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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Erfindung der Maße und Gewichte.
herstellen läßt, wenn auch seine sämtlichen Verkörperungen an einem
Tage durch eine Katastrophe vernichtet werden sollten. Mit den alten
Naturmaßen freilich sah es böse aus. Was z. B. hat man sich unter
einem Fuß zu denken? Der Menschen Füße sind gar verschieden, und
wie verschieden die Größe derselben aufgefaßt wurde, ersieht man daraus,
daß fast jeder Staat sein besonderes Fußmaß hatte, ja mancher Staat
auch deren zwei und mehr. Das ging auch, so lange die Verkehrsmittel
so beschwerliche waren, daß ein Handel nur von Ort zu Ort sich er-
möglichen ließ; als aber Fahrzeuge aller Art Länder und Ozeane
durchquerten, da wurde dieser Zustand für den internationalen Welten-
markt ein unerträglicher, und von Jahr zu Jahr machte sich immer
lauter die Forderung nach einem einheitlichen Maßsystem für alle Völker
geltend. Die Abmessungen am menschlichen Körper gaben, wie die
Erfahrung gezeigt hatte, zu wenig bestimmte Einheiten, als daß man
auf dieselben hätte zurückgreifen können; daher schlug der holländische
Astronom und Physiker Huyghens 1664 vor, die Länge desjenigen
Pendels als Maß zu wählen, welches genau eine Sekunde schlägt,
während der französische Astronom Mouton 1670 die Länge einer Bogen-
minute auf dem Meridian gemessen hierfür angenommen wissen wollte.
Nachher ist dieses letztere Projekt noch vielfach umgeändert worden,
bis es mit gewissen Abänderungen und Festsetzungen in dem metrischen
System verwirklicht wurde.

Es verging fast ein Jahrhundert, ehe man einen dieser Vorschläge
ernstlich in Angriff nahm. Erst den Machthabern der französischen
Revolution, die ja auf so vielen Gebieten die gewaltigsten Umwälzungen
hervorgerufen hat, blieb es vorbehalten, auch auf dem Gebiete des
Meßwesens Wandel zu schaffen. Es wurde eine Kommission, bestehend
aus Borda, Lagrange, Laplace, Monge und Condorcet, gewählt, die
mit dem Vorschlag hervortrat, als Einheit den zehnmillionsten Teil
des Viertels eines Meridiankreises zu wählen, diese Länge später noch
mit der Länge des Sekundenpendels unter 45° Breite zu vergleichen
und die Einheit der Masse dadurch darzustellen, daß man ein durch
Teile der neuen Längeneinheiten gemessene Menge destillierten Wassers
von der Temperatur des schmelzenden Eises im luftleeren Raum wägt.
Wie man sieht, ging man hier auf die Dimensionen des Erdballes
selbst zurück, die nach menschlichem Ermessen wenigstens als ewig un-
veränderliche angesehen werden können. Die Erde ist nahezu eine Kugel,
ein Meridiankreis derjenige Bogen, welcher durch die beiden Erdpole
geht. Die Länge eines solches Bogens war durch Messungen von
Bouguer und Lacondamine in Peru, von Clairaut und Maupertuis
in Lappland und Mechain und Delambre in Frankreich sehr genau
bestimmt. Auf Grund der letzteren Messungen wurde die neue Längen-
einheit konstruiert, und im Jahre 1799 dem Staatsarchiv zu Paris als
Repräsentant derselben ein Platinstab übergeben, dessen Länge ein
Meter heißen sollte. Da alle Körper sich in der Wärme ausdehnen,

Die Erfindung der Maße und Gewichte.
herſtellen läßt, wenn auch ſeine ſämtlichen Verkörperungen an einem
Tage durch eine Kataſtrophe vernichtet werden ſollten. Mit den alten
Naturmaßen freilich ſah es böſe aus. Was z. B. hat man ſich unter
einem Fuß zu denken? Der Menſchen Füße ſind gar verſchieden, und
wie verſchieden die Größe derſelben aufgefaßt wurde, erſieht man daraus,
daß faſt jeder Staat ſein beſonderes Fußmaß hatte, ja mancher Staat
auch deren zwei und mehr. Das ging auch, ſo lange die Verkehrsmittel
ſo beſchwerliche waren, daß ein Handel nur von Ort zu Ort ſich er-
möglichen ließ; als aber Fahrzeuge aller Art Länder und Ozeane
durchquerten, da wurde dieſer Zuſtand für den internationalen Welten-
markt ein unerträglicher, und von Jahr zu Jahr machte ſich immer
lauter die Forderung nach einem einheitlichen Maßſyſtem für alle Völker
geltend. Die Abmeſſungen am menſchlichen Körper gaben, wie die
Erfahrung gezeigt hatte, zu wenig beſtimmte Einheiten, als daß man
auf dieſelben hätte zurückgreifen können; daher ſchlug der holländiſche
Aſtronom und Phyſiker Huyghens 1664 vor, die Länge desjenigen
Pendels als Maß zu wählen, welches genau eine Sekunde ſchlägt,
während der franzöſiſche Aſtronom Mouton 1670 die Länge einer Bogen-
minute auf dem Meridian gemeſſen hierfür angenommen wiſſen wollte.
Nachher iſt dieſes letztere Projekt noch vielfach umgeändert worden,
bis es mit gewiſſen Abänderungen und Feſtſetzungen in dem metriſchen
Syſtem verwirklicht wurde.

Es verging faſt ein Jahrhundert, ehe man einen dieſer Vorſchläge
ernſtlich in Angriff nahm. Erſt den Machthabern der franzöſiſchen
Revolution, die ja auf ſo vielen Gebieten die gewaltigſten Umwälzungen
hervorgerufen hat, blieb es vorbehalten, auch auf dem Gebiete des
Meßweſens Wandel zu ſchaffen. Es wurde eine Kommiſſion, beſtehend
aus Borda, Lagrange, Laplace, Monge und Condorcet, gewählt, die
mit dem Vorſchlag hervortrat, als Einheit den zehnmillionſten Teil
des Viertels eines Meridiankreiſes zu wählen, dieſe Länge ſpäter noch
mit der Länge des Sekundenpendels unter 45° Breite zu vergleichen
und die Einheit der Maſſe dadurch darzuſtellen, daß man ein durch
Teile der neuen Längeneinheiten gemeſſene Menge deſtillierten Waſſers
von der Temperatur des ſchmelzenden Eiſes im luftleeren Raum wägt.
Wie man ſieht, ging man hier auf die Dimenſionen des Erdballes
ſelbſt zurück, die nach menſchlichem Ermeſſen wenigſtens als ewig un-
veränderliche angeſehen werden können. Die Erde iſt nahezu eine Kugel,
ein Meridiankreis derjenige Bogen, welcher durch die beiden Erdpole
geht. Die Länge eines ſolches Bogens war durch Meſſungen von
Bouguer und Lacondamine in Peru, von Clairaut und Maupertuis
in Lappland und Méchain und Delambre in Frankreich ſehr genau
beſtimmt. Auf Grund der letzteren Meſſungen wurde die neue Längen-
einheit konſtruiert, und im Jahre 1799 dem Staatsarchiv zu Paris als
Repräſentant derſelben ein Platinſtab übergeben, deſſen Länge ein
Meter heißen ſollte. Da alle Körper ſich in der Wärme ausdehnen,

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[2/0020] Die Erfindung der Maße und Gewichte. herſtellen läßt, wenn auch ſeine ſämtlichen Verkörperungen an einem Tage durch eine Kataſtrophe vernichtet werden ſollten. Mit den alten Naturmaßen freilich ſah es böſe aus. Was z. B. hat man ſich unter einem Fuß zu denken? Der Menſchen Füße ſind gar verſchieden, und wie verſchieden die Größe derſelben aufgefaßt wurde, erſieht man daraus, daß faſt jeder Staat ſein beſonderes Fußmaß hatte, ja mancher Staat auch deren zwei und mehr. Das ging auch, ſo lange die Verkehrsmittel ſo beſchwerliche waren, daß ein Handel nur von Ort zu Ort ſich er- möglichen ließ; als aber Fahrzeuge aller Art Länder und Ozeane durchquerten, da wurde dieſer Zuſtand für den internationalen Welten- markt ein unerträglicher, und von Jahr zu Jahr machte ſich immer lauter die Forderung nach einem einheitlichen Maßſyſtem für alle Völker geltend. Die Abmeſſungen am menſchlichen Körper gaben, wie die Erfahrung gezeigt hatte, zu wenig beſtimmte Einheiten, als daß man auf dieſelben hätte zurückgreifen können; daher ſchlug der holländiſche Aſtronom und Phyſiker Huyghens 1664 vor, die Länge desjenigen Pendels als Maß zu wählen, welches genau eine Sekunde ſchlägt, während der franzöſiſche Aſtronom Mouton 1670 die Länge einer Bogen- minute auf dem Meridian gemeſſen hierfür angenommen wiſſen wollte. Nachher iſt dieſes letztere Projekt noch vielfach umgeändert worden, bis es mit gewiſſen Abänderungen und Feſtſetzungen in dem metriſchen Syſtem verwirklicht wurde. Es verging faſt ein Jahrhundert, ehe man einen dieſer Vorſchläge ernſtlich in Angriff nahm. Erſt den Machthabern der franzöſiſchen Revolution, die ja auf ſo vielen Gebieten die gewaltigſten Umwälzungen hervorgerufen hat, blieb es vorbehalten, auch auf dem Gebiete des Meßweſens Wandel zu ſchaffen. Es wurde eine Kommiſſion, beſtehend aus Borda, Lagrange, Laplace, Monge und Condorcet, gewählt, die mit dem Vorſchlag hervortrat, als Einheit den zehnmillionſten Teil des Viertels eines Meridiankreiſes zu wählen, dieſe Länge ſpäter noch mit der Länge des Sekundenpendels unter 45° Breite zu vergleichen und die Einheit der Maſſe dadurch darzuſtellen, daß man ein durch Teile der neuen Längeneinheiten gemeſſene Menge deſtillierten Waſſers von der Temperatur des ſchmelzenden Eiſes im luftleeren Raum wägt. Wie man ſieht, ging man hier auf die Dimenſionen des Erdballes ſelbſt zurück, die nach menſchlichem Ermeſſen wenigſtens als ewig un- veränderliche angeſehen werden können. Die Erde iſt nahezu eine Kugel, ein Meridiankreis derjenige Bogen, welcher durch die beiden Erdpole geht. Die Länge eines ſolches Bogens war durch Meſſungen von Bouguer und Lacondamine in Peru, von Clairaut und Maupertuis in Lappland und Méchain und Delambre in Frankreich ſehr genau beſtimmt. Auf Grund der letzteren Meſſungen wurde die neue Längen- einheit konſtruiert, und im Jahre 1799 dem Staatsarchiv zu Paris als Repräſentant derſelben ein Platinſtab übergeben, deſſen Länge ein Meter heißen ſollte. Da alle Körper ſich in der Wärme ausdehnen,

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/20>, abgerufen am 16.04.2024.