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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die deutschen und niederländischen Botaniker
weniger gut wären, ein großes Verdienst dieser Männer um die
Geschichte unserer Wissenschaft liegen; denn soweit war die bo-
tanische Literatur vor ihnen heruntergekommen, daß nicht nur
die Bilder, wie in dem erwähnten Hortus sanitatis fabelhafte
Zuthaten enthielten, zum Theil ganz nach der Phantasie ent-
worfen waren, sondern auch die mageren Beschreibungen selbst
ganz gemeiner Pflanzen waren nicht nach der Natur gemacht,
vielmehr von früheren Autoritäten entlehnt und mit abergläu-
bischem Fabelwesen durchwebt. Mit der Unterdrückung und Ver-
kümmerung des selbstständigen Urtheils im Mittelalter war end-
lich sogar die Thätigkeit der Sinne (die ja zum großen Theil
auf unbewußten Verstandesoperationen beruht) krankhaft gewor-
den; selbst diejenigen, welche sich mit Naturgegenständen be-
schäftigten, sahen dieselben in fratzenhafter Verzerrung: jeder
sinnliche Eindruck wurde durch die Thätigkeit einer abergläubi-
schen Phantasie verunreinigt und entstellt. Dieser Verkommen-
heit gegenüber erscheinen die kindlichen Beschreibungen Bock's
sachgemäß, naturgetreu und durch ihre frische Unmittelbarkeit
wohlthuend; während bei dem gelehrteren Fuchs mit wirklicher
Naturforschung sich schon literarische Kritik verbindet. Es war
sehr viel damit gewonnen, daß man wieder anfing, die Pflanze
mit offenem Auge anzuschauen, sich ihrer Mannigfaltigkeit und
Schönheit zu erfreuen. Einstweilen kam nichts darauf an, über
das Wesen der Pflanzenformen, über die Ursache des Pflanzen-
lebens zu philosophiren; dazu war es Zeit, wenn man in der
Wahrnehmung ihrer Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten die
nöthige Uebung gewonnen hatte.

Nur in sehr beschränktem Sinne knüpften die sogenannten
deutschen Väter der Botanik an die botanische Literatur des
klassischen Alterthums an; indem sie, wie erwähnt, in den
Pflanzen ihrer Heimath die von Theophrast, Dioscorides,
Plinius, Galen genannten Pflanzen wieder zu erkennen
suchten. Das führte allerdings zunächst zu sehr zahlreichen
Irrthümern; denn die Beschreibungen der Alten waren höchst
kümmerlich und zur Wiedererkennung ihrer Pflanzen oft ganz

Die deutſchen und niederländiſchen Botaniker
weniger gut wären, ein großes Verdienſt dieſer Männer um die
Geſchichte unſerer Wiſſenſchaft liegen; denn ſoweit war die bo-
taniſche Literatur vor ihnen heruntergekommen, daß nicht nur
die Bilder, wie in dem erwähnten Hortus sanitatis fabelhafte
Zuthaten enthielten, zum Theil ganz nach der Phantaſie ent-
worfen waren, ſondern auch die mageren Beſchreibungen ſelbſt
ganz gemeiner Pflanzen waren nicht nach der Natur gemacht,
vielmehr von früheren Autoritäten entlehnt und mit abergläu-
biſchem Fabelweſen durchwebt. Mit der Unterdrückung und Ver-
kümmerung des ſelbſtſtändigen Urtheils im Mittelalter war end-
lich ſogar die Thätigkeit der Sinne (die ja zum großen Theil
auf unbewußten Verſtandesoperationen beruht) krankhaft gewor-
den; ſelbſt diejenigen, welche ſich mit Naturgegenſtänden be-
ſchäftigten, ſahen dieſelben in fratzenhafter Verzerrung: jeder
ſinnliche Eindruck wurde durch die Thätigkeit einer abergläubi-
ſchen Phantaſie verunreinigt und entſtellt. Dieſer Verkommen-
heit gegenüber erſcheinen die kindlichen Beſchreibungen Bock's
ſachgemäß, naturgetreu und durch ihre friſche Unmittelbarkeit
wohlthuend; während bei dem gelehrteren Fuchs mit wirklicher
Naturforſchung ſich ſchon literariſche Kritik verbindet. Es war
ſehr viel damit gewonnen, daß man wieder anfing, die Pflanze
mit offenem Auge anzuſchauen, ſich ihrer Mannigfaltigkeit und
Schönheit zu erfreuen. Einſtweilen kam nichts darauf an, über
das Weſen der Pflanzenformen, über die Urſache des Pflanzen-
lebens zu philoſophiren; dazu war es Zeit, wenn man in der
Wahrnehmung ihrer Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten die
nöthige Uebung gewonnen hatte.

Nur in ſehr beſchränktem Sinne knüpften die ſogenannten
deutſchen Väter der Botanik an die botaniſche Literatur des
klaſſiſchen Alterthums an; indem ſie, wie erwähnt, in den
Pflanzen ihrer Heimath die von Theophraſt, Dioscorides,
Plinius, Galen genannten Pflanzen wieder zu erkennen
ſuchten. Das führte allerdings zunächſt zu ſehr zahlreichen
Irrthümern; denn die Beſchreibungen der Alten waren höchſt
kümmerlich und zur Wiedererkennung ihrer Pflanzen oft ganz

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[16/0028] Die deutſchen und niederländiſchen Botaniker weniger gut wären, ein großes Verdienſt dieſer Männer um die Geſchichte unſerer Wiſſenſchaft liegen; denn ſoweit war die bo- taniſche Literatur vor ihnen heruntergekommen, daß nicht nur die Bilder, wie in dem erwähnten Hortus sanitatis fabelhafte Zuthaten enthielten, zum Theil ganz nach der Phantaſie ent- worfen waren, ſondern auch die mageren Beſchreibungen ſelbſt ganz gemeiner Pflanzen waren nicht nach der Natur gemacht, vielmehr von früheren Autoritäten entlehnt und mit abergläu- biſchem Fabelweſen durchwebt. Mit der Unterdrückung und Ver- kümmerung des ſelbſtſtändigen Urtheils im Mittelalter war end- lich ſogar die Thätigkeit der Sinne (die ja zum großen Theil auf unbewußten Verſtandesoperationen beruht) krankhaft gewor- den; ſelbſt diejenigen, welche ſich mit Naturgegenſtänden be- ſchäftigten, ſahen dieſelben in fratzenhafter Verzerrung: jeder ſinnliche Eindruck wurde durch die Thätigkeit einer abergläubi- ſchen Phantaſie verunreinigt und entſtellt. Dieſer Verkommen- heit gegenüber erſcheinen die kindlichen Beſchreibungen Bock's ſachgemäß, naturgetreu und durch ihre friſche Unmittelbarkeit wohlthuend; während bei dem gelehrteren Fuchs mit wirklicher Naturforſchung ſich ſchon literariſche Kritik verbindet. Es war ſehr viel damit gewonnen, daß man wieder anfing, die Pflanze mit offenem Auge anzuſchauen, ſich ihrer Mannigfaltigkeit und Schönheit zu erfreuen. Einſtweilen kam nichts darauf an, über das Weſen der Pflanzenformen, über die Urſache des Pflanzen- lebens zu philoſophiren; dazu war es Zeit, wenn man in der Wahrnehmung ihrer Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten die nöthige Uebung gewonnen hatte. Nur in ſehr beſchränktem Sinne knüpften die ſogenannten deutſchen Väter der Botanik an die botaniſche Literatur des klaſſiſchen Alterthums an; indem ſie, wie erwähnt, in den Pflanzen ihrer Heimath die von Theophraſt, Dioscorides, Plinius, Galen genannten Pflanzen wieder zu erkennen ſuchten. Das führte allerdings zunächſt zu ſehr zahlreichen Irrthümern; denn die Beſchreibungen der Alten waren höchſt kümmerlich und zur Wiedererkennung ihrer Pflanzen oft ganz

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/28>, abgerufen am 29.03.2024.