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Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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den Menschen. Die Melancholie floß zu allen Ritzen herein als Moder, Mondlicht und Lied.

Auch meine Langeweile wurde zur Melancholie, zu jener Melancholie, welche den Kleinrussen so eigenthümlich ist, zu einer männlichen Ergebung in das Gefühl der Nothwendigkeit. Und meine Langeweile war so nothwendig als Schlaf und Tod.

Der Kirchensänger war in seiner grünen Zeitung eben bei den Verstorbenen, Umgekommenen, dem Courszettel, der Eisenbahnfahrordnung angelangt, als draußen plötzlich Peitschenknallen, Pferdegetrappel, Menschenstimmen wirr durcheinander klangen.

Dann war es stille.

Dann hörte man eine fremde Stimme, welche sich mit jenen der Bauernwachen mischte. Es war eine lachende, männliche Stimme, es war Musik in ihr, aber eine fröhliche, kecke, übermüthige Musik, die vor den Menschen in der Schenke nicht zurückschreckte. Sie tönte immer näher, bis ein fremder Mann über die Schwelle trat.

Ich richtete mich auf, aber ich sah nur seine hohe, schlanke Gestalt, denn er trat nach rückwärts in die Schenke, indem er noch immer lustig zu den Bauern sprach.

Aber, Freunde, thut mir doch nur den Gefallen und erkennt mich! Bin ich denn ein Emissär? Seht mich an! Fährt die Nationalregierung mit vier Pferden auf der Kaiserstraße ohne Paß? Geht die Natio-

den Menschen. Die Melancholie floß zu allen Ritzen herein als Moder, Mondlicht und Lied.

Auch meine Langeweile wurde zur Melancholie, zu jener Melancholie, welche den Kleinrussen so eigenthümlich ist, zu einer männlichen Ergebung in das Gefühl der Nothwendigkeit. Und meine Langeweile war so nothwendig als Schlaf und Tod.

Der Kirchensänger war in seiner grünen Zeitung eben bei den Verstorbenen, Umgekommenen, dem Courszettel, der Eisenbahnfahrordnung angelangt, als draußen plötzlich Peitschenknallen, Pferdegetrappel, Menschenstimmen wirr durcheinander klangen.

Dann war es stille.

Dann hörte man eine fremde Stimme, welche sich mit jenen der Bauernwachen mischte. Es war eine lachende, männliche Stimme, es war Musik in ihr, aber eine fröhliche, kecke, übermüthige Musik, die vor den Menschen in der Schenke nicht zurückschreckte. Sie tönte immer näher, bis ein fremder Mann über die Schwelle trat.

Ich richtete mich auf, aber ich sah nur seine hohe, schlanke Gestalt, denn er trat nach rückwärts in die Schenke, indem er noch immer lustig zu den Bauern sprach.

Aber, Freunde, thut mir doch nur den Gefallen und erkennt mich! Bin ich denn ein Emissär? Seht mich an! Fährt die Nationalregierung mit vier Pferden auf der Kaiserstraße ohne Paß? Geht die Natio-

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[0015] den Menschen. Die Melancholie floß zu allen Ritzen herein als Moder, Mondlicht und Lied. Auch meine Langeweile wurde zur Melancholie, zu jener Melancholie, welche den Kleinrussen so eigenthümlich ist, zu einer männlichen Ergebung in das Gefühl der Nothwendigkeit. Und meine Langeweile war so nothwendig als Schlaf und Tod. Der Kirchensänger war in seiner grünen Zeitung eben bei den Verstorbenen, Umgekommenen, dem Courszettel, der Eisenbahnfahrordnung angelangt, als draußen plötzlich Peitschenknallen, Pferdegetrappel, Menschenstimmen wirr durcheinander klangen. Dann war es stille. Dann hörte man eine fremde Stimme, welche sich mit jenen der Bauernwachen mischte. Es war eine lachende, männliche Stimme, es war Musik in ihr, aber eine fröhliche, kecke, übermüthige Musik, die vor den Menschen in der Schenke nicht zurückschreckte. Sie tönte immer näher, bis ein fremder Mann über die Schwelle trat. Ich richtete mich auf, aber ich sah nur seine hohe, schlanke Gestalt, denn er trat nach rückwärts in die Schenke, indem er noch immer lustig zu den Bauern sprach. Aber, Freunde, thut mir doch nur den Gefallen und erkennt mich! Bin ich denn ein Emissär? Seht mich an! Fährt die Nationalregierung mit vier Pferden auf der Kaiserstraße ohne Paß? Geht die Natio-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:36:14Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:36:14Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/15>, abgerufen am 28.03.2024.