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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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unschuldigstes, subjectiv kindlichstes, mindest gewandtes ist
unstreitig jene kleine Madonna, welche zu Berlin aus der Sol-
lyschen Sammlung in die Gallerie des Museums gelangte
und in der ersten Abtheilung mit Nro. 223. bezeichnet ist.
Die Unvollkommenheit der Uebergänge in den nackten Formen
des Kindes, die enge Anlage der inneren Gesichtstheile, stehen
sichtlich unter der Kunstbildung, welche ein so fähiger Jüng-
ling schon in der Schule und Werkstätte des Perugino erlan-
gen konnte und wirklich darin erlangt hat. Hingegen ist in
der Pinselführung, ist im Impasto ein richtigeres Princip der
Oelmalerey, als Perugino je aufgefaßt hatte. -- Giovanni
Sanzio
malte a tempera; Raphaels Bilder in Urbino, das
andere, welches ich nach Berlin gebracht, sind ebenfalls a tem-
pera
gemalt. Lernte Raphael die Oelmalerey vom Ingegno?
Führte dieses Interesse beide Künstler zusammen? Gewiß nä-
hert sich Raphael in seinen bräunlichen Jugendarbeiten mehr
der Färbung des Alunno und Ingegno.

Sehe ich in diesem Bildchen auf den gerundeten Mund,
die Kleinheit der inneren Formen, den verhältnißmäßig weiten
und vollen Umriß des Gesichtes, so läugne ich nicht, daß
Raphael bald nach diesem Bilde in dem Erzengel jenes flo-
rentinischen mit dem J. 1500 die Hand könne angelegt haben,
dessen Gesichtsformen dieselbe kindliche Weise darlegen. Sehe
ich hingegen auf das Princip der Färbung, so schließt sich
an das Bildchen im Museo zu Berlin ein größeres näher an,
welches Raphael, nach der Angabe des Vasari, für die Non-
nen der peruginischen Kirche S. Antonio di Padua gemalt,
darin das Christuskind, auf ausdrückliches Verlangen der gu-
ten Klosterfrauen, in ein weißes, rothgesticktes Hemdchen ge-
kleidet hat. Seit längerer Zeit war dieses kraftvolle, etwas

dunkle

unſchuldigſtes, ſubjectiv kindlichſtes, mindeſt gewandtes iſt
unſtreitig jene kleine Madonna, welche zu Berlin aus der Sol-
lyſchen Sammlung in die Gallerie des Muſeums gelangte
und in der erſten Abtheilung mit Nro. 223. bezeichnet iſt.
Die Unvollkommenheit der Uebergaͤnge in den nackten Formen
des Kindes, die enge Anlage der inneren Geſichtstheile, ſtehen
ſichtlich unter der Kunſtbildung, welche ein ſo faͤhiger Juͤng-
ling ſchon in der Schule und Werkſtaͤtte des Perugino erlan-
gen konnte und wirklich darin erlangt hat. Hingegen iſt in
der Pinſelfuͤhrung, iſt im Impaſto ein richtigeres Princip der
Oelmalerey, als Perugino je aufgefaßt hatte. — Giovanni
Sanzio
malte a tempera; Raphaels Bilder in Urbino, das
andere, welches ich nach Berlin gebracht, ſind ebenfalls a tem-
pera
gemalt. Lernte Raphael die Oelmalerey vom Ingegno?
Fuͤhrte dieſes Intereſſe beide Kuͤnſtler zuſammen? Gewiß naͤ-
hert ſich Raphael in ſeinen braͤunlichen Jugendarbeiten mehr
der Faͤrbung des Alunno und Ingegno.

Sehe ich in dieſem Bildchen auf den gerundeten Mund,
die Kleinheit der inneren Formen, den verhaͤltnißmaͤßig weiten
und vollen Umriß des Geſichtes, ſo laͤugne ich nicht, daß
Raphael bald nach dieſem Bilde in dem Erzengel jenes flo-
rentiniſchen mit dem J. 1500 die Hand koͤnne angelegt haben,
deſſen Geſichtsformen dieſelbe kindliche Weiſe darlegen. Sehe
ich hingegen auf das Princip der Faͤrbung, ſo ſchließt ſich
an das Bildchen im Muſeo zu Berlin ein groͤßeres naͤher an,
welches Raphael, nach der Angabe des Vaſari, fuͤr die Non-
nen der peruginiſchen Kirche S. Antonio di Padua gemalt,
darin das Chriſtuskind, auf ausdruͤckliches Verlangen der gu-
ten Kloſterfrauen, in ein weißes, rothgeſticktes Hemdchen ge-
kleidet hat. Seit laͤngerer Zeit war dieſes kraftvolle, etwas

dunkle
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[32/0054] unſchuldigſtes, ſubjectiv kindlichſtes, mindeſt gewandtes iſt unſtreitig jene kleine Madonna, welche zu Berlin aus der Sol- lyſchen Sammlung in die Gallerie des Muſeums gelangte und in der erſten Abtheilung mit Nro. 223. bezeichnet iſt. Die Unvollkommenheit der Uebergaͤnge in den nackten Formen des Kindes, die enge Anlage der inneren Geſichtstheile, ſtehen ſichtlich unter der Kunſtbildung, welche ein ſo faͤhiger Juͤng- ling ſchon in der Schule und Werkſtaͤtte des Perugino erlan- gen konnte und wirklich darin erlangt hat. Hingegen iſt in der Pinſelfuͤhrung, iſt im Impaſto ein richtigeres Princip der Oelmalerey, als Perugino je aufgefaßt hatte. — Giovanni Sanzio malte a tempera; Raphaels Bilder in Urbino, das andere, welches ich nach Berlin gebracht, ſind ebenfalls a tem- pera gemalt. Lernte Raphael die Oelmalerey vom Ingegno? Fuͤhrte dieſes Intereſſe beide Kuͤnſtler zuſammen? Gewiß naͤ- hert ſich Raphael in ſeinen braͤunlichen Jugendarbeiten mehr der Faͤrbung des Alunno und Ingegno. Sehe ich in dieſem Bildchen auf den gerundeten Mund, die Kleinheit der inneren Formen, den verhaͤltnißmaͤßig weiten und vollen Umriß des Geſichtes, ſo laͤugne ich nicht, daß Raphael bald nach dieſem Bilde in dem Erzengel jenes flo- rentiniſchen mit dem J. 1500 die Hand koͤnne angelegt haben, deſſen Geſichtsformen dieſelbe kindliche Weiſe darlegen. Sehe ich hingegen auf das Princip der Faͤrbung, ſo ſchließt ſich an das Bildchen im Muſeo zu Berlin ein groͤßeres naͤher an, welches Raphael, nach der Angabe des Vaſari, fuͤr die Non- nen der peruginiſchen Kirche S. Antonio di Padua gemalt, darin das Chriſtuskind, auf ausdruͤckliches Verlangen der gu- ten Kloſterfrauen, in ein weißes, rothgeſticktes Hemdchen ge- kleidet hat. Seit laͤngerer Zeit war dieſes kraftvolle, etwas dunkle

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/54>, abgerufen am 20.04.2024.