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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die deutschen und niederländischen Botaniker
men zu umgrenzen und zu fixiren, sieht sie sich sofort in Schwie-
rigkeiten verwickelt, deren Lösung die Aufstellung systematischer
Begriffe ganz unmittelbar herbeiführt. Die Vergleichung der
Kräuterbücher von Fuchs und Bock bis auf Caspar Bauhin
zeigt nun sehr deutlich, wie jene Schwierigkeiten Schritt für
Schritt überwunden wurden, wie die Beschreibung der einzelnen
Arten nothwendig und ohne daß es die Autoren beabsichtigten, zu
Auseinandersetzungen systematischer Natur hinführten. Wo die
Species einer Formengruppe, die wir jetzt als Gattung resp.
Familie bezeichnen, in hohem Grade einander habituell ähnlich
sind, da trat ganz von selbst und instinktiv das Gefühl für die
Zusammengehörigkeit solcher Formen hervor; es machte sich
sprachlich darin geltend, daß man von vorneherein zahlreiche
derartige Formen ohne Bedenken mit demselben Namen bezeichnete,
so finden wir, um von vielen Beispielen eines zu erwähnen, bei
Bock mit dem Namen Wolfsmilch, Euphorbia, nicht eine Spe-cies dieser Gattung, sondern mehrere solche bezeichnet, die der
Verfasser nun durch Beinamen (gemeine, kleinste, cypressene,
süße) unterscheidet. Sehr lehrreich in dieser Beziehung ist die
gewöhnliche Ausdrucksweise der Kräuterbücher: es gebe von die-
ser oder jener Pflanze zwei oder mehr, die man vorher nur nicht
unterschieden hatte. Aber dieses Gefühl der Zusammengehörig-
keit und Gleichartigkeit wurde nicht blos durch Formen nächster
Verwandtschaft, sondern auch durch solche, welche weitläufigen
Gruppen des Systems angehören, hervorgerufen; so umfaßten
längst die Worte Moos, Flechte, Pilz, Alge, Farnkraut u. a.
eine große Zahl verschiedener Formen, wenn auch freilich die Un-
terscheidung dieser Gruppen nirgends logisch scharf durchgeführt
wurde.

Das eben Gesagte ist insofern von Gewicht, als sich daraus
auf das Bestimmteste die Unrichtigkeit der Behauptung ergiebt,
das Studium der Organismen gehe aus oder sei zunächst aus-
gegangen von der Kenntniß der einzelnen Species; diese sei das
unmittelbar Gegebene und ohne ihre vorgängige Kenntniß sei
kein Fortschritt der Wissenschaft möglich. Historische Thatsache

Die deutſchen und niederländiſchen Botaniker
men zu umgrenzen und zu fixiren, ſieht ſie ſich ſofort in Schwie-
rigkeiten verwickelt, deren Löſung die Aufſtellung ſyſtematiſcher
Begriffe ganz unmittelbar herbeiführt. Die Vergleichung der
Kräuterbücher von Fuchs und Bock bis auf Caspar Bauhin
zeigt nun ſehr deutlich, wie jene Schwierigkeiten Schritt für
Schritt überwunden wurden, wie die Beſchreibung der einzelnen
Arten nothwendig und ohne daß es die Autoren beabſichtigten, zu
Auseinanderſetzungen ſyſtematiſcher Natur hinführten. Wo die
Species einer Formengruppe, die wir jetzt als Gattung resp.
Familie bezeichnen, in hohem Grade einander habituell ähnlich
ſind, da trat ganz von ſelbſt und inſtinktiv das Gefühl für die
Zuſammengehörigkeit ſolcher Formen hervor; es machte ſich
ſprachlich darin geltend, daß man von vorneherein zahlreiche
derartige Formen ohne Bedenken mit demſelben Namen bezeichnete,
ſo finden wir, um von vielen Beiſpielen eines zu erwähnen, bei
Bock mit dem Namen Wolfsmilch, Euphorbia, nicht eine Spe-cies dieſer Gattung, ſondern mehrere ſolche bezeichnet, die der
Verfaſſer nun durch Beinamen (gemeine, kleinſte, cypreſſene,
ſüße) unterſcheidet. Sehr lehrreich in dieſer Beziehung iſt die
gewöhnliche Ausdrucksweiſe der Kräuterbücher: es gebe von die-
ſer oder jener Pflanze zwei oder mehr, die man vorher nur nicht
unterſchieden hatte. Aber dieſes Gefühl der Zuſammengehörig-
keit und Gleichartigkeit wurde nicht blos durch Formen nächſter
Verwandtſchaft, ſondern auch durch ſolche, welche weitläufigen
Gruppen des Syſtems angehören, hervorgerufen; ſo umfaßten
längſt die Worte Moos, Flechte, Pilz, Alge, Farnkraut u. a.
eine große Zahl verſchiedener Formen, wenn auch freilich die Un-
terſcheidung dieſer Gruppen nirgends logiſch ſcharf durchgeführt
wurde.

Das eben Geſagte iſt inſofern von Gewicht, als ſich daraus
auf das Beſtimmteſte die Unrichtigkeit der Behauptung ergiebt,
das Studium der Organismen gehe aus oder ſei zunächſt aus-
gegangen von der Kenntniß der einzelnen Species; dieſe ſei das
unmittelbar Gegebene und ohne ihre vorgängige Kenntniß ſei
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[26/0038] Die deutſchen und niederländiſchen Botaniker men zu umgrenzen und zu fixiren, ſieht ſie ſich ſofort in Schwie- rigkeiten verwickelt, deren Löſung die Aufſtellung ſyſtematiſcher Begriffe ganz unmittelbar herbeiführt. Die Vergleichung der Kräuterbücher von Fuchs und Bock bis auf Caspar Bauhin zeigt nun ſehr deutlich, wie jene Schwierigkeiten Schritt für Schritt überwunden wurden, wie die Beſchreibung der einzelnen Arten nothwendig und ohne daß es die Autoren beabſichtigten, zu Auseinanderſetzungen ſyſtematiſcher Natur hinführten. Wo die Species einer Formengruppe, die wir jetzt als Gattung resp. Familie bezeichnen, in hohem Grade einander habituell ähnlich ſind, da trat ganz von ſelbſt und inſtinktiv das Gefühl für die Zuſammengehörigkeit ſolcher Formen hervor; es machte ſich ſprachlich darin geltend, daß man von vorneherein zahlreiche derartige Formen ohne Bedenken mit demſelben Namen bezeichnete, ſo finden wir, um von vielen Beiſpielen eines zu erwähnen, bei Bock mit dem Namen Wolfsmilch, Euphorbia, nicht eine Spe-cies dieſer Gattung, ſondern mehrere ſolche bezeichnet, die der Verfaſſer nun durch Beinamen (gemeine, kleinſte, cypreſſene, ſüße) unterſcheidet. Sehr lehrreich in dieſer Beziehung iſt die gewöhnliche Ausdrucksweiſe der Kräuterbücher: es gebe von die- ſer oder jener Pflanze zwei oder mehr, die man vorher nur nicht unterſchieden hatte. Aber dieſes Gefühl der Zuſammengehörig- keit und Gleichartigkeit wurde nicht blos durch Formen nächſter Verwandtſchaft, ſondern auch durch ſolche, welche weitläufigen Gruppen des Syſtems angehören, hervorgerufen; ſo umfaßten längſt die Worte Moos, Flechte, Pilz, Alge, Farnkraut u. a. eine große Zahl verſchiedener Formen, wenn auch freilich die Un- terſcheidung dieſer Gruppen nirgends logiſch ſcharf durchgeführt wurde. Das eben Geſagte iſt inſofern von Gewicht, als ſich daraus auf das Beſtimmteſte die Unrichtigkeit der Behauptung ergiebt, das Studium der Organismen gehe aus oder ſei zunächſt aus- gegangen von der Kenntniß der einzelnen Species; dieſe ſei das unmittelbar Gegebene und ohne ihre vorgängige Kenntniß ſei kein Fortſchritt der Wiſſenſchaft möglich. Hiſtoriſche Thatſache

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/38>, abgerufen am 25.04.2024.