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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

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termilch mit Thee und Kaffee verwechselten.
So unsere Kindheit. Die Periode, wo wir
zu lesen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen-
nium, wo der empfindsame T[h]on, jene kraft-
lose schmachtende Stimmung in allen Mode-
schriften herrschte.

II.

Die Frucht vom Baum, der Erkenntniss des
Guten und Bösen, die Aufklaerung, der Ge-
schmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten,
können heut zu Tage nicht früh genug kom-
men. Die Menschen leben eher, geniessen
eher, taugen eher zum Umgang, in die Gesell-
schaften, zum Agiren auf Theatern, zum
Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei-
ne, zu früher Genuss unreifer, Krankheit und
Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten,
10jaehrige Jünglinge, 15jaehrige Maenner u.
s. w.

Die Erfahrung, meine nun bald 15jaehrige,
als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder
bloss zufaelliger Erfahrer, unter jungen Leuten
meines Alters, an sehr sehr vielen sind mir
Beweiss, trauriger Beweiss, dass alles dieses

den

termilch mit Thee und Kaffee verwechſelten.
So unſere Kindheit. Die Periode, wo wir
zu leſen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen-
nium, wo der empfindſame T[h]on, jene kraft-
loſe ſchmachtende Stimmung in allen Mode-
ſchriften herrſchte.

II.

Die Frucht vom Baum, der Erkenntniſs des
Guten und Böſen, die Aufklærung, der Ge-
ſchmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten,
können heut zu Tage nicht früh genug kom-
men. Die Menſchen leben eher, genieſsen
eher, taugen eher zum Umgang, in die Geſell-
ſchaften, zum Agiren auf Theatern, zum
Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei-
ne, zu früher Genuſs unreifer, Krankheit und
Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten,
10jæhrige Jünglinge, 15jæhrige Mænner u.
ſ. w.

Die Erfahrung, meine nun bald 15jæhrige,
als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder
bloſs zufælliger Erfahrer, unter jungen Leuten
meines Alters, an ſehr ſehr vielen ſind mir
Beweiſs, trauriger Beweiſs, daſs alles dieſes

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[127/0137] termilch mit Thee und Kaffee verwechſelten. So unſere Kindheit. Die Periode, wo wir zu leſen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen- nium, wo der empfindſame Thon, jene kraft- loſe ſchmachtende Stimmung in allen Mode- ſchriften herrſchte. II. Die Frucht vom Baum, der Erkenntniſs des Guten und Böſen, die Aufklærung, der Ge- ſchmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten, können heut zu Tage nicht früh genug kom- men. Die Menſchen leben eher, genieſsen eher, taugen eher zum Umgang, in die Geſell- ſchaften, zum Agiren auf Theatern, zum Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei- ne, zu früher Genuſs unreifer, Krankheit und Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten, 10jæhrige Jünglinge, 15jæhrige Mænner u. ſ. w. Die Erfahrung, meine nun bald 15jæhrige, als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder bloſs zufælliger Erfahrer, unter jungen Leuten meines Alters, an ſehr ſehr vielen ſind mir Beweiſs, trauriger Beweiſs, daſs alles dieſes den

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Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/137>, abgerufen am 25.04.2024.