ge-
meinſchaft zwiſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten, ſon-
derlich mit den Arbeitsleuten. Es ſoll nach Abzug der
Beamten etwa jaͤhrlich 80000. Gulden eingetragen ha-
ben. Der jetzige Kaiſer hobs auf; man mußte immer
lange am Thore warten.

Den 16ten Mai.

Nachdem wir kaum einige Tage Waͤrme gehabt hat-
ten, windete und ſtuͤrmte es heute ſchon wieder; die
Vorbereitung der Natur zum Regenwetter war ſchon wie-
der mit Kaͤlte verbunden.

Hr. Loͤſchenkohl zeichnete mich heute vollends aus,
und bemerkte dabei, daß es ein Fehler ſei, wenn die
Maler allen Koͤpfen einerlei Ohr zeichnen. Es ſei
ein groſſer Unterſchied in der Hoͤhe, Tiefe, Breite und
Weite der Muſchel. Jeder Menſch habe auch hier ſeine

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[591/0629] viele vornehme Leute hier ſind, die kein Kupfer bei ſich tragen; ſo iſt das Betteln, wie man aus Erfahrung weis, ein gutes und eintraͤgliches Handwerk. Mancher bet- telt bald des Tags 2 — 3. Gulden zuſammen. Auf die Stube kamen viele zu mir, die im Staat bettelten, vacirende Kanzeliſten, Sekretaͤrs, ein Baron v. Gries- heim aus Anſpach, Leute, die ehemals beim Grafen Hodiz in Roswalde in Schleſien in Dienſten waren. Einige gaben vor, ſie wollten wieder ins Reich reiſen, andre wollten mich in Berlin geſehen haben ꝛc. Unter der verſtorbenen Kaiſerin war zwiſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten eine ſehr beſchwerliche Sperr. Wer nach den feſtgeſetzten Stunden zu Fuß kam, mußte 1. Kreuzer, und der im Fiakre fuͤr ſich, den Kerl und jedes Pferd 3. Kreuzer bezahlen. Das hinderte die Ge- meinſchaft zwiſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten, ſon- derlich mit den Arbeitsleuten. Es ſoll nach Abzug der Beamten etwa jaͤhrlich 80000. Gulden eingetragen ha- ben. Der jetzige Kaiſer hobs auf; man mußte immer lange am Thore warten. Den 16ten Mai. Nachdem wir kaum einige Tage Waͤrme gehabt hat- ten, windete und ſtuͤrmte es heute ſchon wieder; die Vorbereitung der Natur zum Regenwetter war ſchon wie- der mit Kaͤlte verbunden. Hr. Loͤſchenkohl zeichnete mich heute vollends aus, und bemerkte dabei, daß es ein Fehler ſei, wenn die Maler allen Koͤpfen einerlei Ohr zeichnen. Es ſei ein groſſer Unterſchied in der Hoͤhe, Tiefe, Breite und Weite der Muſchel. Jeder Menſch habe auch hier ſeine eigene

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/629>, abgerufen am 28.03.2024.