Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigstens in
der Hand) von Raphael retouchirt, im Uebrigen höchst wahr-
scheinlich unter des Meisters Auge angestellte Uebungen nach
der bereits etwas veralteten Modella. Denn in so später Zeit
bedurfte Raphael schwerlich noch eines Studii dieser schüler-
mäßigen Art, welches weder durch den Gegenstand an sich
selbst, noch durch geistreich neue, poetisch schöne Auffassung
Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom
Vasari angedeuteten Studien weiblicher Köpfe noch immer
sich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht
treten werden.

Einige Spur der noch jugendlichen Züge der Fornarina
glauben die Künstler und Kenner auch in der bekannten Ma-
donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palast Pitti,
in so weit die Allgemeinheit des Gegenstandes solches gestat-
tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt scheint dieses Bild in der
Zeit gemalt zu seyn, als Raphael, mit der Schule von Athen
beschäftigt, an schweren Zeugen und vollen Gewandmassen,
auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, vorüberge-
hend Geschmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach seiner
Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben
weil sie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, sein Gönner
voll Ungeduld war, ihn sicher eine längere Zeit ausschließlich
in Anspruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey
so feinem Verständniß der Formen, doch eine gewisse Schüch-
ternheit des Pinsels, so möchte die Vermuthung nicht so ge-
wagt seyn, Raphael habe sie, nach längerer Versäumniß der
Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß
er dieser Manier (wenn jene Vermuthung haltbar ist) die
alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, nächst jenen

Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigſtens in
der Hand) von Raphael retouchirt, im Uebrigen hoͤchſt wahr-
ſcheinlich unter des Meiſters Auge angeſtellte Uebungen nach
der bereits etwas veralteten Modella. Denn in ſo ſpaͤter Zeit
bedurfte Raphael ſchwerlich noch eines Studii dieſer ſchuͤler-
maͤßigen Art, welches weder durch den Gegenſtand an ſich
ſelbſt, noch durch geiſtreich neue, poetiſch ſchoͤne Auffaſſung
Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom
Vaſari angedeuteten Studien weiblicher Koͤpfe noch immer
ſich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht
treten werden.

Einige Spur der noch jugendlichen Zuͤge der Fornarina
glauben die Kuͤnſtler und Kenner auch in der bekannten Ma-
donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palaſt Pitti,
in ſo weit die Allgemeinheit des Gegenſtandes ſolches geſtat-
tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt ſcheint dieſes Bild in der
Zeit gemalt zu ſeyn, als Raphael, mit der Schule von Athen
beſchaͤftigt, an ſchweren Zeugen und vollen Gewandmaſſen,
auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, voruͤberge-
hend Geſchmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach ſeiner
Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben
weil ſie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, ſein Goͤnner
voll Ungeduld war, ihn ſicher eine laͤngere Zeit ausſchließlich
in Anſpruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey
ſo feinem Verſtaͤndniß der Formen, doch eine gewiſſe Schuͤch-
ternheit des Pinſels, ſo moͤchte die Vermuthung nicht ſo ge-
wagt ſeyn, Raphael habe ſie, nach laͤngerer Verſaͤumniß der
Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß
er dieſer Manier (wenn jene Vermuthung haltbar iſt) die
alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, naͤchſt jenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0139" n="117"/>
Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenig&#x017F;tens in<lb/>
der Hand) von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> retouchirt, im Uebrigen ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich unter des Mei&#x017F;ters Auge ange&#x017F;tellte Uebungen nach<lb/>
der bereits etwas veralteten Modella. Denn in &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;ter Zeit<lb/>
bedurfte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> &#x017F;chwerlich noch eines Studii die&#x017F;er &#x017F;chu&#x0364;ler-<lb/>
ma&#x0364;ßigen Art, welches weder durch den Gegen&#x017F;tand an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, noch durch gei&#x017F;treich neue, poeti&#x017F;ch &#x017F;cho&#x0364;ne Auffa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> angedeuteten Studien weiblicher Ko&#x0364;pfe noch immer<lb/>
&#x017F;ich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht<lb/>
treten werden.</p><lb/>
            <p>Einige Spur der noch jugendlichen Zu&#x0364;ge der <persName ref="http://d-nb.info/gnd/142732516">Fornarina</persName><lb/>
glauben die Ku&#x0364;n&#x017F;tler und Kenner auch in der bekannten Ma-<lb/>
donna della <placeName>Seggiola</placeName>, jetzt in der Gallerie des Pala&#x017F;t Pitti,<lb/>
in &#x017F;o weit die Allgemeinheit des Gegen&#x017F;tandes &#x017F;olches ge&#x017F;tat-<lb/>
tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt &#x017F;cheint die&#x017F;es Bild in der<lb/>
Zeit gemalt zu &#x017F;eyn, als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName>, mit der Schule von <placeName>Athen</placeName><lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;ftigt, an &#x017F;chweren Zeugen und vollen Gewandma&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, voru&#x0364;berge-<lb/>
hend Ge&#x017F;chmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach &#x017F;einer<lb/>
Ankunft in <placeName>Rom</placeName> nahm die Malerey auf der Mauer, eben<lb/>
weil &#x017F;ie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, &#x017F;ein Go&#x0364;nner<lb/>
voll Ungeduld war, ihn &#x017F;icher eine la&#x0364;ngere Zeit aus&#x017F;chließlich<lb/>
in An&#x017F;pruch. Zeigt nun die Madonna della <placeName>Seggiola</placeName>, bey<lb/>
&#x017F;o feinem Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß der Formen, doch eine gewi&#x017F;&#x017F;e Schu&#x0364;ch-<lb/>
ternheit des Pin&#x017F;els, &#x017F;o mo&#x0364;chte die Vermuthung nicht &#x017F;o ge-<lb/>
wagt &#x017F;eyn, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> habe &#x017F;ie, nach la&#x0364;ngerer Ver&#x017F;a&#x0364;umniß der<lb/>
Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß<lb/>
er die&#x017F;er Manier (wenn jene Vermuthung haltbar i&#x017F;t) die<lb/>
alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, na&#x0364;ch&#x017F;t jenen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0139] Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigſtens in der Hand) von Raphael retouchirt, im Uebrigen hoͤchſt wahr- ſcheinlich unter des Meiſters Auge angeſtellte Uebungen nach der bereits etwas veralteten Modella. Denn in ſo ſpaͤter Zeit bedurfte Raphael ſchwerlich noch eines Studii dieſer ſchuͤler- maͤßigen Art, welches weder durch den Gegenſtand an ſich ſelbſt, noch durch geiſtreich neue, poetiſch ſchoͤne Auffaſſung Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom Vaſari angedeuteten Studien weiblicher Koͤpfe noch immer ſich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht treten werden. Einige Spur der noch jugendlichen Zuͤge der Fornarina glauben die Kuͤnſtler und Kenner auch in der bekannten Ma- donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palaſt Pitti, in ſo weit die Allgemeinheit des Gegenſtandes ſolches geſtat- tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt ſcheint dieſes Bild in der Zeit gemalt zu ſeyn, als Raphael, mit der Schule von Athen beſchaͤftigt, an ſchweren Zeugen und vollen Gewandmaſſen, auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, voruͤberge- hend Geſchmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach ſeiner Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben weil ſie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, ſein Goͤnner voll Ungeduld war, ihn ſicher eine laͤngere Zeit ausſchließlich in Anſpruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey ſo feinem Verſtaͤndniß der Formen, doch eine gewiſſe Schuͤch- ternheit des Pinſels, ſo moͤchte die Vermuthung nicht ſo ge- wagt ſeyn, Raphael habe ſie, nach laͤngerer Verſaͤumniß der Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß er dieſer Manier (wenn jene Vermuthung haltbar iſt) die alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, naͤchſt jenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/139
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/139>, abgerufen am 28.03.2024.