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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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angepaßt. Bey schlanken Formen zeigt dieses Bild eine ge-
suchtere Grazie, als die meisten aus derselben Richtung Ra-
phaels
hervorgegangenen; übrigens dieselbe leichte und geist-
reiche Pinselführung, denselben dünnen Auftrag, welche allen
Gemälden dieser Classe eigenthümlich sind und aus der Art
ihrer Entstehung (freyer Ergießung der Phantasie) sich be-
quem erklären lassen. Dieses gewandte, kenntnißreiche, kühne
Bild haben Einige für älter halten wollen, als das schon er-
wähnte jugendlich naive, kindliche, beschränkte, welches dieselbe
Gallerie aus der solly'schen Sammlung erworben hat.

Gleichzeitig, wohl noch um Weniges später, ist nothwen-
dig die Madonna di Pescia, während der französischen Macht
die wichtigste Zierde der Provincialgallerie zu Brüssel, nunmehr
von Neuem im Palast Pitti zu Florenz. Vasari sagt davon:
"die Dei, florentinische Bürger, haben ihm für ihre Kapelle
in sto Spirito zu Florenz ein Gemälde aufgetragen: nach
Rom abgereist, habe Raphael dieses Bild unfertig zurückge-
lassen; Herr Baldassare Turini von Pescia habe es später,
unvollendet, wie es war, in der Pfarrkirche seiner Vaterstadt
aufstellen lassen." Gegen das Ende des siebzehnten Jahr-
hunderts ward diese Tafel von den damaligen Inhabern des
Altares dem mediceischen Hause verkauft, in Folge dessen
endlich im Palast Pitti aufgestellt. Ein dunkler Maler aus
derselben Zeit *) hat versucht, dem Bilde durch Vela-
turen ein Ansehn von Beendigung zu geben; es würde ver-

*) Richa, delle chiese di Firenze, T. IX. p. 28. -- "dai Dei fu
data a fare a Raffaello d'Urbino una tavola per l'altare maggiore di q.
Chiesa (Sto Spirito) ma non fu terminata; e benche non condotta
a perfetto termine, la volle il gran principe Ferdinando nel suo ap-
partamento, dove la fece finire dal Cassana.

angepaßt. Bey ſchlanken Formen zeigt dieſes Bild eine ge-
ſuchtere Grazie, als die meiſten aus derſelben Richtung Ra-
phaels
hervorgegangenen; uͤbrigens dieſelbe leichte und geiſt-
reiche Pinſelfuͤhrung, denſelben duͤnnen Auftrag, welche allen
Gemaͤlden dieſer Claſſe eigenthuͤmlich ſind und aus der Art
ihrer Entſtehung (freyer Ergießung der Phantaſie) ſich be-
quem erklaͤren laſſen. Dieſes gewandte, kenntnißreiche, kuͤhne
Bild haben Einige fuͤr aͤlter halten wollen, als das ſchon er-
waͤhnte jugendlich naive, kindliche, beſchraͤnkte, welches dieſelbe
Gallerie aus der ſolly’ſchen Sammlung erworben hat.

Gleichzeitig, wohl noch um Weniges ſpaͤter, iſt nothwen-
dig die Madonna di Peſcia, waͤhrend der franzoͤſiſchen Macht
die wichtigſte Zierde der Provincialgallerie zu Bruͤſſel, nunmehr
von Neuem im Palaſt Pitti zu Florenz. Vaſari ſagt davon:
„die Dei, florentiniſche Buͤrger, haben ihm fuͤr ihre Kapelle
in ſto Spirito zu Florenz ein Gemaͤlde aufgetragen: nach
Rom abgereiſt, habe Raphael dieſes Bild unfertig zuruͤckge-
laſſen; Herr Baldaſſare Turini von Peſcia habe es ſpaͤter,
unvollendet, wie es war, in der Pfarrkirche ſeiner Vaterſtadt
aufſtellen laſſen.“ Gegen das Ende des ſiebzehnten Jahr-
hunderts ward dieſe Tafel von den damaligen Inhabern des
Altares dem mediceiſchen Hauſe verkauft, in Folge deſſen
endlich im Palaſt Pitti aufgeſtellt. Ein dunkler Maler aus
derſelben Zeit *) hat verſucht, dem Bilde durch Vela-
turen ein Anſehn von Beendigung zu geben; es wuͤrde ver-

*) Richa, delle chiese di Firenze, T. IX. p. 28. — „dai Dei fu
data a fare a Raffaello d’Urbino una tavola per l’altare maggiore di q.
Chiesa (Sto Spirito) ma non fu terminata; e benchè non condotta
a perfetto termine, la volle il gran principe Ferdinando nel suo ap-
partamento, dove la fece finire dal Cassana.
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[55/0077] angepaßt. Bey ſchlanken Formen zeigt dieſes Bild eine ge- ſuchtere Grazie, als die meiſten aus derſelben Richtung Ra- phaels hervorgegangenen; uͤbrigens dieſelbe leichte und geiſt- reiche Pinſelfuͤhrung, denſelben duͤnnen Auftrag, welche allen Gemaͤlden dieſer Claſſe eigenthuͤmlich ſind und aus der Art ihrer Entſtehung (freyer Ergießung der Phantaſie) ſich be- quem erklaͤren laſſen. Dieſes gewandte, kenntnißreiche, kuͤhne Bild haben Einige fuͤr aͤlter halten wollen, als das ſchon er- waͤhnte jugendlich naive, kindliche, beſchraͤnkte, welches dieſelbe Gallerie aus der ſolly’ſchen Sammlung erworben hat. Gleichzeitig, wohl noch um Weniges ſpaͤter, iſt nothwen- dig die Madonna di Peſcia, waͤhrend der franzoͤſiſchen Macht die wichtigſte Zierde der Provincialgallerie zu Bruͤſſel, nunmehr von Neuem im Palaſt Pitti zu Florenz. Vaſari ſagt davon: „die Dei, florentiniſche Buͤrger, haben ihm fuͤr ihre Kapelle in ſto Spirito zu Florenz ein Gemaͤlde aufgetragen: nach Rom abgereiſt, habe Raphael dieſes Bild unfertig zuruͤckge- laſſen; Herr Baldaſſare Turini von Peſcia habe es ſpaͤter, unvollendet, wie es war, in der Pfarrkirche ſeiner Vaterſtadt aufſtellen laſſen.“ Gegen das Ende des ſiebzehnten Jahr- hunderts ward dieſe Tafel von den damaligen Inhabern des Altares dem mediceiſchen Hauſe verkauft, in Folge deſſen endlich im Palaſt Pitti aufgeſtellt. Ein dunkler Maler aus derſelben Zeit *) hat verſucht, dem Bilde durch Vela- turen ein Anſehn von Beendigung zu geben; es wuͤrde ver- *) Richa, delle chiese di Firenze, T. IX. p. 28. — „dai Dei fu data a fare a Raffaello d’Urbino una tavola per l’altare maggiore di q. Chiesa (Sto Spirito) ma non fu terminata; e benchè non condotta a perfetto termine, la volle il gran principe Ferdinando nel suo ap- partamento, dove la fece finire dal Cassana.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/77>, abgerufen am 20.04.2024.