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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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uns höchst naiv Abbildungen ihrer gegenwärtigen Gestalt als
Beyspiele der Baukunst unter den Longobarden. *)

Ihrer Oberflächlichkeit ungeachtet zeigen schon die Ab-
bildungen bey d'Agincourt, daß unter den Kirchen zu Pavia
keine einzige der Zeit angehören kann, welche unmittelbar auf
die gothische folgte, daß sie vielmehr in ihrer gegenwärtigen
Gestalt dem eilften und zwölften Jahrhundert angehören müs-
sen. Hingegen könnte die Abbildung eines anderen Gebäu-
des, der Kirche S. Tommaso in Limine, **) einige Miglien
von Bergamo, da alles Untergeordnete darin ganz falsch an-
gegeben, der Plan aber altförmig ist, selbst den Kenner vor-
übergehend täuschen. Mir wenigstens flößte diese Abbildung
einigen Glauben ein, bis ich, im J. 1829, bey Besichtigung
der Kirche, so viele Zeichen einer späteren Entstehung auf-
fand, daß ich ihr angeblich hohes Alter ganz verwerfen muß. ***)
Dem Plane, nicht den Dimensionen, noch weniger der Ver-
zierung nach, scheint diese kleine Kirche jener des heil. Vita-
lis zu Ravenna nachgebildet zu seyn. Doch fand ich, daß
sie aus kleinen, sehr unvollkommen behauenen Bruchsteinen
und mit vielem Mörtel gemauert ist, daß sie zudem an den
Außenseiten bereits jene dünnen, bis zum Kranze hinauflau-
fenden Halbsäulen, jenen Kranz aus kleinen halbrunden Bo-
gen hat, welche im westlichen Europa (auch in Italien) erst
um das Jahr 1100 aufgekommen und überall als Vorzeichen
der germanischen Architectur aufzufassen sind.

*) Seroux d'Agincourt, hist. de l'art etc. T. I. Archit. Pl. XXIV. N. 1. 7.
**) Das. Pl. cit. No. 16. 17. 18.
***) Lupi, Marius, codex Dipl. civ. et ecclesiae Bergomatis. Vol. I.
Berg. 1784. fol. p. 209. (cap. XI. §. VIII.) -- vanum tamen est de
hujus templi antiquitate eruditorum judicium.

uns hoͤchſt naiv Abbildungen ihrer gegenwaͤrtigen Geſtalt als
Beyſpiele der Baukunſt unter den Longobarden. *)

Ihrer Oberflaͤchlichkeit ungeachtet zeigen ſchon die Ab-
bildungen bey d’Agincourt, daß unter den Kirchen zu Pavia
keine einzige der Zeit angehoͤren kann, welche unmittelbar auf
die gothiſche folgte, daß ſie vielmehr in ihrer gegenwaͤrtigen
Geſtalt dem eilften und zwoͤlften Jahrhundert angehoͤren muͤſ-
ſen. Hingegen koͤnnte die Abbildung eines anderen Gebaͤu-
des, der Kirche S. Tommaſo in Limine, **) einige Miglien
von Bergamo, da alles Untergeordnete darin ganz falſch an-
gegeben, der Plan aber altfoͤrmig iſt, ſelbſt den Kenner vor-
uͤbergehend taͤuſchen. Mir wenigſtens floͤßte dieſe Abbildung
einigen Glauben ein, bis ich, im J. 1829, bey Beſichtigung
der Kirche, ſo viele Zeichen einer ſpaͤteren Entſtehung auf-
fand, daß ich ihr angeblich hohes Alter ganz verwerfen muß. ***)
Dem Plane, nicht den Dimenſionen, noch weniger der Ver-
zierung nach, ſcheint dieſe kleine Kirche jener des heil. Vita-
lis zu Ravenna nachgebildet zu ſeyn. Doch fand ich, daß
ſie aus kleinen, ſehr unvollkommen behauenen Bruchſteinen
und mit vielem Moͤrtel gemauert iſt, daß ſie zudem an den
Außenſeiten bereits jene duͤnnen, bis zum Kranze hinauflau-
fenden Halbſaͤulen, jenen Kranz aus kleinen halbrunden Bo-
gen hat, welche im weſtlichen Europa (auch in Italien) erſt
um das Jahr 1100 aufgekommen und uͤberall als Vorzeichen
der germaniſchen Architectur aufzufaſſen ſind.

*) Seroux d’Agincourt, hist. de l’art etc. T. I. Archit. Pl. XXIV. N. 1. 7.
**) Daſ. Pl. cit. No. 16. 17. 18.
***) Lupi, Marius, codex Dipl. civ. et ecclesiae Bergomatis. Vol. I.
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[173/0195] uns hoͤchſt naiv Abbildungen ihrer gegenwaͤrtigen Geſtalt als Beyſpiele der Baukunſt unter den Longobarden. *) Ihrer Oberflaͤchlichkeit ungeachtet zeigen ſchon die Ab- bildungen bey d’Agincourt, daß unter den Kirchen zu Pavia keine einzige der Zeit angehoͤren kann, welche unmittelbar auf die gothiſche folgte, daß ſie vielmehr in ihrer gegenwaͤrtigen Geſtalt dem eilften und zwoͤlften Jahrhundert angehoͤren muͤſ- ſen. Hingegen koͤnnte die Abbildung eines anderen Gebaͤu- des, der Kirche S. Tommaſo in Limine, **) einige Miglien von Bergamo, da alles Untergeordnete darin ganz falſch an- gegeben, der Plan aber altfoͤrmig iſt, ſelbſt den Kenner vor- uͤbergehend taͤuſchen. Mir wenigſtens floͤßte dieſe Abbildung einigen Glauben ein, bis ich, im J. 1829, bey Beſichtigung der Kirche, ſo viele Zeichen einer ſpaͤteren Entſtehung auf- fand, daß ich ihr angeblich hohes Alter ganz verwerfen muß. ***) Dem Plane, nicht den Dimenſionen, noch weniger der Ver- zierung nach, ſcheint dieſe kleine Kirche jener des heil. Vita- lis zu Ravenna nachgebildet zu ſeyn. Doch fand ich, daß ſie aus kleinen, ſehr unvollkommen behauenen Bruchſteinen und mit vielem Moͤrtel gemauert iſt, daß ſie zudem an den Außenſeiten bereits jene duͤnnen, bis zum Kranze hinauflau- fenden Halbſaͤulen, jenen Kranz aus kleinen halbrunden Bo- gen hat, welche im weſtlichen Europa (auch in Italien) erſt um das Jahr 1100 aufgekommen und uͤberall als Vorzeichen der germaniſchen Architectur aufzufaſſen ſind. *) Seroux d’Agincourt, hist. de l’art etc. T. I. Archit. Pl. XXIV. N. 1. 7. **) Daſ. Pl. cit. No. 16. 17. 18. ***) Lupi, Marius, codex Dipl. civ. et ecclesiae Bergomatis. Vol. I. Berg. 1784. fol. p. 209. (cap. XI. §. VIII.) — vanum tamen est de hujus templi antiquitate eruditorum judicium.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/195>, abgerufen am 19.04.2024.