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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die deutschen und niederländischen Botaniker
Theophrastos auch an Erfahrung reicher war, so sah er die
Thatsachen doch im Lichte der philosophischen Lehren seines
Lehrers. Wenn es auch uns gegenwärtig gelingt, aus den
Schriften des Aristoteles und Theophrastos manches
Richtige herauszulesen, so war es doch gut, daß die ersten Ver-
fasser der Kräuterbücher sich darum nicht weiter kümmerten, son-
dern Hunderte und Tausende möglichst genauer Einzelbeschreibungen
von Pflanzen anhäuften. Die Geschichte zeigt, daß auf diesem
Wege im Laufe weniger Jahrzehnte eine neue Wissenschaft
entstanden ist, während die philosophische Botanik des Aristo-
teles und Theophrastos zu keinem nennenswerthen Er-
gebniß geführt hat. Wir werden zudem im folgenden Ab-
schnitte sehen, wie selbst in den Händen eines philosophisch
begabten und geschulten Mannes wie Caesalpin es war, die
aristotelische Weisheit in der Naturgeschichte der Pflanzen nur
Unheil anrichtete.

Wenn die Verfasser der Kräuterbücher auch nicht darauf
ausgingen, allgemeine Sätze aus ihren Beobachtungen abzuleiten,
so ergaben sich doch nach und nach aus den sich häufenden Ein-
zelbeschreibungen ganz von selbst Wahrnehmungen von abstracter
und umfassenderer Art; vor Allem bildete sich das Gefühl für
die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit der Formen und endlich die
Wahrnehmung der natürlichen Verwandtschaften aus; und wenn
diese auch noch keineswegs wissenschaftlich logisch bearbeitet wurde,
so war sie doch auch in der unbestimmten Form, wie sie sich
bei Lobelius 1576 und klarer bei Caspar Bauhin 1623
geltend machte ein Ergebniß von höchstem Werthe; ein Resultat,
von welchem das gelehrte Alterthum ebensowenig wie das Mittel-
alter auch nur die geringste Ahnung besaß. Die Wahrnehmung
der natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse konnte eben nur aus
tausendfältig wiederholter genauer Einzelbeschreibung, nicht aber
aus den Abstractionen der aristotelischen Schule, welche wesentlich
auf oberflächlicher Beobachtung beruhten, gewonnen werden. Der
wissenschaftliche Werth der Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts
lag also zumeist in der Einzelbeschreibung solcher Pflanzen, welche

Die deutſchen und niederländiſchen Botaniker
Theophraſtos auch an Erfahrung reicher war, ſo ſah er die
Thatſachen doch im Lichte der philoſophiſchen Lehren ſeines
Lehrers. Wenn es auch uns gegenwärtig gelingt, aus den
Schriften des Ariſtoteles und Theophraſtos manches
Richtige herauszuleſen, ſo war es doch gut, daß die erſten Ver-
faſſer der Kräuterbücher ſich darum nicht weiter kümmerten, ſon-
dern Hunderte und Tauſende möglichſt genauer Einzelbeſchreibungen
von Pflanzen anhäuften. Die Geſchichte zeigt, daß auf dieſem
Wege im Laufe weniger Jahrzehnte eine neue Wiſſenſchaft
entſtanden iſt, während die philoſophiſche Botanik des Ariſto-
teles und Theophraſtos zu keinem nennenswerthen Er-
gebniß geführt hat. Wir werden zudem im folgenden Ab-
ſchnitte ſehen, wie ſelbſt in den Händen eines philoſophiſch
begabten und geſchulten Mannes wie Caeſalpin es war, die
ariſtoteliſche Weisheit in der Naturgeſchichte der Pflanzen nur
Unheil anrichtete.

Wenn die Verfaſſer der Kräuterbücher auch nicht darauf
ausgingen, allgemeine Sätze aus ihren Beobachtungen abzuleiten,
ſo ergaben ſich doch nach und nach aus den ſich häufenden Ein-
zelbeſchreibungen ganz von ſelbſt Wahrnehmungen von abſtracter
und umfaſſenderer Art; vor Allem bildete ſich das Gefühl für
die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit der Formen und endlich die
Wahrnehmung der natürlichen Verwandtſchaften aus; und wenn
dieſe auch noch keineswegs wiſſenſchaftlich logiſch bearbeitet wurde,
ſo war ſie doch auch in der unbeſtimmten Form, wie ſie ſich
bei Lobelius 1576 und klarer bei Caspar Bauhin 1623
geltend machte ein Ergebniß von höchſtem Werthe; ein Reſultat,
von welchem das gelehrte Alterthum ebenſowenig wie das Mittel-
alter auch nur die geringſte Ahnung beſaß. Die Wahrnehmung
der natürlichen Verwandtſchaftsverhältniſſe konnte eben nur aus
tauſendfältig wiederholter genauer Einzelbeſchreibung, nicht aber
aus den Abſtractionen der ariſtoteliſchen Schule, welche weſentlich
auf oberflächlicher Beobachtung beruhten, gewonnen werden. Der
wiſſenſchaftliche Werth der Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts
lag alſo zumeiſt in der Einzelbeſchreibung ſolcher Pflanzen, welche

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[18/0030] Die deutſchen und niederländiſchen Botaniker Theophraſtos auch an Erfahrung reicher war, ſo ſah er die Thatſachen doch im Lichte der philoſophiſchen Lehren ſeines Lehrers. Wenn es auch uns gegenwärtig gelingt, aus den Schriften des Ariſtoteles und Theophraſtos manches Richtige herauszuleſen, ſo war es doch gut, daß die erſten Ver- faſſer der Kräuterbücher ſich darum nicht weiter kümmerten, ſon- dern Hunderte und Tauſende möglichſt genauer Einzelbeſchreibungen von Pflanzen anhäuften. Die Geſchichte zeigt, daß auf dieſem Wege im Laufe weniger Jahrzehnte eine neue Wiſſenſchaft entſtanden iſt, während die philoſophiſche Botanik des Ariſto- teles und Theophraſtos zu keinem nennenswerthen Er- gebniß geführt hat. Wir werden zudem im folgenden Ab- ſchnitte ſehen, wie ſelbſt in den Händen eines philoſophiſch begabten und geſchulten Mannes wie Caeſalpin es war, die ariſtoteliſche Weisheit in der Naturgeſchichte der Pflanzen nur Unheil anrichtete. Wenn die Verfaſſer der Kräuterbücher auch nicht darauf ausgingen, allgemeine Sätze aus ihren Beobachtungen abzuleiten, ſo ergaben ſich doch nach und nach aus den ſich häufenden Ein- zelbeſchreibungen ganz von ſelbſt Wahrnehmungen von abſtracter und umfaſſenderer Art; vor Allem bildete ſich das Gefühl für die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit der Formen und endlich die Wahrnehmung der natürlichen Verwandtſchaften aus; und wenn dieſe auch noch keineswegs wiſſenſchaftlich logiſch bearbeitet wurde, ſo war ſie doch auch in der unbeſtimmten Form, wie ſie ſich bei Lobelius 1576 und klarer bei Caspar Bauhin 1623 geltend machte ein Ergebniß von höchſtem Werthe; ein Reſultat, von welchem das gelehrte Alterthum ebenſowenig wie das Mittel- alter auch nur die geringſte Ahnung beſaß. Die Wahrnehmung der natürlichen Verwandtſchaftsverhältniſſe konnte eben nur aus tauſendfältig wiederholter genauer Einzelbeſchreibung, nicht aber aus den Abſtractionen der ariſtoteliſchen Schule, welche weſentlich auf oberflächlicher Beobachtung beruhten, gewonnen werden. Der wiſſenſchaftliche Werth der Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts lag alſo zumeiſt in der Einzelbeſchreibung ſolcher Pflanzen, welche

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/30>, abgerufen am 25.04.2024.