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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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Drittens: um zu lehren, wie man soll, muss
man die Fähigkeit der Zuhörer, nicht nur nicht ausser
Acht lassen, sondern bey der Wahl der Gedanken und
der Ausdrücke, und so viel es seyn kann, bey jedem
Gedanken und Ausdruck, den man wählt, im Sinn be-
halten.

Lehre so, wie es die Fähigkeit deiner Zuhörer
und ihr Vermögen, zu tragen, erheischt.

Denn der Prediger ist Lehrer des Volkes, und zum
Besten des Volkes. Wenn er also von den Meisten nicht
verstanden wird, und von den Meisten, die ihn doch
gerne verstehen möchten, nicht verstanden werden kann:
so ist es gerade so viel, als wenn er vor deutschem Vol-
ke eine hebräische Vorlesung gehalten hätte.

Hebräisch ist dem deutschen Volke (*) 1) der
philosophischspekulative Klingklang allgemeiner Begriffe
von Tugend, Weisheit, Glückseligkeit, Religion, Pflicht,
Natur, Menschheit
, u. s. f. wenn der Sinn dieser Worte
nicht durch Beyspiele, einzele Fälle, Bilder, Geschichte
und gemeinen Ausdruck den unphilosophischen Köpfen
geniessbar gemacht wird. Könnte der Prediger ahnen,

was
(*) Es ist hier von dem Volke in unsern Gegenden die Rede.
Steht dein Volk, lieber Mann, höher als das unsre: so darf
dein Vortrag vor deinem Volke auch einen höhern Flug
nehmen, als etwa in unsern Gegenden. Uebrigens ver-
giss nie, dass zehn Köpfe das Volk nicht ausmachen; dass
Volk überall Volk sey; dass die Predigt nicht leicht zu klar
werden könne; dass die Unwissenden, Schwachen auch
unsterbliche Seelen haben, und der Arzt nur für die Kran-
ken sey.

Drittens: um zu lehren, wie man ſoll, muſs
man die Fähigkeit der Zuhörer, nicht nur nicht auſſer
Acht laſſen, ſondern bey der Wahl der Gedanken und
der Ausdrücke, und ſo viel es ſeyn kann, bey jedem
Gedanken und Ausdruck, den man wählt, im Sinn be-
halten.

Lehre ſo, wie es die Fähigkeit deiner Zuhörer
und ihr Vermögen, zu tragen, erheiſcht.

Denn der Prediger iſt Lehrer des Volkes, und zum
Beſten des Volkes. Wenn er alſo von den Meiſten nicht
verſtanden wird, und von den Meiſten, die ihn doch
gerne verſtehen möchten, nicht verſtanden werden kann:
ſo iſt es gerade ſo viel, als wenn er vor deutſchem Vol-
ke eine hebräiſche Vorleſung gehalten hätte.

Hebräiſch iſt dem deutſchen Volke (*) 1) der
philoſophiſchſpekulative Klingklang allgemeiner Begriffe
von Tugend, Weisheit, Glückſeligkeit, Religion, Pflicht,
Natur, Menſchheit
, u. ſ. f. wenn der Sinn dieſer Worte
nicht durch Beyſpiele, einzele Fälle, Bilder, Geſchichte
und gemeinen Ausdruck den unphiloſophiſchen Köpfen
genieſsbar gemacht wird. Könnte der Prediger ahnen,

was
(*) Es iſt hier von dem Volke in unſern Gegenden die Rede.
Steht dein Volk, lieber Mann, höher als das unſre: ſo darf
dein Vortrag vor deinem Volke auch einen höhern Flug
nehmen, als etwa in unſern Gegenden. Uebrigens ver-
giſs nie, daſs zehn Köpfe das Volk nicht ausmachen; daſs
Volk überall Volk ſey; daſs die Predigt nicht leicht zu klar
werden könne; daſs die Unwiſſenden, Schwachen auch
unſterbliche Seelen haben, und der Arzt nur für die Kran-
ken ſey.
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[36/0050] Drittens: um zu lehren, wie man ſoll, muſs man die Fähigkeit der Zuhörer, nicht nur nicht auſſer Acht laſſen, ſondern bey der Wahl der Gedanken und der Ausdrücke, und ſo viel es ſeyn kann, bey jedem Gedanken und Ausdruck, den man wählt, im Sinn be- halten. Lehre ſo, wie es die Fähigkeit deiner Zuhörer und ihr Vermögen, zu tragen, erheiſcht. Denn der Prediger iſt Lehrer des Volkes, und zum Beſten des Volkes. Wenn er alſo von den Meiſten nicht verſtanden wird, und von den Meiſten, die ihn doch gerne verſtehen möchten, nicht verſtanden werden kann: ſo iſt es gerade ſo viel, als wenn er vor deutſchem Vol- ke eine hebräiſche Vorleſung gehalten hätte. Hebräiſch iſt dem deutſchen Volke (*) 1) der philoſophiſchſpekulative Klingklang allgemeiner Begriffe von Tugend, Weisheit, Glückſeligkeit, Religion, Pflicht, Natur, Menſchheit, u. ſ. f. wenn der Sinn dieſer Worte nicht durch Beyſpiele, einzele Fälle, Bilder, Geſchichte und gemeinen Ausdruck den unphiloſophiſchen Köpfen genieſsbar gemacht wird. Könnte der Prediger ahnen, was (*) Es iſt hier von dem Volke in unſern Gegenden die Rede. Steht dein Volk, lieber Mann, höher als das unſre: ſo darf dein Vortrag vor deinem Volke auch einen höhern Flug nehmen, als etwa in unſern Gegenden. Uebrigens ver- giſs nie, daſs zehn Köpfe das Volk nicht ausmachen; daſs Volk überall Volk ſey; daſs die Predigt nicht leicht zu klar werden könne; daſs die Unwiſſenden, Schwachen auch unſterbliche Seelen haben, und der Arzt nur für die Kran- ken ſey.

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/50>, abgerufen am 29.03.2024.