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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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edlen Geistes jemals im Wesentlichen demjenigen nachstehn
können, was untergeordnete Talente nach seinem Entwurfe,
oder nach eignem unter seiner Leitung gemacht haben. Nach
solchen Arbeiten aber werden wir den Meister an sich selbst
nicht beurtheilen dürfen, vielmehr nach anderen ihn beurthei-
len müssen, deren Ausführung ihn selbst ernstlich beschäftigt
hat, gleich der Madonna di S. Sisto, oder dem Spasmo.
Wird auch in diesen vielleicht das jugendlich Naive seiner äl-
teren Arbeiten vermißt, nunwohl, so gewährt der Schwung
männlicher Kraft vollen Ersatz, sucht man aber technische
Fortschritte, so wende man sich zu seinen spätesten Bildnissen.
In diesen kann und will der Meister keinen Ersatzmann, kei-
nen Gehülfen einstellen; er muß die erheblichsten Theile sol-
cher Bilder eigenhändig malen. Nun fällt das Bildniß Leo
X.
nothwendig nach 1517, da erst in diesem Jahre de' Rossi,
eine der beiden Figuren im Grunde, zum Cardinal erhoben
wurde; trägt der berühmte Klavierspieler der Gallerie Sciarra
Colonna zu Rom die Jahreszahl 1518 *). Zeugen nun diese
Bilder von technischen Rückschritten? Hätte Raphael, als er
das Bildniß des Hauses Altoviti oder die Fornarina malte,
den allgemeinen Ton schon so sicher, als hier, beherrscht?
Hätte er schon damals die Formen in gleichem Maaße ver-
standen, die Stoffe und Nebendinge bis zur Täuschung ver-
gegenwärtigen können, wie in dem Bildnisse des Pabstes?
Anderer Bildnisse dieser Zeit erwähnt Vasari, des Lorenzo und

*) Am oberen Rande des Gestelles oder Sockels ist die Jahreszahl
M. D. XVIII. in das Impasto hineinvermalt. Obgleich in diesem Bilde
das Haar, und in der Stirne die Lasur des Schattens verputzt ist, so
darf es doch im Ganzen, besonders in Vergleich des Pabstes, für ganz
wohl erhalten gelten.

edlen Geiſtes jemals im Weſentlichen demjenigen nachſtehn
koͤnnen, was untergeordnete Talente nach ſeinem Entwurfe,
oder nach eignem unter ſeiner Leitung gemacht haben. Nach
ſolchen Arbeiten aber werden wir den Meiſter an ſich ſelbſt
nicht beurtheilen duͤrfen, vielmehr nach anderen ihn beurthei-
len muͤſſen, deren Ausfuͤhrung ihn ſelbſt ernſtlich beſchaͤftigt
hat, gleich der Madonna di S. Siſto, oder dem Spasmo.
Wird auch in dieſen vielleicht das jugendlich Naive ſeiner aͤl-
teren Arbeiten vermißt, nunwohl, ſo gewaͤhrt der Schwung
maͤnnlicher Kraft vollen Erſatz, ſucht man aber techniſche
Fortſchritte, ſo wende man ſich zu ſeinen ſpaͤteſten Bildniſſen.
In dieſen kann und will der Meiſter keinen Erſatzmann, kei-
nen Gehuͤlfen einſtellen; er muß die erheblichſten Theile ſol-
cher Bilder eigenhaͤndig malen. Nun faͤllt das Bildniß Leo
X.
nothwendig nach 1517, da erſt in dieſem Jahre de’ Roſſi,
eine der beiden Figuren im Grunde, zum Cardinal erhoben
wurde; traͤgt der beruͤhmte Klavierſpieler der Gallerie Sciarra
Colonna zu Rom die Jahreszahl 1518 *). Zeugen nun dieſe
Bilder von techniſchen Ruͤckſchritten? Haͤtte Raphael, als er
das Bildniß des Hauſes Altoviti oder die Fornarina malte,
den allgemeinen Ton ſchon ſo ſicher, als hier, beherrſcht?
Haͤtte er ſchon damals die Formen in gleichem Maaße ver-
ſtanden, die Stoffe und Nebendinge bis zur Taͤuſchung ver-
gegenwaͤrtigen koͤnnen, wie in dem Bildniſſe des Pabſtes?
Anderer Bildniſſe dieſer Zeit erwaͤhnt Vaſari, des Lorenzo und

*) Am oberen Rande des Geſtelles oder Sockels iſt die Jahreszahl
M. D. XVIII. in das Impaſto hineinvermalt. Obgleich in dieſem Bilde
das Haar, und in der Stirne die Laſur des Schattens verputzt iſt, ſo
darf es doch im Ganzen, beſonders in Vergleich des Pabſtes, für ganz
wohl erhalten gelten.
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[137/0159] edlen Geiſtes jemals im Weſentlichen demjenigen nachſtehn koͤnnen, was untergeordnete Talente nach ſeinem Entwurfe, oder nach eignem unter ſeiner Leitung gemacht haben. Nach ſolchen Arbeiten aber werden wir den Meiſter an ſich ſelbſt nicht beurtheilen duͤrfen, vielmehr nach anderen ihn beurthei- len muͤſſen, deren Ausfuͤhrung ihn ſelbſt ernſtlich beſchaͤftigt hat, gleich der Madonna di S. Siſto, oder dem Spasmo. Wird auch in dieſen vielleicht das jugendlich Naive ſeiner aͤl- teren Arbeiten vermißt, nunwohl, ſo gewaͤhrt der Schwung maͤnnlicher Kraft vollen Erſatz, ſucht man aber techniſche Fortſchritte, ſo wende man ſich zu ſeinen ſpaͤteſten Bildniſſen. In dieſen kann und will der Meiſter keinen Erſatzmann, kei- nen Gehuͤlfen einſtellen; er muß die erheblichſten Theile ſol- cher Bilder eigenhaͤndig malen. Nun faͤllt das Bildniß Leo X. nothwendig nach 1517, da erſt in dieſem Jahre de’ Roſſi, eine der beiden Figuren im Grunde, zum Cardinal erhoben wurde; traͤgt der beruͤhmte Klavierſpieler der Gallerie Sciarra Colonna zu Rom die Jahreszahl 1518 *). Zeugen nun dieſe Bilder von techniſchen Ruͤckſchritten? Haͤtte Raphael, als er das Bildniß des Hauſes Altoviti oder die Fornarina malte, den allgemeinen Ton ſchon ſo ſicher, als hier, beherrſcht? Haͤtte er ſchon damals die Formen in gleichem Maaße ver- ſtanden, die Stoffe und Nebendinge bis zur Taͤuſchung ver- gegenwaͤrtigen koͤnnen, wie in dem Bildniſſe des Pabſtes? Anderer Bildniſſe dieſer Zeit erwaͤhnt Vaſari, des Lorenzo und *) Am oberen Rande des Geſtelles oder Sockels iſt die Jahreszahl M. D. XVIII. in das Impaſto hineinvermalt. Obgleich in dieſem Bilde das Haar, und in der Stirne die Laſur des Schattens verputzt iſt, ſo darf es doch im Ganzen, beſonders in Vergleich des Pabſtes, für ganz wohl erhalten gelten.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/159>, abgerufen am 29.03.2024.