Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

vom Fleische gefallen und abgezehrt, dass
man nur noch Haut und Knochen an mir
sieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und
mein Anblick erregt Schaudern und Entsetzen.
O mögten mich alle die Unwissenden und Un-
besonnenen Saunder sehen! könnte ich doch
Jedem unter ihnen zurufen:

Wenn schnöde Wollust dich erfaullt,
So werde durch dies Schreckenbild
Verdorrter Todtenknochen
Der Kautzel unterbrochen!

Da liege oder sitze ich nun so unthaetig und
kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der
menschlichen Gesellschaft und meiner Brüder
thun und arbeiten -- und dafür möglichst
Viel zu thun, war doch von jeher mein hei-
sester Wunsch -- und bin den Meinigen noch
selbst zur Last; und erwarte mit Sehnsucht
und Schmerzen den Tod, der mich von mei-
nem unaussprechlichen Elende erlösen und
meinen Geist von diesem zerrütteten Leibe
befreien soll, damit er dort in der bessern
Welt, mit neuer ungehinderter Thaetigkeit
und Kraft, für die Wohlfahrt des grossen Gei-
sterstaates Gottes arbeiten könne. Ich bin

aber

vom Fleiſche gefallen und abgezehrt, daſs
man nur noch Haut und Knochen an mir
ſieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und
mein Anblick erregt Schaudern und Entſetzen.
O mögten mich alle die Unwiſſenden und Un-
beſonnenen Sûnder ſehen! könnte ich doch
Jedem unter ihnen zurufen:

Wenn ſchnöde Wolluſt dich erfûllt,
So werde durch dies Schreckenbild
Verdorrter Todtenknochen
Der Kûtzel unterbrochen!

Da liege oder ſitze ich nun ſo unthætig und
kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der
menſchlichen Geſellſchaft und meiner Brüder
thun und arbeiten — und dafür möglichſt
Viel zu thun, war doch von jeher mein hei-
ſeſter Wunſch — und bin den Meinigen noch
ſelbſt zur Laſt; und erwarte mit Sehnſucht
und Schmerzen den Tod, der mich von mei-
nem unausſprechlichen Elende erlöſen und
meinen Geiſt von dieſem zerrütteten Leibe
befreien ſoll, damit er dort in der beſſern
Welt, mit neuer ungehinderter Thætigkeit
und Kraft, für die Wohlfahrt des groſsen Gei-
ſterſtaates Gottes arbeiten könne. Ich bin

aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0089" n="79"/>
vom Flei&#x017F;che gefallen und abgezehrt, da&#x017F;s<lb/>
man nur noch Haut und Knochen an mir<lb/>
&#x017F;ieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und<lb/>
mein Anblick erregt Schaudern und Ent&#x017F;etzen.<lb/>
O mögten mich alle die Unwi&#x017F;&#x017F;enden und Un-<lb/>
be&#x017F;onnenen Sûnder &#x017F;ehen! könnte ich doch<lb/>
Jedem unter ihnen zurufen:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Wenn &#x017F;chnöde Wollu&#x017F;t dich erfûllt,</l><lb/>
              <l>So werde durch dies Schreckenbild</l><lb/>
              <l>Verdorrter Todtenknochen</l><lb/>
              <l>Der Kûtzel unterbrochen!</l>
            </lg><lb/>
            <p>Da liege oder &#x017F;itze ich nun &#x017F;o unthætig und<lb/>
kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der<lb/>
men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und meiner Brüder<lb/>
thun und arbeiten &#x2014; und dafür möglich&#x017F;t<lb/>
Viel zu thun, war doch von jeher mein hei-<lb/>
&#x017F;e&#x017F;ter Wun&#x017F;ch &#x2014; und bin den Meinigen noch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zur La&#x017F;t; und erwarte mit Sehn&#x017F;ucht<lb/>
und Schmerzen den Tod, der mich von mei-<lb/>
nem unaus&#x017F;prechlichen Elende erlö&#x017F;en und<lb/>
meinen Gei&#x017F;t von die&#x017F;em zerrütteten Leibe<lb/>
befreien &#x017F;oll, damit er dort in der be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Welt, mit neuer ungehinderter Thætigkeit<lb/>
und Kraft, für die Wohlfahrt des gro&#x017F;sen Gei-<lb/>
&#x017F;ter&#x017F;taates Gottes arbeiten könne. Ich bin<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0089] vom Fleiſche gefallen und abgezehrt, daſs man nur noch Haut und Knochen an mir ſieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entſetzen. O mögten mich alle die Unwiſſenden und Un- beſonnenen Sûnder ſehen! könnte ich doch Jedem unter ihnen zurufen: Wenn ſchnöde Wolluſt dich erfûllt, So werde durch dies Schreckenbild Verdorrter Todtenknochen Der Kûtzel unterbrochen! Da liege oder ſitze ich nun ſo unthætig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft und meiner Brüder thun und arbeiten — und dafür möglichſt Viel zu thun, war doch von jeher mein hei- ſeſter Wunſch — und bin den Meinigen noch ſelbſt zur Laſt; und erwarte mit Sehnſucht und Schmerzen den Tod, der mich von mei- nem unausſprechlichen Elende erlöſen und meinen Geiſt von dieſem zerrütteten Leibe befreien ſoll, damit er dort in der beſſern Welt, mit neuer ungehinderter Thætigkeit und Kraft, für die Wohlfahrt des groſsen Gei- ſterſtaates Gottes arbeiten könne. Ich bin aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/89
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/89>, abgerufen am 23.04.2024.