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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Hoheit zu verleihen, hiedurch die Schauer des Wunderbaren
und Geistigen anzuregen.

Schon im vorangehenden Bande habe ich bemerkt, daß
die Madonna di S. Sisto, der erhabenste Schmuck der Dres-
dener Gallerie, nothwendig von einer Brüderschaft (com-
pagnia),
und für den Zweck bestellt worden ist, bey festlichen
Tagen, an zwey Stangen befestigt *), in Procession durch
die Kirche, oder auch in der Stadt umher getragen zu wer-
den. Alles spricht für diese Vermuthung; die Handlung der
beiden Nebenheiligen, denn die heil. Barbara empfiehlt die
Verehrung der Madonna, der heil. Sixtus hingegen die Brü-
derschaft, welche nach ihm benannt war, der Obhut der Jung-
frau; das Bild ist auf Leinwand gemalt, deren die rö-
mischen und toscanischen Schulen damals höchst selten, und
nie ohne Veranlassung, sich bedienten; das Ganze ist
ohne Boden, schwebt in der Luft, eine Unschicklichkeit in
welche weder Raphael, noch sonst ein Zeitgenosse, bey Altar-
gemälden jemals verfallen ist; nicht zu gedenken, daß auch der
Guido der Münchener Gallerie, welcher sicher einer Brüder-
schaft gehört und bey feyerlichen Umzügen getragen worden,
gleich unserem Bilde als eine Lufterscheinung aufgefaßt, des
Bodens ermangelt, der feststehenden Altargemälden nöthig ist.
Diesen, mir scheint, überzeugenden Gründen kann man ent-
gegensetzen, daß Vasari **) sage: "Raphael habe für die

*) Ich hatte das Kunstwort: drapellone, in: Fahne übersetzt; man
hatte, aus Unkenntniß der Gebräuche, die Kirchenfahnen weich und flat-
ternd sich vorgestellt, gleich den Regimentsfahnen, und darauf Einwürfe
gegründet. Processionsbilder werden aber von zwey, vier und mehr Per-
sonen an zwey Stangen getragen.
**) Vita di Raffaello, ed c. p. 82. -- Fece a' monaci di S.
III. 9

Hoheit zu verleihen, hiedurch die Schauer des Wunderbaren
und Geiſtigen anzuregen.

Schon im vorangehenden Bande habe ich bemerkt, daß
die Madonna di S. Siſto, der erhabenſte Schmuck der Dres-
dener Gallerie, nothwendig von einer Bruͤderſchaft (com-
pagnia),
und fuͤr den Zweck beſtellt worden iſt, bey feſtlichen
Tagen, an zwey Stangen befeſtigt *), in Proceſſion durch
die Kirche, oder auch in der Stadt umher getragen zu wer-
den. Alles ſpricht fuͤr dieſe Vermuthung; die Handlung der
beiden Nebenheiligen, denn die heil. Barbara empfiehlt die
Verehrung der Madonna, der heil. Sixtus hingegen die Bruͤ-
derſchaft, welche nach ihm benannt war, der Obhut der Jung-
frau; das Bild iſt auf Leinwand gemalt, deren die roͤ-
miſchen und toscaniſchen Schulen damals hoͤchſt ſelten, und
nie ohne Veranlaſſung, ſich bedienten; das Ganze iſt
ohne Boden, ſchwebt in der Luft, eine Unſchicklichkeit in
welche weder Raphael, noch ſonſt ein Zeitgenoſſe, bey Altar-
gemaͤlden jemals verfallen iſt; nicht zu gedenken, daß auch der
Guido der Muͤnchener Gallerie, welcher ſicher einer Bruͤder-
ſchaft gehoͤrt und bey feyerlichen Umzuͤgen getragen worden,
gleich unſerem Bilde als eine Lufterſcheinung aufgefaßt, des
Bodens ermangelt, der feſtſtehenden Altargemaͤlden noͤthig iſt.
Dieſen, mir ſcheint, uͤberzeugenden Gruͤnden kann man ent-
gegenſetzen, daß Vaſari **) ſage: „Raphael habe fuͤr die

*) Ich hatte das Kunſtwort: drapellone, in: Fahne überſetzt; man
hatte, aus Unkenntniß der Gebräuche, die Kirchenfahnen weich und flat-
ternd ſich vorgeſtellt, gleich den Regimentsfahnen, und darauf Einwürfe
gegründet. Proceſſionsbilder werden aber von zwey, vier und mehr Per-
ſonen an zwey Stangen getragen.
**) Vita di Raffaello, ed c. p. 82. — Fece a’ monaci di S.
III. 9
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[129/0151] Hoheit zu verleihen, hiedurch die Schauer des Wunderbaren und Geiſtigen anzuregen. Schon im vorangehenden Bande habe ich bemerkt, daß die Madonna di S. Siſto, der erhabenſte Schmuck der Dres- dener Gallerie, nothwendig von einer Bruͤderſchaft (com- pagnia), und fuͤr den Zweck beſtellt worden iſt, bey feſtlichen Tagen, an zwey Stangen befeſtigt *), in Proceſſion durch die Kirche, oder auch in der Stadt umher getragen zu wer- den. Alles ſpricht fuͤr dieſe Vermuthung; die Handlung der beiden Nebenheiligen, denn die heil. Barbara empfiehlt die Verehrung der Madonna, der heil. Sixtus hingegen die Bruͤ- derſchaft, welche nach ihm benannt war, der Obhut der Jung- frau; das Bild iſt auf Leinwand gemalt, deren die roͤ- miſchen und toscaniſchen Schulen damals hoͤchſt ſelten, und nie ohne Veranlaſſung, ſich bedienten; das Ganze iſt ohne Boden, ſchwebt in der Luft, eine Unſchicklichkeit in welche weder Raphael, noch ſonſt ein Zeitgenoſſe, bey Altar- gemaͤlden jemals verfallen iſt; nicht zu gedenken, daß auch der Guido der Muͤnchener Gallerie, welcher ſicher einer Bruͤder- ſchaft gehoͤrt und bey feyerlichen Umzuͤgen getragen worden, gleich unſerem Bilde als eine Lufterſcheinung aufgefaßt, des Bodens ermangelt, der feſtſtehenden Altargemaͤlden noͤthig iſt. Dieſen, mir ſcheint, uͤberzeugenden Gruͤnden kann man ent- gegenſetzen, daß Vaſari **) ſage: „Raphael habe fuͤr die *) Ich hatte das Kunſtwort: drapellone, in: Fahne überſetzt; man hatte, aus Unkenntniß der Gebräuche, die Kirchenfahnen weich und flat- ternd ſich vorgeſtellt, gleich den Regimentsfahnen, und darauf Einwürfe gegründet. Proceſſionsbilder werden aber von zwey, vier und mehr Per- ſonen an zwey Stangen getragen. **) Vita di Raffaello, ed c. p. 82. — Fece a’ monaci di S. III. 9

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/151>, abgerufen am 19.04.2024.