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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Möge diese Vermuthung, welche ich mit einiger Scheu
ausgesprochen, mir nicht ungünstig ausgelegt werden. Man
bedenke, daß selbst Vasari an der Stelle, welche ich oben aus-
gezogen habe, wunderbar um den Gegenstand herumgeht, ab-
bricht, wiederanknüpft, als habe er noch etwas zu sagen,
was er am Ende verschweigt; daß er sowohl im Leben Ra-
phaels
, als in dem späteren des Ridolfo diesen als den ver-
trautesten Jugendfreund Raphaels darstellt, meldet, daß der
letzte jenen vergeblich aufgefordert habe, an seinen römischen
Arbeiten Theil zu nehmen, auch eines bestimmten Bildes er-
wähnt, dessen Beendigung Raphael dem Ridolfo überlassen
habe. Unter solchen Umständen durfte ich, dem Bilde gegen-
über, mir eine Conjectur gestatten, welcher an sich selbst nicht
alle Probabilität ermangelt und genau genommen nichts Posi-
tives entgegensteht.

Wenn ich einen Theil der Ausführung dieses vortreffli-
chen Bildes nicht dem Raphael, sondern einer fremden Hand
beyzumessen geneigt bin, so muß ich hingegen in einem be-
stimmten Bilde des Fra Bartolommeo di S. Marco auf Ra-
phaels
Hand aufmerksam machen. Von diesem Künstler be-
wundert man zu Lucca in S. Romano über einem Seiten-
altare des Schiffes der Kirche einen Gott den Vater von
Engeln umgeben, auf dem Boden die beiden heil. Katharinen.
Ein Maler, der kürzlich das Gemälde copirt hat, will darauf
die Zahl 1509 gelesen haben, welche nur auf die Beendigung
sich beziehen kann, daher nicht ausschließt, daß Raphael an
dem Entwurfe, wie an einzelnen Theilen der Ausführung
könne Theil genommen haben. Nun findet sich auf der Gal-
lerie der Uffizj zu Florenz (anfangs unter den Zeichnungen
des Lionardo) eine ausführliche Federzeichnung der Glorie

Moͤge dieſe Vermuthung, welche ich mit einiger Scheu
ausgeſprochen, mir nicht unguͤnſtig ausgelegt werden. Man
bedenke, daß ſelbſt Vaſari an der Stelle, welche ich oben aus-
gezogen habe, wunderbar um den Gegenſtand herumgeht, ab-
bricht, wiederanknuͤpft, als habe er noch etwas zu ſagen,
was er am Ende verſchweigt; daß er ſowohl im Leben Ra-
phaels
, als in dem ſpaͤteren des Ridolfo dieſen als den ver-
trauteſten Jugendfreund Raphaels darſtellt, meldet, daß der
letzte jenen vergeblich aufgefordert habe, an ſeinen roͤmiſchen
Arbeiten Theil zu nehmen, auch eines beſtimmten Bildes er-
waͤhnt, deſſen Beendigung Raphael dem Ridolfo uͤberlaſſen
habe. Unter ſolchen Umſtaͤnden durfte ich, dem Bilde gegen-
uͤber, mir eine Conjectur geſtatten, welcher an ſich ſelbſt nicht
alle Probabilitaͤt ermangelt und genau genommen nichts Poſi-
tives entgegenſteht.

Wenn ich einen Theil der Ausfuͤhrung dieſes vortreffli-
chen Bildes nicht dem Raphael, ſondern einer fremden Hand
beyzumeſſen geneigt bin, ſo muß ich hingegen in einem be-
ſtimmten Bilde des Fra Bartolommeo di S. Marco auf Ra-
phaels
Hand aufmerkſam machen. Von dieſem Kuͤnſtler be-
wundert man zu Lucca in S. Romano uͤber einem Seiten-
altare des Schiffes der Kirche einen Gott den Vater von
Engeln umgeben, auf dem Boden die beiden heil. Katharinen.
Ein Maler, der kuͤrzlich das Gemaͤlde copirt hat, will darauf
die Zahl 1509 geleſen haben, welche nur auf die Beendigung
ſich beziehen kann, daher nicht ausſchließt, daß Raphael an
dem Entwurfe, wie an einzelnen Theilen der Ausfuͤhrung
koͤnne Theil genommen haben. Nun findet ſich auf der Gal-
lerie der Uffizj zu Florenz (anfangs unter den Zeichnungen
des Lionardo) eine ausfuͤhrliche Federzeichnung der Glorie

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[71/0093] Moͤge dieſe Vermuthung, welche ich mit einiger Scheu ausgeſprochen, mir nicht unguͤnſtig ausgelegt werden. Man bedenke, daß ſelbſt Vaſari an der Stelle, welche ich oben aus- gezogen habe, wunderbar um den Gegenſtand herumgeht, ab- bricht, wiederanknuͤpft, als habe er noch etwas zu ſagen, was er am Ende verſchweigt; daß er ſowohl im Leben Ra- phaels, als in dem ſpaͤteren des Ridolfo dieſen als den ver- trauteſten Jugendfreund Raphaels darſtellt, meldet, daß der letzte jenen vergeblich aufgefordert habe, an ſeinen roͤmiſchen Arbeiten Theil zu nehmen, auch eines beſtimmten Bildes er- waͤhnt, deſſen Beendigung Raphael dem Ridolfo uͤberlaſſen habe. Unter ſolchen Umſtaͤnden durfte ich, dem Bilde gegen- uͤber, mir eine Conjectur geſtatten, welcher an ſich ſelbſt nicht alle Probabilitaͤt ermangelt und genau genommen nichts Poſi- tives entgegenſteht. Wenn ich einen Theil der Ausfuͤhrung dieſes vortreffli- chen Bildes nicht dem Raphael, ſondern einer fremden Hand beyzumeſſen geneigt bin, ſo muß ich hingegen in einem be- ſtimmten Bilde des Fra Bartolommeo di S. Marco auf Ra- phaels Hand aufmerkſam machen. Von dieſem Kuͤnſtler be- wundert man zu Lucca in S. Romano uͤber einem Seiten- altare des Schiffes der Kirche einen Gott den Vater von Engeln umgeben, auf dem Boden die beiden heil. Katharinen. Ein Maler, der kuͤrzlich das Gemaͤlde copirt hat, will darauf die Zahl 1509 geleſen haben, welche nur auf die Beendigung ſich beziehen kann, daher nicht ausſchließt, daß Raphael an dem Entwurfe, wie an einzelnen Theilen der Ausfuͤhrung koͤnne Theil genommen haben. Nun findet ſich auf der Gal- lerie der Uffizj zu Florenz (anfangs unter den Zeichnungen des Lionardo) eine ausfuͤhrliche Federzeichnung der Glorie

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/93>, abgerufen am 28.03.2024.