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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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diesen Gebrauch zur hellern und festern Ansicht des
Erkannten. Wer z. B. der Lehre: Widersteh den Ein-
sprechungen der Eigenliebe, der Eitelkeit, der Rache
,
treu nachkommt, wird durch den Widerstand gegen
diese Foderungen erst den Sinn der Lehre recht verste-
hen lernen, und tiefer in sich graben lassen. Die Ue-
bung schärft doch in allem die Kraft: man wird also
auch, durch Erfüllung der Pflicht, mit der Pflicht selbst
vertrauter werden.

Wer das erkannte Wahre wohl anwendet, wird
b. nach und nach selbst eine Copie des Wahren, des Gu-
ten, wird im gegebnen Falle immer reiner von Eigen-
liebe, Eitelkeit, Rachbegier; kann also nicht mehr an
der Anwendbarkeit der Lehre zweifeln, da er sie le-
bendig in sich trägt; wird die Lehre nicht mehr so
leicht aus seinem Andenken verlieren, da er sie nicht
mehr bloss in Büchern, sondern in sich hat.

Wer das erkannte Wahre wohl anwendet, wird
c. nach und nach an Reinheit des Sinnes den grossen
Zeugen der Wahrheit, Johannes, Paulus etc. ähnlich;
diese Aehnlichkeit macht ihn nicht nur geneigter den
Zeugen zu glauben, sondern auch fähiger, die Bedeu-
tung des Zeugnisses zu verstehen, weil er etwas von
ihrem Geiste in sich hat, und man doch den Geist
dieser Zeugen haben muss, um diese Zeugen ganz zu
verstehen.

Es giebt uns auch d. die Erziehung einen Fin-
gerzeig, den kein wahrheitliebender Mensch übersehen
oder gering achten soll. Wird nicht das Kind durch

Thun
B 5

dieſen Gebrauch zur hellern und feſtern Anſicht des
Erkannten. Wer z. B. der Lehre: Widerſteh den Ein-
ſprechungen der Eigenliebe, der Eitelkeit, der Rache
,
treu nachkommt, wird durch den Widerſtand gegen
dieſe Foderungen erſt den Sinn der Lehre recht verſte-
hen lernen, und tiefer in ſich graben laſſen. Die Ue-
bung ſchärft doch in allem die Kraft: man wird alſo
auch, durch Erfüllung der Pflicht, mit der Pflicht ſelbſt
vertrauter werden.

Wer das erkannte Wahre wohl anwendet, wird
b. nach und nach ſelbſt eine Copie des Wahren, des Gu-
ten, wird im gegebnen Falle immer reiner von Eigen-
liebe, Eitelkeit, Rachbegier; kann alſo nicht mehr an
der Anwendbarkeit der Lehre zweifeln, da er ſie le-
bendig in ſich trägt; wird die Lehre nicht mehr ſo
leicht aus ſeinem Andenken verlieren, da er ſie nicht
mehr bloſs in Büchern, ſondern in ſich hat.

Wer das erkannte Wahre wohl anwendet, wird
c. nach und nach an Reinheit des Sinnes den groſſen
Zeugen der Wahrheit, Johannes, Paulus etc. ähnlich;
dieſe Aehnlichkeit macht ihn nicht nur geneigter den
Zeugen zu glauben, ſondern auch fähiger, die Bedeu-
tung des Zeugniſſes zu verſtehen, weil er etwas von
ihrem Geiſte in ſich hat, und man doch den Geiſt
dieſer Zeugen haben muſs, um dieſe Zeugen ganz zu
verſtehen.

Es giebt uns auch d. die Erziehung einen Fin-
gerzeig, den kein wahrheitliebender Menſch überſehen
oder gering achten ſoll. Wird nicht das Kind durch

Thun
B 5
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[25/0039] dieſen Gebrauch zur hellern und feſtern Anſicht des Erkannten. Wer z. B. der Lehre: Widerſteh den Ein- ſprechungen der Eigenliebe, der Eitelkeit, der Rache, treu nachkommt, wird durch den Widerſtand gegen dieſe Foderungen erſt den Sinn der Lehre recht verſte- hen lernen, und tiefer in ſich graben laſſen. Die Ue- bung ſchärft doch in allem die Kraft: man wird alſo auch, durch Erfüllung der Pflicht, mit der Pflicht ſelbſt vertrauter werden. Wer das erkannte Wahre wohl anwendet, wird b. nach und nach ſelbſt eine Copie des Wahren, des Gu- ten, wird im gegebnen Falle immer reiner von Eigen- liebe, Eitelkeit, Rachbegier; kann alſo nicht mehr an der Anwendbarkeit der Lehre zweifeln, da er ſie le- bendig in ſich trägt; wird die Lehre nicht mehr ſo leicht aus ſeinem Andenken verlieren, da er ſie nicht mehr bloſs in Büchern, ſondern in ſich hat. Wer das erkannte Wahre wohl anwendet, wird c. nach und nach an Reinheit des Sinnes den groſſen Zeugen der Wahrheit, Johannes, Paulus etc. ähnlich; dieſe Aehnlichkeit macht ihn nicht nur geneigter den Zeugen zu glauben, ſondern auch fähiger, die Bedeu- tung des Zeugniſſes zu verſtehen, weil er etwas von ihrem Geiſte in ſich hat, und man doch den Geiſt dieſer Zeugen haben muſs, um dieſe Zeugen ganz zu verſtehen. Es giebt uns auch d. die Erziehung einen Fin- gerzeig, den kein wahrheitliebender Menſch überſehen oder gering achten ſoll. Wird nicht das Kind durch Thun B 5

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/39>, abgerufen am 29.03.2024.