Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

nuss ihnen erst nach vielen Jahren bestimmt
war. Weibliche Schönheit würde wahr-
scheinlich auf einen Knaben, mit schlichtem
geradem Sinne und unverdorbnem Wahr-
heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die
Bildung eines schönen Knaben. Wenn aber
ein anderer durch die Cultur von dem gera-
dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht,
mit verliebten Liedern, Schauspielen, Ge-
dichten, Romanen bekannt gemacht wird,
dann geht alles ganz verkehrt. Die junge
Seele, die für itzo keine andere Bestimmung
hatte, als spielen und lernen, gehorchen
und gefaellig seyn, faengt an sich zu verlieben,
und traumt von hübschen Maedchen in Jah-
ren, wo die Kinder sonst nur von Puppen
und Steckenpferden zu traeumen pflegten.

Eine so sonderbare Art von Geschöpfen
sind wir Menschen. Immer suchen wir uns
das weniger Wichtige mit Aufopferung des
Wichtigern zu verschaffen: verderben den
Magen, um den Gaumen zu kützeln, machen

uns

nuſs ihnen erſt nach vielen Jahren beſtimmt
war. Weibliche Schönheit würde wahr-
ſcheinlich auf einen Knaben, mit ſchlichtem
geradem Sinne und unverdorbnem Wahr-
heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die
Bildung eines ſchönen Knaben. Wenn aber
ein anderer durch die Cultur von dem gera-
dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht,
mit verliebten Liedern, Schauſpielen, Ge-
dichten, Romanen bekannt gemacht wird,
dann geht alles ganz verkehrt. Die junge
Seele, die für itzo keine andere Beſtimmung
hatte, als ſpielen und lernen, gehorchen
und gefællig ſeyn, fængt an ſich zu verlieben,
und traumt von hübſchen Mædchen in Jah-
ren, wo die Kinder ſonſt nur von Puppen
und Steckenpferden zu træumen pflegten.

Eine ſo ſonderbare Art von Geſchöpfen
ſind wir Menſchen. Immer ſuchen wir uns
das weniger Wichtige mit Aufopferung des
Wichtigern zu verſchaffen: verderben den
Magen, um den Gaumen zu kützeln, machen

uns
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0135" n="125"/>
nu&#x017F;s ihnen er&#x017F;t nach vielen Jahren be&#x017F;timmt<lb/>
war. Weibliche Schönheit würde wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich auf einen Knaben, mit &#x017F;chlichtem<lb/>
geradem Sinne und unverdorbnem Wahr-<lb/>
heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die<lb/>
Bildung eines &#x017F;chönen Knaben. Wenn aber<lb/>
ein anderer durch die Cultur von dem gera-<lb/>
dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht,<lb/>
mit verliebten Liedern, Schau&#x017F;pielen, Ge-<lb/>
dichten, Romanen bekannt gemacht wird,<lb/>
dann geht alles ganz verkehrt. Die junge<lb/>
Seele, die für itzo keine andere Be&#x017F;timmung<lb/>
hatte, als &#x017F;pielen und lernen, gehorchen<lb/>
und gefællig &#x017F;eyn, fængt an &#x017F;ich zu verlieben,<lb/>
und traumt von hüb&#x017F;chen Mædchen in Jah-<lb/>
ren, wo die Kinder &#x017F;on&#x017F;t nur von Puppen<lb/>
und Steckenpferden zu træumen pflegten.</p><lb/>
              <p>Eine &#x017F;o &#x017F;onderbare Art von Ge&#x017F;chöpfen<lb/>
&#x017F;ind wir Men&#x017F;chen. Immer &#x017F;uchen wir uns<lb/>
das weniger Wichtige mit Aufopferung des<lb/>
Wichtigern zu ver&#x017F;chaffen: verderben den<lb/>
Magen, um den Gaumen zu kützeln, machen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">uns</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0135] nuſs ihnen erſt nach vielen Jahren beſtimmt war. Weibliche Schönheit würde wahr- ſcheinlich auf einen Knaben, mit ſchlichtem geradem Sinne und unverdorbnem Wahr- heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die Bildung eines ſchönen Knaben. Wenn aber ein anderer durch die Cultur von dem gera- dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht, mit verliebten Liedern, Schauſpielen, Ge- dichten, Romanen bekannt gemacht wird, dann geht alles ganz verkehrt. Die junge Seele, die für itzo keine andere Beſtimmung hatte, als ſpielen und lernen, gehorchen und gefællig ſeyn, fængt an ſich zu verlieben, und traumt von hübſchen Mædchen in Jah- ren, wo die Kinder ſonſt nur von Puppen und Steckenpferden zu træumen pflegten. Eine ſo ſonderbare Art von Geſchöpfen ſind wir Menſchen. Immer ſuchen wir uns das weniger Wichtige mit Aufopferung des Wichtigern zu verſchaffen: verderben den Magen, um den Gaumen zu kützeln, machen uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/135
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/135>, abgerufen am 23.04.2024.