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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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folgt der Gesang und ein kurzes Gebet. Er predigte
über 1. Tim. IV. 17. Uebe dich etc. und handelte von
den Folgen der Lehre, daß unser Leben nur Vorbereitung
sei etc. Seine Stimme schien mir schwach zu seyn, auch
hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas
weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meisten
seiner Zuhörer sind Lutheraner. Einige nennen die Be-
suchung dieses Gottesdienstes Galanterie, und verbieten
den Ihrigen hinein zu gehen, sehen es für Syncretis-
mus
an, und halten sich lieber an ihre Priester. Mich
dünkt doch, dieser sonst so vortrefliche Prediger versieht
es offenbar darin, daß er den Text nicht berührt, und
sonst im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch
aus der Bibel anführt, auch nicht von der evangelischen
Verpflichtung des Christen, nicht von der Liebe Gottes
und Jesu Christi die Beweggründe zu seiner Tugend her-
nimmt. Es gefällt und verfliegt. --

Mittags war ich beim ältern Hrn. Jakobäer zu
Gaste. Nachmittags wollt' ich den Löhrischen Garten
besehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen-
blick aufs

Richtersche Kaffeehaus. Warlich eins, wie's
weder in Paris, noch viel weniger in Amsterdam gibt.
Das Haus übertrift manches Schlos. Man trift eine
ganze Enfilade von schönen Zimmern darin an, wo in
einigen gespeist, in andern Toback geraucht wird. Von
da ging ich in den

Löhrschen Garten spazieren. Da der Apelsche und
Grosbosische in Verfall kommen; so dient dieser Leipzig
zu neuer Zierde. Vorne steht ein ungemein geschmack-

volles

folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte
uͤber 1. Tim. IV. 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von
den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung
ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch
hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas
weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten
ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be-
ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten
den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr Syncretis-
mus
an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich
duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht
es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und
ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch
aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen
Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes
und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her-
nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt. —

Mittags war ich beim aͤltern Hrn. Jakobaͤer zu
Gaſte. Nachmittags wollt’ ich den Loͤhriſchen Garten
beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen-
blick aufs

Richterſche Kaffeehaus. Warlich eins, wie’s
weder in Paris, noch viel weniger in Amſterdam gibt.
Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine
ganze Enfilade von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in
einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von
da ging ich in den

Loͤhrſchen Garten ſpazieren. Da der Apelſche und
Grosboſiſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer Leipzig
zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack-

volles
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[136/0174] folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte uͤber 1. Tim. IV. 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be- ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr Syncretis- mus an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her- nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt. — Mittags war ich beim aͤltern Hrn. Jakobaͤer zu Gaſte. Nachmittags wollt’ ich den Loͤhriſchen Garten beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen- blick aufs Richterſche Kaffeehaus. Warlich eins, wie’s weder in Paris, noch viel weniger in Amſterdam gibt. Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine ganze Enfilade von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von da ging ich in den Loͤhrſchen Garten ſpazieren. Da der Apelſche und Grosboſiſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer Leipzig zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack- volles

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/174>, abgerufen am 20.04.2024.