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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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(1503) muß in Arbeit genommen seyn, wird es höchst un-
wahrscheinlich, daß Raphael den ersten Gedanken des Ganzen
gefaßt, und die einzelnen Darstellungen sämmtlich entwor-
fen habe. Wie jung mußte er seyn, als das Werk begonnen
wurde; wie mannichfach sahen wir ihn während eben dieser
Jahre beschäftigt. Indeß bedarf es, eine ganz willkührliche
Annahme zu widerlegen, keiner so weit hergeholten Gründe;
die Sache spricht für sich selbst; denn mit Ausnahme derje-
nigen Darstellungen, deren Entwürfe von Raphaels Hand noch
vorhanden sind, widerstreben alle übrigen dem Charakter selbst
seiner frühen und frühesten Zusammenstellungen durchaus, un-
terbricht und verknüpft in ihnen keine Art gegenseitiger Be-
ziehung die quadratäre Anhäufung ihrer zahlreichen Figuren.

Vasari spricht unter allen Umständen nur von Entwür-
fen und Zeichnungen; doch, nicht befriedigt durch die mög-
lichst weite Ausdehnung des Sinnes seiner Angaben, gefällt
man sich, dem Raphael selbst deren malerische Ausführung
beyzumessen. Wer den naiven Localpatriotismus italienischer
Städter kennt, den wird es nicht befremden, wenn auch die
Sieneser einem der gerühmtesten Werke ihrer Stadt durch
einen solchen Namen größeres Ansehn zu verleihen wünschen.
Diese haben den Bottari überredet *), dem wiederum
Lanzi gefolgt ist. Bottari indeß begnügt sich, in dem letzten,
gegen die Kirche gewendeten Bilde, der nach 1503 gemalten
Krönung Pius III., Raphaels Hand, "sogar dessen Färbung"
wahrzunehmen (seine Färbung in einem Mauergemälde? wo-
her nimmt er die gleichartigen und gleichzeitigen Gegenstände
der Vergleichung?). Lanzi aber sagt zu dieser Bemerkung:

*) S. denselben zum Vasari, in der röm. und neueren Edd.

(1503) muß in Arbeit genommen ſeyn, wird es hoͤchſt un-
wahrſcheinlich, daß Raphael den erſten Gedanken des Ganzen
gefaßt, und die einzelnen Darſtellungen ſaͤmmtlich entwor-
fen habe. Wie jung mußte er ſeyn, als das Werk begonnen
wurde; wie mannichfach ſahen wir ihn waͤhrend eben dieſer
Jahre beſchaͤftigt. Indeß bedarf es, eine ganz willkuͤhrliche
Annahme zu widerlegen, keiner ſo weit hergeholten Gruͤnde;
die Sache ſpricht fuͤr ſich ſelbſt; denn mit Ausnahme derje-
nigen Darſtellungen, deren Entwuͤrfe von Raphaels Hand noch
vorhanden ſind, widerſtreben alle uͤbrigen dem Charakter ſelbſt
ſeiner fruͤhen und fruͤheſten Zuſammenſtellungen durchaus, un-
terbricht und verknuͤpft in ihnen keine Art gegenſeitiger Be-
ziehung die quadrataͤre Anhaͤufung ihrer zahlreichen Figuren.

Vaſari ſpricht unter allen Umſtaͤnden nur von Entwuͤr-
fen und Zeichnungen; doch, nicht befriedigt durch die moͤg-
lichſt weite Ausdehnung des Sinnes ſeiner Angaben, gefaͤllt
man ſich, dem Raphael ſelbſt deren maleriſche Ausfuͤhrung
beyzumeſſen. Wer den naiven Localpatriotismus italieniſcher
Staͤdter kennt, den wird es nicht befremden, wenn auch die
Sieneſer einem der geruͤhmteſten Werke ihrer Stadt durch
einen ſolchen Namen groͤßeres Anſehn zu verleihen wuͤnſchen.
Dieſe haben den Bottari uͤberredet *), dem wiederum
Lanzi gefolgt iſt. Bottari indeß begnuͤgt ſich, in dem letzten,
gegen die Kirche gewendeten Bilde, der nach 1503 gemalten
Kroͤnung Pius III., Raphaels Hand, „ſogar deſſen Faͤrbung“
wahrzunehmen (ſeine Faͤrbung in einem Mauergemaͤlde? wo-
her nimmt er die gleichartigen und gleichzeitigen Gegenſtaͤnde
der Vergleichung?). Lanzi aber ſagt zu dieſer Bemerkung:

*) S. denſelben zum Vaſari, in der röm. und neueren Edd.
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[44/0066] (1503) muß in Arbeit genommen ſeyn, wird es hoͤchſt un- wahrſcheinlich, daß Raphael den erſten Gedanken des Ganzen gefaßt, und die einzelnen Darſtellungen ſaͤmmtlich entwor- fen habe. Wie jung mußte er ſeyn, als das Werk begonnen wurde; wie mannichfach ſahen wir ihn waͤhrend eben dieſer Jahre beſchaͤftigt. Indeß bedarf es, eine ganz willkuͤhrliche Annahme zu widerlegen, keiner ſo weit hergeholten Gruͤnde; die Sache ſpricht fuͤr ſich ſelbſt; denn mit Ausnahme derje- nigen Darſtellungen, deren Entwuͤrfe von Raphaels Hand noch vorhanden ſind, widerſtreben alle uͤbrigen dem Charakter ſelbſt ſeiner fruͤhen und fruͤheſten Zuſammenſtellungen durchaus, un- terbricht und verknuͤpft in ihnen keine Art gegenſeitiger Be- ziehung die quadrataͤre Anhaͤufung ihrer zahlreichen Figuren. Vaſari ſpricht unter allen Umſtaͤnden nur von Entwuͤr- fen und Zeichnungen; doch, nicht befriedigt durch die moͤg- lichſt weite Ausdehnung des Sinnes ſeiner Angaben, gefaͤllt man ſich, dem Raphael ſelbſt deren maleriſche Ausfuͤhrung beyzumeſſen. Wer den naiven Localpatriotismus italieniſcher Staͤdter kennt, den wird es nicht befremden, wenn auch die Sieneſer einem der geruͤhmteſten Werke ihrer Stadt durch einen ſolchen Namen groͤßeres Anſehn zu verleihen wuͤnſchen. Dieſe haben den Bottari uͤberredet *), dem wiederum Lanzi gefolgt iſt. Bottari indeß begnuͤgt ſich, in dem letzten, gegen die Kirche gewendeten Bilde, der nach 1503 gemalten Kroͤnung Pius III., Raphaels Hand, „ſogar deſſen Faͤrbung“ wahrzunehmen (ſeine Faͤrbung in einem Mauergemaͤlde? wo- her nimmt er die gleichartigen und gleichzeitigen Gegenſtaͤnde der Vergleichung?). Lanzi aber ſagt zu dieſer Bemerkung: *) S. denſelben zum Vaſari, in der röm. und neueren Edd.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/66>, abgerufen am 25.04.2024.