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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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vorwaltenden Schattenmassen festzustellen. Für die Ausbildung
der einzelnen Figuren ward anderweitig gesorgt. Hier fehlt
noch die Gruppe mit dem Pabste; auch die Figuren im
Grunde des Tempels sind noch nicht angedeutet, weil sie, ins
Halbdunkel gestellt, bey dieser einfachsten, allgemeinsten Son-
derung des Lichtes vom Dunkelen nicht in Erwägung kamen.

Unter Julius II. ist in den Stanzen, wie überhaupt,
nichts weiter gemalt, so vielleicht nicht einmal der Heliodor
ganz beendigt worden; wenden wir uns daher zu den übrigen
Werken, welche Raphael von seiner Ankunft zu Rom bis zum
Jahre 1513 könnte unternommen und beendigt haben.

Wie denn Vasari überhaupt die Zeitfolge wenig beach-
tet, vom Einen auf das Andere kommt, naiv und geschwätzig
hinschreibt, was ihm jedesmal beyfällt, so erwähnt er auch
der Sibyllen in der Kirche la Pace, des Isaias, selbst der
Galathea in der farnesischen Villa, unmittelbar nachdem er
Raphaels Nachahmung des Buonarota durch alte Malerge-
schichtchen motivirt hat, deren Unwahrheit erweislich ist, de-
ren Unsicherheit der Erzähler selbst eingesteht. Vasari suchte
seine, historisch so schlecht begründete, Behauptung kennerisch
durch ein schlagendes Beyspiel zu unterstützen; und wahrlich,
wenn an irgend einer Stelle, so verräth sich in jenen Sibyl-
len, vornehmlich doch in dem Propheten, eine gewisse, frey-
lich höchst bedingte Nachahmung des Michelangelo. Indeß
erzeigt man dem Vasari eine ganz unverdiente Ehre, wenn
man, ungeachtet der sie begleitenden Verwirrung der Data,
aus dieser Andeutung folgern will *), er habe ausdrücken

*) Quatremere de Q. p. 86. s. in der Anm. "Selon Vasari, et
d'apres l'ordre dans lequel il fait mention des ouvrages de Raphael,

vorwaltenden Schattenmaſſen feſtzuſtellen. Fuͤr die Ausbildung
der einzelnen Figuren ward anderweitig geſorgt. Hier fehlt
noch die Gruppe mit dem Pabſte; auch die Figuren im
Grunde des Tempels ſind noch nicht angedeutet, weil ſie, ins
Halbdunkel geſtellt, bey dieſer einfachſten, allgemeinſten Son-
derung des Lichtes vom Dunkelen nicht in Erwaͤgung kamen.

Unter Julius II. iſt in den Stanzen, wie uͤberhaupt,
nichts weiter gemalt, ſo vielleicht nicht einmal der Heliodor
ganz beendigt worden; wenden wir uns daher zu den uͤbrigen
Werken, welche Raphael von ſeiner Ankunft zu Rom bis zum
Jahre 1513 koͤnnte unternommen und beendigt haben.

Wie denn Vaſari uͤberhaupt die Zeitfolge wenig beach-
tet, vom Einen auf das Andere kommt, naiv und geſchwaͤtzig
hinſchreibt, was ihm jedesmal beyfaͤllt, ſo erwaͤhnt er auch
der Sibyllen in der Kirche la Pace, des Iſaïas, ſelbſt der
Galathea in der farneſiſchen Villa, unmittelbar nachdem er
Raphaels Nachahmung des Buonarota durch alte Malerge-
ſchichtchen motivirt hat, deren Unwahrheit erweislich iſt, de-
ren Unſicherheit der Erzaͤhler ſelbſt eingeſteht. Vaſari ſuchte
ſeine, hiſtoriſch ſo ſchlecht begruͤndete, Behauptung kenneriſch
durch ein ſchlagendes Beyſpiel zu unterſtuͤtzen; und wahrlich,
wenn an irgend einer Stelle, ſo verraͤth ſich in jenen Sibyl-
len, vornehmlich doch in dem Propheten, eine gewiſſe, frey-
lich hoͤchſt bedingte Nachahmung des Michelangelo. Indeß
erzeigt man dem Vaſari eine ganz unverdiente Ehre, wenn
man, ungeachtet der ſie begleitenden Verwirrung der Data,
aus dieſer Andeutung folgern will *), er habe ausdruͤcken

*) Quatremère de Q. p. 86. s. in der Anm. „Selon Vasari, et
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[106/0128] vorwaltenden Schattenmaſſen feſtzuſtellen. Fuͤr die Ausbildung der einzelnen Figuren ward anderweitig geſorgt. Hier fehlt noch die Gruppe mit dem Pabſte; auch die Figuren im Grunde des Tempels ſind noch nicht angedeutet, weil ſie, ins Halbdunkel geſtellt, bey dieſer einfachſten, allgemeinſten Son- derung des Lichtes vom Dunkelen nicht in Erwaͤgung kamen. Unter Julius II. iſt in den Stanzen, wie uͤberhaupt, nichts weiter gemalt, ſo vielleicht nicht einmal der Heliodor ganz beendigt worden; wenden wir uns daher zu den uͤbrigen Werken, welche Raphael von ſeiner Ankunft zu Rom bis zum Jahre 1513 koͤnnte unternommen und beendigt haben. Wie denn Vaſari uͤberhaupt die Zeitfolge wenig beach- tet, vom Einen auf das Andere kommt, naiv und geſchwaͤtzig hinſchreibt, was ihm jedesmal beyfaͤllt, ſo erwaͤhnt er auch der Sibyllen in der Kirche la Pace, des Iſaïas, ſelbſt der Galathea in der farneſiſchen Villa, unmittelbar nachdem er Raphaels Nachahmung des Buonarota durch alte Malerge- ſchichtchen motivirt hat, deren Unwahrheit erweislich iſt, de- ren Unſicherheit der Erzaͤhler ſelbſt eingeſteht. Vaſari ſuchte ſeine, hiſtoriſch ſo ſchlecht begruͤndete, Behauptung kenneriſch durch ein ſchlagendes Beyſpiel zu unterſtuͤtzen; und wahrlich, wenn an irgend einer Stelle, ſo verraͤth ſich in jenen Sibyl- len, vornehmlich doch in dem Propheten, eine gewiſſe, frey- lich hoͤchſt bedingte Nachahmung des Michelangelo. Indeß erzeigt man dem Vaſari eine ganz unverdiente Ehre, wenn man, ungeachtet der ſie begleitenden Verwirrung der Data, aus dieſer Andeutung folgern will *), er habe ausdruͤcken *) Quatremère de Q. p. 86. s. in der Anm. „Selon Vasari, et d’après l’ordre dans lequel il fait mention des ouvrages de Raphaël,

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/128>, abgerufen am 23.04.2024.