Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber alte verjaehrte Vorurtheile, die,
wer weiss wie, in unsere Erkenntnissmasse
gekommen sind, arbeiten diesem maechtigen
Triebe entgegen, und suchen ihn aufzuhal-
ten. Welches ohngefaehr eben die Wirkung
hat, als wenn man mitten in einen Strom
einen Damm machte, und ihn so zwaenge,
aus seinen Ufern zu treten.

Das junge Kind, das ein so maechtiges
Bestreben aeussert, von seinen Gliedern Ge-
brauch zu machen, wird gezwungen, das
erste Jahr seines Lebens ein wahres Pflan-
zenleben zu führen, trotz dem Winke der
Natur, die die Nabelschnur zerriss. Es ve-
getirt wechselsweise, bald in der Wiege, bald
im Mantel, obgleich die Natur, oder wel-
ches einerley ist, der Schöpfer der Natur,
der Allmaechtige, Allweise, Allgütige Gott,
befiehlt, dass das Kind, sobald die Nabel-
schnur zerrissen ist, kriechen soll.

Kaum ist das Ende seines ersten Le-
bensjahres da, so sehen die Eltern, dass

Mantel

Aber alte verjæhrte Vorurtheile, die,
wer weiſs wie, in unſere Erkenntniſsmaſſe
gekommen ſind, arbeiten dieſem mæchtigen
Triebe entgegen, und ſuchen ihn aufzuhal-
ten. Welches ohngefæhr eben die Wirkung
hat, als wenn man mitten in einen Strom
einen Damm machte, und ihn ſo zwænge,
aus ſeinen Ufern zu treten.

Das junge Kind, das ein ſo mæchtiges
Beſtreben æuſſert, von ſeinen Gliedern Ge-
brauch zu machen, wird gezwungen, das
erſte Jahr ſeines Lebens ein wahres Pflan-
zenleben zu führen, trotz dem Winke der
Natur, die die Nabelſchnur zerriſs. Es ve-
getirt wechſelsweiſe, bald in der Wiege, bald
im Mantel, obgleich die Natur, oder wel-
ches einerley iſt, der Schöpfer der Natur,
der Allmæchtige, Allweiſe, Allgütige Gott,
befiehlt, daſs das Kind, ſobald die Nabel-
ſchnur zerriſſen iſt, kriechen ſoll.

Kaum iſt das Ende ſeines erſten Le-
bensjahres da, ſo ſehen die Eltern, daſs

Mantel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0140" n="130"/>
            <p>Aber alte verjæhrte Vorurtheile, die,<lb/>
wer wei&#x017F;s wie, in un&#x017F;ere Erkenntni&#x017F;sma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
gekommen &#x017F;ind, arbeiten die&#x017F;em mæchtigen<lb/>
Triebe entgegen, und &#x017F;uchen ihn aufzuhal-<lb/>
ten. Welches ohngefæhr eben die Wirkung<lb/>
hat, als wenn man mitten in einen Strom<lb/>
einen Damm machte, und ihn &#x017F;o zwænge,<lb/>
aus &#x017F;einen Ufern zu treten.</p><lb/>
            <p>Das junge Kind, das ein &#x017F;o mæchtiges<lb/>
Be&#x017F;treben æu&#x017F;&#x017F;ert, von &#x017F;einen Gliedern Ge-<lb/>
brauch zu machen, wird gezwungen, das<lb/>
er&#x017F;te Jahr &#x017F;eines Lebens ein wahres Pflan-<lb/>
zenleben zu führen, trotz dem Winke der<lb/>
Natur, die die Nabel&#x017F;chnur zerri&#x017F;s. Es ve-<lb/>
getirt wech&#x017F;elswei&#x017F;e, bald in der Wiege, bald<lb/>
im Mantel, obgleich die Natur, oder wel-<lb/>
ches einerley i&#x017F;t, der Schöpfer der Natur,<lb/>
der Allmæchtige, Allwei&#x017F;e, Allgütige Gott,<lb/>
befiehlt, da&#x017F;s das Kind, &#x017F;obald die Nabel-<lb/>
&#x017F;chnur zerri&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, kriechen &#x017F;oll.</p><lb/>
            <p>Kaum i&#x017F;t das Ende &#x017F;eines er&#x017F;ten Le-<lb/>
bensjahres da, &#x017F;o &#x017F;ehen die Eltern, da&#x017F;s<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mantel</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0140] Aber alte verjæhrte Vorurtheile, die, wer weiſs wie, in unſere Erkenntniſsmaſſe gekommen ſind, arbeiten dieſem mæchtigen Triebe entgegen, und ſuchen ihn aufzuhal- ten. Welches ohngefæhr eben die Wirkung hat, als wenn man mitten in einen Strom einen Damm machte, und ihn ſo zwænge, aus ſeinen Ufern zu treten. Das junge Kind, das ein ſo mæchtiges Beſtreben æuſſert, von ſeinen Gliedern Ge- brauch zu machen, wird gezwungen, das erſte Jahr ſeines Lebens ein wahres Pflan- zenleben zu führen, trotz dem Winke der Natur, die die Nabelſchnur zerriſs. Es ve- getirt wechſelsweiſe, bald in der Wiege, bald im Mantel, obgleich die Natur, oder wel- ches einerley iſt, der Schöpfer der Natur, der Allmæchtige, Allweiſe, Allgütige Gott, befiehlt, daſs das Kind, ſobald die Nabel- ſchnur zerriſſen iſt, kriechen ſoll. Kaum iſt das Ende ſeines erſten Le- bensjahres da, ſo ſehen die Eltern, daſs Mantel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/140
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/140>, abgerufen am 25.04.2024.