des Kaisers Regierung *) geht der Protestant mit ab- gezogenem Hute vorbei, und niemand darf ihm etwas sagen. Noch vor wenig Jahren ward die Frau eines Hannöverischen Gesandten, die einer Prozession in die Hände fuhr, aus dem Wagen gerissen, zum Knien gezwungen, und einer kniete ihr auf die Füsse, so daß sie recht auf den Boden kam. Der Hof muste freilich eine eklatante Satisfaktion geben, die Frau ward sehr geehrt, und bekannt gemacht, daß die abscheuliche That ohne das geringste Vorwissen des Hofs geschehen sei.
Das 2te Stück der wöchentlichen Wahrheiten für und wider die Prediger machte noch mehr Ge- schrei. Es waren darin die herrlichsten Wahrheiten ge- gen die Anbetung der Mariä gesagt. Der Kardinal Migazzi soll zweimahl Vorstellungen darüber beim Kai- ser gemacht haben, der Monarch gab aber zur Antwort: "Sie sollten sich nur in Acht nehmen, daß sie die Geis- "sel der Kritik nicht verdienten."
Noch immer theilte einer dem andern Klopstocks Ode über die Toleranz und den Pabst heimlich mit. Denn weil sie der Kaiser nicht gedruckt haben will, und sie doch wahrscheinlich gedruckt werden wird, so will kei- ner es wissen lassen, daß er sie hat. Der Inhalt ist in Klopstocks Geist. Man sagt -- andre läugneten es aber -- er habe 300. Dukaten dafür vom Kaiser zum Geschenk bekommen.
Bemer-
*) Vom Kaiser glaubt das Volk in Böhmen durchgän- gig, er sei lutherisch. Der Monarch lachte, als mans ihm erzählte.
des Kaiſers Regierung *) geht der Proteſtant mit ab- gezogenem Hute vorbei, und niemand darf ihm etwas ſagen. Noch vor wenig Jahren ward die Frau eines Hannoͤveriſchen Geſandten, die einer Prozeſſion in die Haͤnde fuhr, aus dem Wagen geriſſen, zum Knien gezwungen, und einer kniete ihr auf die Fuͤſſe, ſo daß ſie recht auf den Boden kam. Der Hof muſte freilich eine eklatante Satisfaktion geben, die Frau ward ſehr geehrt, und bekannt gemacht, daß die abſcheuliche That ohne das geringſte Vorwiſſen des Hofs geſchehen ſei.
Das 2te Stuͤck der woͤchentlichen Wahrheiten fuͤr und wider die Prediger machte noch mehr Ge- ſchrei. Es waren darin die herrlichſten Wahrheiten ge- gen die Anbetung der Mariaͤ geſagt. Der Kardinal Migazzi ſoll zweimahl Vorſtellungen daruͤber beim Kai- ſer gemacht haben, der Monarch gab aber zur Antwort: „Sie ſollten ſich nur in Acht nehmen, daß ſie die Geiſ- „ſel der Kritik nicht verdienten.“
Noch immer theilte einer dem andern Klopſtocks Ode uͤber die Toleranz und den Pabſt heimlich mit. Denn weil ſie der Kaiſer nicht gedruckt haben will, und ſie doch wahrſcheinlich gedruckt werden wird, ſo will kei- ner es wiſſen laſſen, daß er ſie hat. Der Inhalt iſt in Klopſtocks Geiſt. Man ſagt — andre laͤugneten es aber — er habe 300. Dukaten dafuͤr vom Kaiſer zum Geſchenk bekommen.
Bemer-
*) Vom Kaiſer glaubt das Volk in Boͤhmen durchgaͤn- gig, er ſei lutheriſch. Der Monarch lachte, als mans ihm erzaͤhlte.
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des Kaiſers Regierung *) geht der Proteſtant mit ab-
gezogenem Hute vorbei, und niemand darf ihm etwas
ſagen. Noch vor wenig Jahren ward die Frau eines
Hannoͤveriſchen Geſandten, die einer Prozeſſion in
die Haͤnde fuhr, aus dem Wagen geriſſen, zum Knien
gezwungen, und einer kniete ihr auf die Fuͤſſe, ſo daß ſie
recht auf den Boden kam. Der Hof muſte freilich eine
eklatante Satisfaktion geben, die Frau ward ſehr geehrt,
und bekannt gemacht, daß die abſcheuliche That ohne das
geringſte Vorwiſſen des Hofs geſchehen ſei.
Das 2te Stuͤck der woͤchentlichen Wahrheiten
fuͤr und wider die Prediger machte noch mehr Ge-
ſchrei. Es waren darin die herrlichſten Wahrheiten ge-
gen die Anbetung der Mariaͤ geſagt. Der Kardinal
Migazzi ſoll zweimahl Vorſtellungen daruͤber beim Kai-
ſer gemacht haben, der Monarch gab aber zur Antwort:
„Sie ſollten ſich nur in Acht nehmen, daß ſie die Geiſ-
„ſel der Kritik nicht verdienten.“
Noch immer theilte einer dem andern Klopſtocks
Ode uͤber die Toleranz und den Pabſt heimlich mit.
Denn weil ſie der Kaiſer nicht gedruckt haben will, und
ſie doch wahrſcheinlich gedruckt werden wird, ſo will kei-
ner es wiſſen laſſen, daß er ſie hat. Der Inhalt iſt in
Klopſtocks Geiſt. Man ſagt — andre laͤugneten es
aber — er habe 300. Dukaten dafuͤr vom Kaiſer zum
Geſchenk bekommen.
Bemer-
*) Vom Kaiſer glaubt das Volk in Boͤhmen durchgaͤn-
gig, er ſei lutheriſch. Der Monarch lachte, als mans
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/613>, abgerufen am 29.03.2024.
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