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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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der spanische Hofmaler Amiconi, indem er Zweifel gegen die
Originalität des Bildes erhob, welches der Zeit nach
wahrscheinlich großentheils schon von den Gehülfen ist ange-
legt und beendigt worden, einen englischen Reisenden, die Mo-
tive der Composition schriftlich zu entwickeln *). "Die Jung-
frau, sagt dieser, hält das Kind Jesus auf dem Schooße.
Dieses hat einer Vorlesung des heil. Hieronymus zugehört,
welcher seinen Vortrag unterbricht, als er den Erzengel mit
dem jungen Tobias eintreten, den letzten der Jungfrau vor-
stellen sieht. Während nun die Madonna die Vorbitte des
Engels (um Erstattung des Gesichtes des alten Tobias) voll
Güte angehört, blickt der junge Tobias mit verlegener Schüch-
ternheit zum Jesuskinde auf, legt dieses wiederum die Linke
auf das Buch, aus welchem Hieronymus vorgelesen, gleich-
sam die Stelle festzuhalten, bey welcher die Unterbrechung
eingetreten war. Hieronymus aber hält die rechte Hand am
Blatte und blickt über das Buch auf die Ankömmlinge, gleich
einem, der bereit ist, nach Ablauf der Störung in seinem
Geschäfte fortzufahren." Das Naive, Herzige, Geschäftige
in den Motiven dieses Bildes ward durch die Aufgabe
herbeygeführt; die Eigenthümer der Kappelle, in welcher Au-
genkranke Trost und Hülfe suchten, hatten die Heiligen na-
mentlich aufgegeben, aus deren Charakter das Trauliche der
Handlung und der gegenseitigen Beziehung der Figuren sich
gleichsam von selbst ergab. Hingegen forderte die practische
Bestimmung der Madonna di S. Sisto, für die Kirche glei-
ches Namens zu Piacenza, der Jungfrau eine übermenschliche

Ho-
*) S. de la Puente, viage de Espanna, P. II. p. 78.

der ſpaniſche Hofmaler Amiconi, indem er Zweifel gegen die
Originalitaͤt des Bildes erhob, welches der Zeit nach
wahrſcheinlich großentheils ſchon von den Gehuͤlfen iſt ange-
legt und beendigt worden, einen engliſchen Reiſenden, die Mo-
tive der Compoſition ſchriftlich zu entwickeln *). „Die Jung-
frau, ſagt dieſer, haͤlt das Kind Jeſus auf dem Schooße.
Dieſes hat einer Vorleſung des heil. Hieronymus zugehoͤrt,
welcher ſeinen Vortrag unterbricht, als er den Erzengel mit
dem jungen Tobias eintreten, den letzten der Jungfrau vor-
ſtellen ſieht. Waͤhrend nun die Madonna die Vorbitte des
Engels (um Erſtattung des Geſichtes des alten Tobias) voll
Guͤte angehoͤrt, blickt der junge Tobias mit verlegener Schuͤch-
ternheit zum Jeſuskinde auf, legt dieſes wiederum die Linke
auf das Buch, aus welchem Hieronymus vorgeleſen, gleich-
ſam die Stelle feſtzuhalten, bey welcher die Unterbrechung
eingetreten war. Hieronymus aber haͤlt die rechte Hand am
Blatte und blickt uͤber das Buch auf die Ankoͤmmlinge, gleich
einem, der bereit iſt, nach Ablauf der Stoͤrung in ſeinem
Geſchaͤfte fortzufahren.“ Das Naive, Herzige, Geſchaͤftige
in den Motiven dieſes Bildes ward durch die Aufgabe
herbeygefuͤhrt; die Eigenthuͤmer der Kappelle, in welcher Au-
genkranke Troſt und Huͤlfe ſuchten, hatten die Heiligen na-
mentlich aufgegeben, aus deren Charakter das Trauliche der
Handlung und der gegenſeitigen Beziehung der Figuren ſich
gleichſam von ſelbſt ergab. Hingegen forderte die practiſche
Beſtimmung der Madonna di S. Siſto, fuͤr die Kirche glei-
ches Namens zu Piacenza, der Jungfrau eine uͤbermenſchliche

Ho-
*) S. de la Puente, viage de España, P. II. p. 78.
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[128/0150] der ſpaniſche Hofmaler Amiconi, indem er Zweifel gegen die Originalitaͤt des Bildes erhob, welches der Zeit nach wahrſcheinlich großentheils ſchon von den Gehuͤlfen iſt ange- legt und beendigt worden, einen engliſchen Reiſenden, die Mo- tive der Compoſition ſchriftlich zu entwickeln *). „Die Jung- frau, ſagt dieſer, haͤlt das Kind Jeſus auf dem Schooße. Dieſes hat einer Vorleſung des heil. Hieronymus zugehoͤrt, welcher ſeinen Vortrag unterbricht, als er den Erzengel mit dem jungen Tobias eintreten, den letzten der Jungfrau vor- ſtellen ſieht. Waͤhrend nun die Madonna die Vorbitte des Engels (um Erſtattung des Geſichtes des alten Tobias) voll Guͤte angehoͤrt, blickt der junge Tobias mit verlegener Schuͤch- ternheit zum Jeſuskinde auf, legt dieſes wiederum die Linke auf das Buch, aus welchem Hieronymus vorgeleſen, gleich- ſam die Stelle feſtzuhalten, bey welcher die Unterbrechung eingetreten war. Hieronymus aber haͤlt die rechte Hand am Blatte und blickt uͤber das Buch auf die Ankoͤmmlinge, gleich einem, der bereit iſt, nach Ablauf der Stoͤrung in ſeinem Geſchaͤfte fortzufahren.“ Das Naive, Herzige, Geſchaͤftige in den Motiven dieſes Bildes ward durch die Aufgabe herbeygefuͤhrt; die Eigenthuͤmer der Kappelle, in welcher Au- genkranke Troſt und Huͤlfe ſuchten, hatten die Heiligen na- mentlich aufgegeben, aus deren Charakter das Trauliche der Handlung und der gegenſeitigen Beziehung der Figuren ſich gleichſam von ſelbſt ergab. Hingegen forderte die practiſche Beſtimmung der Madonna di S. Siſto, fuͤr die Kirche glei- ches Namens zu Piacenza, der Jungfrau eine uͤbermenſchliche Ho- *) S. de la Puente, viage de España, P. II. p. 78.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/150>, abgerufen am 28.03.2024.