Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
mehr und anders ist, als bloße sinnlich wahrnehmbare Aehnlichkeit,
wußte jeder Systematiker. Denkenden Männern aber konnte der
innere Widerspruch nicht verborgen bleiben, der zwischen der
Annahme absoluter Verschiedenheit des Ursprungs der Arten
(denn das bedeutet die Constanz derselben) und der Thatsache
ihrer inneren Verwandtschaft liegt. Schon Linne hatte in
späteren Jahren sehr wunderliche Versuche gemacht, diesen Wider-
spruch zu lösen; seine Nachfolger schlugen jedoch einen andern Weg
ein; seit dem 16. Jahrhundert hatten sich unter den Systemati-
kern, zumal seit Linne die Führung übernommen, mancherlei
scholastische Elemente erhalten und ganz besonders war es die
mißverstandene Ideenlehre Plato's, durch welche das Dogma
der Constanz der Formen eine philosophische Berechtigung zu
gewinnen schien, die man sich um so lieber gefallen ließ, als sie
zugleich mit den kirchlichen Lehren im besten Einklang stand.
Wenn sich, wie Elias Fries 1835 sagte, in dem natürlichen
System quoddam supranaturale d. h. eben die Verwandtschaft
der Organismen vorfindet, so schien dies um so besser; nach dem-
selben Autor drückt jede Abtheilung des Systems eine Idee aus
(singula sphaera (sectio) ideam quandam exponit) und alle
diese Ideen ließen sich nun in ihrem idealen Zusammenhange
leicht als Schöpfungsplan deuten. Die etwaigen Bedenken, welche
sich aus zahlreichen Beobachtungen und theoretischen Erwägungen
gegen eine derartige Auffassung erheben konnten, pflegte man
nicht weiter zu beachten. Uebrigens kamen derartige Betrachtun-
gen über das Wesen des natürlichen Systems nur selten zum
Vorschein; gerade die Verständigsten fühlten sich unbehaglich in
diesem unbestimmten Wesen und verwendeten ihre Zeit und Kraft
lieber auf die Erforschung der Verwandtschaftsverhältnisse im
Einzelnen. Allein übersehen ließ sich nun einmal nicht, daß
es sich hier um eine Fundamentalfrage der Wissenschaft handle.
Später förderten die neueren zuerst von Nägeli angeregten
morphologischen Forschungen die wichtigsten systematischen Resultate
zu Tage, Thatsachen, welche die Annahme, daß jede systematische
Gruppe eine Idee im platonischen Sinne repräsentire, erschüttern

Einleitung.
mehr und anders iſt, als bloße ſinnlich wahrnehmbare Aehnlichkeit,
wußte jeder Syſtematiker. Denkenden Männern aber konnte der
innere Widerſpruch nicht verborgen bleiben, der zwiſchen der
Annahme abſoluter Verſchiedenheit des Urſprungs der Arten
(denn das bedeutet die Conſtanz derſelben) und der Thatſache
ihrer inneren Verwandtſchaft liegt. Schon Linné hatte in
ſpäteren Jahren ſehr wunderliche Verſuche gemacht, dieſen Wider-
ſpruch zu löſen; ſeine Nachfolger ſchlugen jedoch einen andern Weg
ein; ſeit dem 16. Jahrhundert hatten ſich unter den Syſtemati-
kern, zumal ſeit Linné die Führung übernommen, mancherlei
ſcholaſtiſche Elemente erhalten und ganz beſonders war es die
mißverſtandene Ideenlehre Plato's, durch welche das Dogma
der Conſtanz der Formen eine philoſophiſche Berechtigung zu
gewinnen ſchien, die man ſich um ſo lieber gefallen ließ, als ſie
zugleich mit den kirchlichen Lehren im beſten Einklang ſtand.
Wenn ſich, wie Elias Fries 1835 ſagte, in dem natürlichen
Syſtem quoddam supranaturale d. h. eben die Verwandtſchaft
der Organismen vorfindet, ſo ſchien dies um ſo beſſer; nach dem-
ſelben Autor drückt jede Abtheilung des Syſtems eine Idee aus
(singula sphaera (sectio) ideam quandam exponit) und alle
dieſe Ideen ließen ſich nun in ihrem idealen Zuſammenhange
leicht als Schöpfungsplan deuten. Die etwaigen Bedenken, welche
ſich aus zahlreichen Beobachtungen und theoretiſchen Erwägungen
gegen eine derartige Auffaſſung erheben konnten, pflegte man
nicht weiter zu beachten. Uebrigens kamen derartige Betrachtun-
gen über das Weſen des natürlichen Syſtems nur ſelten zum
Vorſchein; gerade die Verſtändigſten fühlten ſich unbehaglich in
dieſem unbeſtimmten Weſen und verwendeten ihre Zeit und Kraft
lieber auf die Erforſchung der Verwandtſchaftsverhältniſſe im
Einzelnen. Allein überſehen ließ ſich nun einmal nicht, daß
es ſich hier um eine Fundamentalfrage der Wiſſenſchaft handle.
Später förderten die neueren zuerſt von Nägeli angeregten
morphologiſchen Forſchungen die wichtigſten ſyſtematiſchen Reſultate
zu Tage, Thatſachen, welche die Annahme, daß jede ſyſtematiſche
Gruppe eine Idee im platoniſchen Sinne repräſentire, erſchüttern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="11"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
mehr und anders i&#x017F;t, als bloße &#x017F;innlich wahrnehmbare Aehnlichkeit,<lb/>
wußte jeder Sy&#x017F;tematiker. Denkenden Männern aber konnte der<lb/>
innere Wider&#x017F;pruch nicht verborgen bleiben, der zwi&#x017F;chen der<lb/>
Annahme ab&#x017F;oluter Ver&#x017F;chiedenheit des Ur&#x017F;prungs der Arten<lb/>
(denn das bedeutet die Con&#x017F;tanz der&#x017F;elben) und der That&#x017F;ache<lb/>
ihrer inneren Verwandt&#x017F;chaft liegt. Schon <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> hatte in<lb/>
&#x017F;päteren Jahren &#x017F;ehr wunderliche Ver&#x017F;uche gemacht, die&#x017F;en Wider-<lb/>
&#x017F;pruch zu lö&#x017F;en; &#x017F;eine Nachfolger &#x017F;chlugen jedoch einen andern Weg<lb/>
ein; &#x017F;eit dem 16. Jahrhundert hatten &#x017F;ich unter den Sy&#x017F;temati-<lb/>
kern, zumal &#x017F;eit <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> die Führung übernommen, mancherlei<lb/>
&#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;che Elemente erhalten und ganz be&#x017F;onders war es die<lb/>
mißver&#x017F;tandene Ideenlehre <hi rendition="#g">Plato</hi>'s, durch welche das Dogma<lb/>
der Con&#x017F;tanz der Formen eine philo&#x017F;ophi&#x017F;che Berechtigung zu<lb/>
gewinnen &#x017F;chien, die man &#x017F;ich um &#x017F;o lieber gefallen ließ, als &#x017F;ie<lb/>
zugleich mit den kirchlichen Lehren im be&#x017F;ten Einklang &#x017F;tand.<lb/>
Wenn &#x017F;ich, wie <hi rendition="#g">Elias Fries</hi> 1835 &#x017F;agte, in dem natürlichen<lb/>
Sy&#x017F;tem <hi rendition="#aq">quoddam supranaturale</hi> d. h. eben die Verwandt&#x017F;chaft<lb/>
der Organismen vorfindet, &#x017F;o &#x017F;chien dies um &#x017F;o be&#x017F;&#x017F;er; nach dem-<lb/>
&#x017F;elben Autor drückt jede Abtheilung des Sy&#x017F;tems eine Idee aus<lb/>
(<hi rendition="#aq">singula sphaera (<hi rendition="#aq">sectio</hi>) ideam quandam exponit</hi>) und alle<lb/>
die&#x017F;e Ideen ließen &#x017F;ich nun in ihrem idealen Zu&#x017F;ammenhange<lb/>
leicht als Schöpfungsplan deuten. Die etwaigen Bedenken, welche<lb/>
&#x017F;ich aus zahlreichen Beobachtungen und theoreti&#x017F;chen Erwägungen<lb/>
gegen eine derartige Auffa&#x017F;&#x017F;ung erheben konnten, pflegte man<lb/>
nicht weiter zu beachten. Uebrigens kamen derartige Betrachtun-<lb/>
gen über das We&#x017F;en des natürlichen Sy&#x017F;tems nur &#x017F;elten zum<lb/>
Vor&#x017F;chein; gerade die Ver&#x017F;tändig&#x017F;ten fühlten &#x017F;ich unbehaglich in<lb/>
die&#x017F;em unbe&#x017F;timmten We&#x017F;en und verwendeten ihre Zeit und Kraft<lb/>
lieber auf die Erfor&#x017F;chung der Verwandt&#x017F;chaftsverhältni&#x017F;&#x017F;e im<lb/>
Einzelnen. Allein über&#x017F;ehen ließ &#x017F;ich nun einmal nicht, daß<lb/>
es &#x017F;ich hier um eine Fundamentalfrage der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft handle.<lb/>
Später förderten die neueren zuer&#x017F;t von <hi rendition="#g">Nägeli</hi> angeregten<lb/>
morphologi&#x017F;chen For&#x017F;chungen die wichtig&#x017F;ten &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Re&#x017F;ultate<lb/>
zu Tage, That&#x017F;achen, welche die Annahme, daß jede &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che<lb/>
Gruppe eine Idee im platoni&#x017F;chen Sinne reprä&#x017F;entire, er&#x017F;chüttern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0023] Einleitung. mehr und anders iſt, als bloße ſinnlich wahrnehmbare Aehnlichkeit, wußte jeder Syſtematiker. Denkenden Männern aber konnte der innere Widerſpruch nicht verborgen bleiben, der zwiſchen der Annahme abſoluter Verſchiedenheit des Urſprungs der Arten (denn das bedeutet die Conſtanz derſelben) und der Thatſache ihrer inneren Verwandtſchaft liegt. Schon Linné hatte in ſpäteren Jahren ſehr wunderliche Verſuche gemacht, dieſen Wider- ſpruch zu löſen; ſeine Nachfolger ſchlugen jedoch einen andern Weg ein; ſeit dem 16. Jahrhundert hatten ſich unter den Syſtemati- kern, zumal ſeit Linné die Führung übernommen, mancherlei ſcholaſtiſche Elemente erhalten und ganz beſonders war es die mißverſtandene Ideenlehre Plato's, durch welche das Dogma der Conſtanz der Formen eine philoſophiſche Berechtigung zu gewinnen ſchien, die man ſich um ſo lieber gefallen ließ, als ſie zugleich mit den kirchlichen Lehren im beſten Einklang ſtand. Wenn ſich, wie Elias Fries 1835 ſagte, in dem natürlichen Syſtem quoddam supranaturale d. h. eben die Verwandtſchaft der Organismen vorfindet, ſo ſchien dies um ſo beſſer; nach dem- ſelben Autor drückt jede Abtheilung des Syſtems eine Idee aus (singula sphaera (sectio) ideam quandam exponit) und alle dieſe Ideen ließen ſich nun in ihrem idealen Zuſammenhange leicht als Schöpfungsplan deuten. Die etwaigen Bedenken, welche ſich aus zahlreichen Beobachtungen und theoretiſchen Erwägungen gegen eine derartige Auffaſſung erheben konnten, pflegte man nicht weiter zu beachten. Uebrigens kamen derartige Betrachtun- gen über das Weſen des natürlichen Syſtems nur ſelten zum Vorſchein; gerade die Verſtändigſten fühlten ſich unbehaglich in dieſem unbeſtimmten Weſen und verwendeten ihre Zeit und Kraft lieber auf die Erforſchung der Verwandtſchaftsverhältniſſe im Einzelnen. Allein überſehen ließ ſich nun einmal nicht, daß es ſich hier um eine Fundamentalfrage der Wiſſenſchaft handle. Später förderten die neueren zuerſt von Nägeli angeregten morphologiſchen Forſchungen die wichtigſten ſyſtematiſchen Reſultate zu Tage, Thatſachen, welche die Annahme, daß jede ſyſtematiſche Gruppe eine Idee im platoniſchen Sinne repräſentire, erſchüttern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/23
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/23>, abgerufen am 19.04.2024.