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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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wechselung und der schönen Aussichten ein sehr angeneh-
mer Spaziergang. Als ich einmahl an dem Thore bei
der Donaubrücke war, kamen 5. englische Matrosen da-
her gelaufen, die ihrer Aussage nach verunglückt waren,
und von Livorno zu Fuß nach England gehen wollten.
Hier waren die armen Leute, unter welchen drei Irrlän-
der waren, wie vom Himmel herabgefallen. Sie ver-
standen nicht deutsch, und in Ulm sind wenig Menschen,
die Englisch sprechen. Ich machte den Dolmetscher zwi-
schen ihnen und dem wachhabenden Offizier, und half ih-
nen so gut ich konnte, daß sie nach der Stadt gehen, und
Brot und Bier kaufen konnten. Sie können nicht
glauben, wie sich die Leute freuten, da sie doch jemand
fanden, der sie verstehen und ihnen das Nöthigste wieder
sagen konnte. Die Denkungsart und Lebensart der Ul-
m
er Reichsbürger wird durch die Bemühungen ihrer jun-
gen Theologen und andrer Leute, welche die Auswelt ge-
sehen haben, immer mehr verbessert.

Von Ulm nach Augspurg geht der Weg zuerst
über die schönsten Fruchtfelder hin. Um Günzburg
herum wird viel Hopfen gebaut, ich sah überall die Ho-
pfenstangen haufenweis beisammen stehen, und Bier ist
in diesen Gegenden das allgemeine Getränke. In eini-
gen Oertern knitschten die Weiber Hanf. Die Ma-
schine zu diesem Zerknacken der Hanfstengel ist bei uns so
niedrig, daß die Weibsperson stehen, und den Hanfbü-
schel immer weiter vorziehen muß. Hier fand ich die
Knitsche oder Breche höher, die Frau sitzt auf einem
Klotze dazu, vorne an die Maschine hin, hebt den obern
Theil auf und schlägt immer auf den Hanf mit der rechten
Hand hin, indem sie ihn mit der linken immer weiter

vorzieht.

wechſelung und der ſchoͤnen Ausſichten ein ſehr angeneh-
mer Spaziergang. Als ich einmahl an dem Thore bei
der Donaubruͤcke war, kamen 5. engliſche Matroſen da-
her gelaufen, die ihrer Auſſage nach verungluͤckt waren,
und von Livorno zu Fuß nach England gehen wollten.
Hier waren die armen Leute, unter welchen drei Irrlaͤn-
der waren, wie vom Himmel herabgefallen. Sie ver-
ſtanden nicht deutſch, und in Ulm ſind wenig Menſchen,
die Engliſch ſprechen. Ich machte den Dolmetſcher zwi-
ſchen ihnen und dem wachhabenden Offizier, und half ih-
nen ſo gut ich konnte, daß ſie nach der Stadt gehen, und
Brot und Bier kaufen konnten. Sie koͤnnen nicht
glauben, wie ſich die Leute freuten, da ſie doch jemand
fanden, der ſie verſtehen und ihnen das Noͤthigſte wieder
ſagen konnte. Die Denkungsart und Lebensart der Ul-
m
er Reichsbuͤrger wird durch die Bemuͤhungen ihrer jun-
gen Theologen und andrer Leute, welche die Auswelt ge-
ſehen haben, immer mehr verbeſſert.

Von Ulm nach Augſpurg geht der Weg zuerſt
uͤber die ſchoͤnſten Fruchtfelder hin. Um Guͤnzburg
herum wird viel Hopfen gebaut, ich ſah uͤberall die Ho-
pfenſtangen haufenweis beiſammen ſtehen, und Bier iſt
in dieſen Gegenden das allgemeine Getraͤnke. In eini-
gen Oertern knitſchten die Weiber Hanf. Die Ma-
ſchine zu dieſem Zerknacken der Hanfſtengel iſt bei uns ſo
niedrig, daß die Weibsperſon ſtehen, und den Hanfbuͤ-
ſchel immer weiter vorziehen muß. Hier fand ich die
Knitſche oder Breche hoͤher, die Frau ſitzt auf einem
Klotze dazu, vorne an die Maſchine hin, hebt den obern
Theil auf und ſchlaͤgt immer auf den Hanf mit der rechten
Hand hin, indem ſie ihn mit der linken immer weiter

vorzieht.
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[18/0056] wechſelung und der ſchoͤnen Ausſichten ein ſehr angeneh- mer Spaziergang. Als ich einmahl an dem Thore bei der Donaubruͤcke war, kamen 5. engliſche Matroſen da- her gelaufen, die ihrer Auſſage nach verungluͤckt waren, und von Livorno zu Fuß nach England gehen wollten. Hier waren die armen Leute, unter welchen drei Irrlaͤn- der waren, wie vom Himmel herabgefallen. Sie ver- ſtanden nicht deutſch, und in Ulm ſind wenig Menſchen, die Engliſch ſprechen. Ich machte den Dolmetſcher zwi- ſchen ihnen und dem wachhabenden Offizier, und half ih- nen ſo gut ich konnte, daß ſie nach der Stadt gehen, und Brot und Bier kaufen konnten. Sie koͤnnen nicht glauben, wie ſich die Leute freuten, da ſie doch jemand fanden, der ſie verſtehen und ihnen das Noͤthigſte wieder ſagen konnte. Die Denkungsart und Lebensart der Ul- mer Reichsbuͤrger wird durch die Bemuͤhungen ihrer jun- gen Theologen und andrer Leute, welche die Auswelt ge- ſehen haben, immer mehr verbeſſert. Von Ulm nach Augſpurg geht der Weg zuerſt uͤber die ſchoͤnſten Fruchtfelder hin. Um Guͤnzburg herum wird viel Hopfen gebaut, ich ſah uͤberall die Ho- pfenſtangen haufenweis beiſammen ſtehen, und Bier iſt in dieſen Gegenden das allgemeine Getraͤnke. In eini- gen Oertern knitſchten die Weiber Hanf. Die Ma- ſchine zu dieſem Zerknacken der Hanfſtengel iſt bei uns ſo niedrig, daß die Weibsperſon ſtehen, und den Hanfbuͤ- ſchel immer weiter vorziehen muß. Hier fand ich die Knitſche oder Breche hoͤher, die Frau ſitzt auf einem Klotze dazu, vorne an die Maſchine hin, hebt den obern Theil auf und ſchlaͤgt immer auf den Hanf mit der rechten Hand hin, indem ſie ihn mit der linken immer weiter vorzieht.

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/56>, abgerufen am 28.03.2024.