Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagelang waelzte er sich auf der Erde, unter
bestaendigem entsetzlichen Geschrey, so oft
man ihn allein liess. Er gieng gerne in Ge-
sellschaft, weil ihm da das Herz zuweilen
leichter ward; aber seine Melancholie befiel
ihn auch in Gesellschaft. Anderthalb Jahre
litt er alles, was das Herz zermalmet und den
Geist niederdrauckt, durch seine religiöse Fa-
seley. Sie verlohr sich endlich, bloss durch
den Umgang mit einigen sehr vernaunftigen
Geistlichen aus --. Aber Scrupel und Zwei-
fel behielt er über alles ausserhalb der Re-
ligion.

Er zweifelte an dem Daseyn von allem was
er sah und von allem was vor ihm stand, von
allem, was er mit Haenden griff. Der herz-
gute Mann sagte mir, es habe ihm zwischen
durch doch oft geschienen, alle seine Bedenk-
lichkeiten seyen nur Krankheit, und oft habe
er selbst mit seinen Freunden darüber gelacht.
Aber mit Schauder und Schrecken versicherte
er mir auch, dass er zehn Mordthaten began-
gen haette, wenn es möglich gewesen waere,
dadurch diese Krankheit loss zu werden, die
seine Imagination bey jeder allergleichgaultig-
sten Handlung des Lebens befiel.

Drit-
(F 3)

Tagelang wælzte er ſich auf der Erde, unter
beſtændigem entſetzlichen Geſchrey, ſo oft
man ihn allein lieſs. Er gieng gerne in Ge-
ſellſchaft, weil ihm da das Herz zuweilen
leichter ward; aber ſeine Melancholie befiel
ihn auch in Geſellſchaft. Anderthalb Jahre
litt er alles, was das Herz zermalmet und den
Geiſt niederdrûckt, durch ſeine religiöſe Fa-
ſeley. Sie verlohr ſich endlich, bloſs durch
den Umgang mit einigen ſehr vernûnftigen
Geiſtlichen aus —. Aber Scrupel und Zwei-
fel behielt er über alles auſſerhalb der Re-
ligion.

Er zweifelte an dem Daſeyn von allem was
er ſah und von allem was vor ihm ſtand, von
allem, was er mit Hænden griff. Der herz-
gute Mann ſagte mir, es habe ihm zwiſchen
durch doch oft geſchienen, alle ſeine Bedenk-
lichkeiten ſeyen nur Krankheit, und oft habe
er ſelbſt mit ſeinen Freunden darüber gelacht.
Aber mit Schauder und Schrecken verſicherte
er mir auch, daſs er zehn Mordthaten began-
gen hætte, wenn es möglich geweſen wære,
dadurch dieſe Krankheit loſs zu werden, die
ſeine Imagination bey jeder allergleichgûltig-
ſten Handlung des Lebens befiel.

Drit-
(F 3)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0095" n="85"/>
Tagelang wælzte er &#x017F;ich auf der Erde, unter<lb/>
be&#x017F;tændigem ent&#x017F;etzlichen Ge&#x017F;chrey, &#x017F;o oft<lb/>
man ihn allein lie&#x017F;s. Er gieng gerne in Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft, weil ihm da das Herz zuweilen<lb/>
leichter ward; aber &#x017F;eine Melancholie befiel<lb/>
ihn auch in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Anderthalb Jahre<lb/>
litt er alles, was das Herz zermalmet und den<lb/>
Gei&#x017F;t niederdrûckt, durch &#x017F;eine religiö&#x017F;e Fa-<lb/>
&#x017F;eley. Sie verlohr &#x017F;ich endlich, blo&#x017F;s durch<lb/>
den Umgang mit einigen &#x017F;ehr vernûnftigen<lb/>
Gei&#x017F;tlichen aus &#x2014;. Aber Scrupel und Zwei-<lb/>
fel behielt er über alles au&#x017F;&#x017F;erhalb der Re-<lb/>
ligion.</p><lb/>
            <p>Er zweifelte an dem Da&#x017F;eyn von allem was<lb/>
er &#x017F;ah und von allem was vor ihm &#x017F;tand, von<lb/>
allem, was er mit Hænden griff. Der herz-<lb/>
gute Mann &#x017F;agte mir, es habe ihm zwi&#x017F;chen<lb/>
durch doch oft ge&#x017F;chienen, alle &#x017F;eine Bedenk-<lb/>
lichkeiten &#x017F;eyen nur Krankheit, und oft habe<lb/>
er &#x017F;elb&#x017F;t mit &#x017F;einen Freunden darüber gelacht.<lb/>
Aber mit Schauder und Schrecken ver&#x017F;icherte<lb/>
er mir auch, da&#x017F;s er zehn Mordthaten began-<lb/>
gen hætte, wenn es möglich gewe&#x017F;en wære,<lb/>
dadurch die&#x017F;e Krankheit lo&#x017F;s zu werden, die<lb/>
&#x017F;eine Imagination bey jeder allergleichgûltig-<lb/>
&#x017F;ten Handlung des Lebens befiel.</p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">(F 3)</fw>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#k">Drit-</hi> </hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0095] Tagelang wælzte er ſich auf der Erde, unter beſtændigem entſetzlichen Geſchrey, ſo oft man ihn allein lieſs. Er gieng gerne in Ge- ſellſchaft, weil ihm da das Herz zuweilen leichter ward; aber ſeine Melancholie befiel ihn auch in Geſellſchaft. Anderthalb Jahre litt er alles, was das Herz zermalmet und den Geiſt niederdrûckt, durch ſeine religiöſe Fa- ſeley. Sie verlohr ſich endlich, bloſs durch den Umgang mit einigen ſehr vernûnftigen Geiſtlichen aus —. Aber Scrupel und Zwei- fel behielt er über alles auſſerhalb der Re- ligion. Er zweifelte an dem Daſeyn von allem was er ſah und von allem was vor ihm ſtand, von allem, was er mit Hænden griff. Der herz- gute Mann ſagte mir, es habe ihm zwiſchen durch doch oft geſchienen, alle ſeine Bedenk- lichkeiten ſeyen nur Krankheit, und oft habe er ſelbſt mit ſeinen Freunden darüber gelacht. Aber mit Schauder und Schrecken verſicherte er mir auch, daſs er zehn Mordthaten began- gen hætte, wenn es möglich geweſen wære, dadurch dieſe Krankheit loſs zu werden, die ſeine Imagination bey jeder allergleichgûltig- ſten Handlung des Lebens befiel. Drit- (F 3)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/95
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/95>, abgerufen am 24.04.2024.