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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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zustellende Lage; besonders war indeß die Verkürzung der
Hand, auf welcher das Kind ruhet, nicht gar leicht auszu-
drücken; mißlungen, wie sie ist, verräth sie doch Anstrengung
und ernstliche Bemühung. Daß Raphael eine solche Schwie-
rigkeit aufgesucht und doch sie nicht überwunden hatte, bezeugt,
daß er damals in der florentinischen Richtung noch ein Neu-
ling war. Demnach dürfen beide Bilder, bey deren innigster
Sinnesverwandtschaft, uns den Uebergang bezeichnen, auf wel-
chen Vasari hinzudeuten scheint.

Die Madonna del Granduca habe ich zu Würzburg in
vortrefflichster Erhaltung stundenlang besehen; es ist nicht mög-
lich, den Pinsel geistreicher zu führen, sinnvoller zu modelli-
ren. Seither ist dieses schöne Gemälde wiederholt gereinigt,
der Firniß erneuert, durch Abglättung die ursprüngliche Mo-
dellirung verwischt worden. Mehr und mehr wird es Ge-
wohnheit, die Kunstwerke nur noch auf ihr Ganzes anzusehn,
die einzelnen Evolutionen des Geistes, die Feinheiten aus den
Augen zu lassen; und, wenn es so fortgeht, wird man am
Ende auch mit leidlichen Copien sich vollkommen begnügen,
der Originale ganz entbehren können. Daher die auffallende
Gleichgültigkeit bey täglich sich wiederholenden, gänzlichen Um-
gestaltungen der größten Meisterwerke, das Frohlocken, der
Jubel über das neue Kleid, welches sie angethan.

Die Madonna Tempi hingegen hat zwar einige nicht
störende Oelretouchen von altem Dat, ist jedoch nicht, gleich
jener anderen, glatt gerieben, der Velaturen, der Modellirung
beraubt. Deutlich sieht man daher noch immer, daß sie jene
Sicherheit der Modellirung nie erreicht hat, welche die Ma-
donna del Granduca vormals darlegte. Einige Unbehülflich-
keit begleitet auch bey schon gewandten Meistern nothwendig

zuſtellende Lage; beſonders war indeß die Verkuͤrzung der
Hand, auf welcher das Kind ruhet, nicht gar leicht auszu-
druͤcken; mißlungen, wie ſie iſt, verraͤth ſie doch Anſtrengung
und ernſtliche Bemuͤhung. Daß Raphael eine ſolche Schwie-
rigkeit aufgeſucht und doch ſie nicht uͤberwunden hatte, bezeugt,
daß er damals in der florentiniſchen Richtung noch ein Neu-
ling war. Demnach duͤrfen beide Bilder, bey deren innigſter
Sinnesverwandtſchaft, uns den Uebergang bezeichnen, auf wel-
chen Vaſari hinzudeuten ſcheint.

Die Madonna del Granduca habe ich zu Wuͤrzburg in
vortrefflichſter Erhaltung ſtundenlang beſehen; es iſt nicht moͤg-
lich, den Pinſel geiſtreicher zu fuͤhren, ſinnvoller zu modelli-
ren. Seither iſt dieſes ſchoͤne Gemaͤlde wiederholt gereinigt,
der Firniß erneuert, durch Abglaͤttung die urſpruͤngliche Mo-
dellirung verwiſcht worden. Mehr und mehr wird es Ge-
wohnheit, die Kunſtwerke nur noch auf ihr Ganzes anzuſehn,
die einzelnen Evolutionen des Geiſtes, die Feinheiten aus den
Augen zu laſſen; und, wenn es ſo fortgeht, wird man am
Ende auch mit leidlichen Copien ſich vollkommen begnuͤgen,
der Originale ganz entbehren koͤnnen. Daher die auffallende
Gleichguͤltigkeit bey taͤglich ſich wiederholenden, gaͤnzlichen Um-
geſtaltungen der groͤßten Meiſterwerke, das Frohlocken, der
Jubel uͤber das neue Kleid, welches ſie angethan.

Die Madonna Tempi hingegen hat zwar einige nicht
ſtoͤrende Oelretouchen von altem Dat, iſt jedoch nicht, gleich
jener anderen, glatt gerieben, der Velaturen, der Modellirung
beraubt. Deutlich ſieht man daher noch immer, daß ſie jene
Sicherheit der Modellirung nie erreicht hat, welche die Ma-
donna del Granduca vormals darlegte. Einige Unbehuͤlflich-
keit begleitet auch bey ſchon gewandten Meiſtern nothwendig

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[60/0082] zuſtellende Lage; beſonders war indeß die Verkuͤrzung der Hand, auf welcher das Kind ruhet, nicht gar leicht auszu- druͤcken; mißlungen, wie ſie iſt, verraͤth ſie doch Anſtrengung und ernſtliche Bemuͤhung. Daß Raphael eine ſolche Schwie- rigkeit aufgeſucht und doch ſie nicht uͤberwunden hatte, bezeugt, daß er damals in der florentiniſchen Richtung noch ein Neu- ling war. Demnach duͤrfen beide Bilder, bey deren innigſter Sinnesverwandtſchaft, uns den Uebergang bezeichnen, auf wel- chen Vaſari hinzudeuten ſcheint. Die Madonna del Granduca habe ich zu Wuͤrzburg in vortrefflichſter Erhaltung ſtundenlang beſehen; es iſt nicht moͤg- lich, den Pinſel geiſtreicher zu fuͤhren, ſinnvoller zu modelli- ren. Seither iſt dieſes ſchoͤne Gemaͤlde wiederholt gereinigt, der Firniß erneuert, durch Abglaͤttung die urſpruͤngliche Mo- dellirung verwiſcht worden. Mehr und mehr wird es Ge- wohnheit, die Kunſtwerke nur noch auf ihr Ganzes anzuſehn, die einzelnen Evolutionen des Geiſtes, die Feinheiten aus den Augen zu laſſen; und, wenn es ſo fortgeht, wird man am Ende auch mit leidlichen Copien ſich vollkommen begnuͤgen, der Originale ganz entbehren koͤnnen. Daher die auffallende Gleichguͤltigkeit bey taͤglich ſich wiederholenden, gaͤnzlichen Um- geſtaltungen der groͤßten Meiſterwerke, das Frohlocken, der Jubel uͤber das neue Kleid, welches ſie angethan. Die Madonna Tempi hingegen hat zwar einige nicht ſtoͤrende Oelretouchen von altem Dat, iſt jedoch nicht, gleich jener anderen, glatt gerieben, der Velaturen, der Modellirung beraubt. Deutlich ſieht man daher noch immer, daß ſie jene Sicherheit der Modellirung nie erreicht hat, welche die Ma- donna del Granduca vormals darlegte. Einige Unbehuͤlflich- keit begleitet auch bey ſchon gewandten Meiſtern nothwendig

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/82>, abgerufen am 19.04.2024.