Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Manche, welche von dem äußersten Leichtsinn des Vasari
noch immer nicht sich überzeugen wollen, werden vielleicht
auch hier sich bemühen, unvereinbare Widersprüche auszu-
gleichen; doch ist es unmöglich, ohnehin nicht der Beruf der
historischen Kritik, flüchtige und fahrlässige Schriftsteller durch
künstliche Conjecturen zu entschuldigen, sondern in ihren An-
gaben das Rechte vom Falschen zu unterscheiden. Was in
jenen verwirrten und einander widersprechenden Angaben des
Vasari mit den Denkmalen, und mit allen gewissen Daten
übereintrifft, ist erstlich, daß die zuverlässigen Denkmale des
gothischen Reiches einen leicht barbarisirten spät-römischen
Charakter zeigen; *) zweytens, daß jene späte Bauart, welche
man unstreitig auf Veranlassung des Vasari, noch gegenwär-
tig die gothische nennt, nicht früher, als um das dreyzehnte
Jahrhundert, nach Italien gelangt sey. Was hingegen so-
wohl jener besseren, richtigeren Kunde des Vasari, als allen
sicheren Thatsachen, ja selbst der allgemeinen Wahrscheinlich-
keit in dem Maße widerspricht, wie die sinnlose Behauptung,
"daß die alten Gothen eine so moderne Kunst-
form ausgesonnen haben
," verwirft die gesunde Kritik
als ein leeres Geschwätz, und hält sich nicht dabey auf, zu
ermitteln, ob Vasari dabey eben nur einen gerade aufsteigen-
den Einfall hinschreiben wollen, oder vielmehr der Autorität

die Zeit, in welcher jene angebliche Erfindung der Gothen statt finden
konnte?
*) Das. proemio delle vite p. 76. -- finche la miglior forma
e alquanto alla buona antica simile trovarono poi i migliori ar-
tefici; come si veggono di quella maniera per tutta Italia le piu
vecchie chiese e non antiche, che da essi furono edificate, come da
Teodorico Re d'Italia un palazzo in Ravenna un altro in Pavia etc.

Manche, welche von dem aͤußerſten Leichtſinn des Vaſari
noch immer nicht ſich uͤberzeugen wollen, werden vielleicht
auch hier ſich bemuͤhen, unvereinbare Widerſpruͤche auszu-
gleichen; doch iſt es unmoͤglich, ohnehin nicht der Beruf der
hiſtoriſchen Kritik, fluͤchtige und fahrlaͤſſige Schriftſteller durch
kuͤnſtliche Conjecturen zu entſchuldigen, ſondern in ihren An-
gaben das Rechte vom Falſchen zu unterſcheiden. Was in
jenen verwirrten und einander widerſprechenden Angaben des
Vaſari mit den Denkmalen, und mit allen gewiſſen Daten
uͤbereintrifft, iſt erſtlich, daß die zuverlaͤſſigen Denkmale des
gothiſchen Reiches einen leicht barbariſirten ſpaͤt-roͤmiſchen
Charakter zeigen; *) zweytens, daß jene ſpaͤte Bauart, welche
man unſtreitig auf Veranlaſſung des Vaſari, noch gegenwaͤr-
tig die gothiſche nennt, nicht fruͤher, als um das dreyzehnte
Jahrhundert, nach Italien gelangt ſey. Was hingegen ſo-
wohl jener beſſeren, richtigeren Kunde des Vaſari, als allen
ſicheren Thatſachen, ja ſelbſt der allgemeinen Wahrſcheinlich-
keit in dem Maße widerſpricht, wie die ſinnloſe Behauptung,
daß die alten Gothen eine ſo moderne Kunſt-
form ausgeſonnen haben
,“ verwirft die geſunde Kritik
als ein leeres Geſchwaͤtz, und haͤlt ſich nicht dabey auf, zu
ermitteln, ob Vaſari dabey eben nur einen gerade aufſteigen-
den Einfall hinſchreiben wollen, oder vielmehr der Autoritaͤt

die Zeit, in welcher jene angebliche Erfindung der Gothen ſtatt finden
konnte?
*) Daſ. proemio delle vite p. 76. — finchè la miglior forma
e alquanto alla buona antica simile trovarono poi i migliori ar-
tefici; come si veggono di quella maniera per tutta Italia le piu
vecchie chiese e non antiche, che da essi furono edificate, come da
Teodorico Re d’Italia un palazzo in Ravenna un altro in Pavia etc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0190" n="168"/>
          <p>Manche, welche von dem a&#x0364;ußer&#x017F;ten Leicht&#x017F;inn des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName><lb/>
noch immer nicht &#x017F;ich u&#x0364;berzeugen wollen, werden vielleicht<lb/>
auch hier &#x017F;ich bemu&#x0364;hen, unvereinbare Wider&#x017F;pru&#x0364;che auszu-<lb/>
gleichen; doch i&#x017F;t es unmo&#x0364;glich, ohnehin nicht der Beruf der<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Kritik, flu&#x0364;chtige und fahrla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Schrift&#x017F;teller durch<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tliche Conjecturen zu ent&#x017F;chuldigen, &#x017F;ondern in ihren An-<lb/>
gaben das Rechte vom Fal&#x017F;chen zu unter&#x017F;cheiden. Was in<lb/>
jenen verwirrten und einander wider&#x017F;prechenden Angaben des<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> mit den Denkmalen, und mit allen gewi&#x017F;&#x017F;en Daten<lb/>
u&#x0364;bereintrifft, i&#x017F;t er&#x017F;tlich, daß die zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Denkmale des<lb/>
gothi&#x017F;chen Reiches einen leicht barbari&#x017F;irten &#x017F;pa&#x0364;t-ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Charakter zeigen; <note place="foot" n="*)">Da&#x017F;. <hi rendition="#aq">proemio delle vite p. 76. &#x2014; finchè la miglior forma<lb/>
e <hi rendition="#g">alquanto alla buona antica simile</hi> trovarono poi i migliori ar-<lb/>
tefici; come si veggono di quella maniera per tutta <placeName>Italia</placeName> le piu<lb/>
vecchie chiese e non antiche, che da essi furono edificate, come da<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11862167X">Teodorico Re d&#x2019;Italia</persName> un palazzo in <placeName>Ravenna</placeName> un altro in <placeName>Pavia</placeName> etc.</hi></note> zweytens, daß jene &#x017F;pa&#x0364;te Bauart, welche<lb/>
man un&#x017F;treitig auf Veranla&#x017F;&#x017F;ung des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName>, noch gegenwa&#x0364;r-<lb/>
tig die gothi&#x017F;che nennt, nicht fru&#x0364;her, als um das dreyzehnte<lb/>
Jahrhundert, nach <placeName>Italien</placeName> gelangt &#x017F;ey. Was hingegen &#x017F;o-<lb/>
wohl jener be&#x017F;&#x017F;eren, richtigeren Kunde des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName>, als allen<lb/>
&#x017F;icheren That&#x017F;achen, ja &#x017F;elb&#x017F;t der allgemeinen Wahr&#x017F;cheinlich-<lb/>
keit in dem Maße wider&#x017F;pricht, wie die &#x017F;innlo&#x017F;e Behauptung,<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">daß die alten Gothen eine &#x017F;o moderne Kun&#x017F;t-<lb/>
form ausge&#x017F;onnen haben</hi>,&#x201C; verwirft die ge&#x017F;unde Kritik<lb/>
als ein leeres Ge&#x017F;chwa&#x0364;tz, und ha&#x0364;lt &#x017F;ich nicht dabey auf, zu<lb/>
ermitteln, ob <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> dabey eben nur einen gerade auf&#x017F;teigen-<lb/>
den Einfall hin&#x017F;chreiben wollen, oder vielmehr der Autorita&#x0364;t<lb/><note xml:id="seg2pn_8_2" prev="#seg2pn_8_1" place="foot" n="**)">die Zeit, in welcher jene angebliche Erfindung der Gothen &#x017F;tatt finden<lb/>
konnte?</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0190] Manche, welche von dem aͤußerſten Leichtſinn des Vaſari noch immer nicht ſich uͤberzeugen wollen, werden vielleicht auch hier ſich bemuͤhen, unvereinbare Widerſpruͤche auszu- gleichen; doch iſt es unmoͤglich, ohnehin nicht der Beruf der hiſtoriſchen Kritik, fluͤchtige und fahrlaͤſſige Schriftſteller durch kuͤnſtliche Conjecturen zu entſchuldigen, ſondern in ihren An- gaben das Rechte vom Falſchen zu unterſcheiden. Was in jenen verwirrten und einander widerſprechenden Angaben des Vaſari mit den Denkmalen, und mit allen gewiſſen Daten uͤbereintrifft, iſt erſtlich, daß die zuverlaͤſſigen Denkmale des gothiſchen Reiches einen leicht barbariſirten ſpaͤt-roͤmiſchen Charakter zeigen; *) zweytens, daß jene ſpaͤte Bauart, welche man unſtreitig auf Veranlaſſung des Vaſari, noch gegenwaͤr- tig die gothiſche nennt, nicht fruͤher, als um das dreyzehnte Jahrhundert, nach Italien gelangt ſey. Was hingegen ſo- wohl jener beſſeren, richtigeren Kunde des Vaſari, als allen ſicheren Thatſachen, ja ſelbſt der allgemeinen Wahrſcheinlich- keit in dem Maße widerſpricht, wie die ſinnloſe Behauptung, „daß die alten Gothen eine ſo moderne Kunſt- form ausgeſonnen haben,“ verwirft die geſunde Kritik als ein leeres Geſchwaͤtz, und haͤlt ſich nicht dabey auf, zu ermitteln, ob Vaſari dabey eben nur einen gerade aufſteigen- den Einfall hinſchreiben wollen, oder vielmehr der Autoritaͤt **) *) Daſ. proemio delle vite p. 76. — finchè la miglior forma e alquanto alla buona antica simile trovarono poi i migliori ar- tefici; come si veggono di quella maniera per tutta Italia le piu vecchie chiese e non antiche, che da essi furono edificate, come da Teodorico Re d’Italia un palazzo in Ravenna un altro in Pavia etc. **) die Zeit, in welcher jene angebliche Erfindung der Gothen ſtatt finden konnte?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/190
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/190>, abgerufen am 28.03.2024.