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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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sehns, welches nicht allein diesen Deckengemälden, sondern
auch in dem vorangehenden Zimmer den beiden Nebenbildern
an der Wand der Jurisprudenz alle kräftige und dunklere
Tinten entzogen hat, mag sogleich an den Tag gekommen
seyn, da in den folgenden Gemälden, der Messe von Bolsena,
dem Heliodor, die Färbung vortrefflich sich erhalten hat, wenn
man einige Figuren ausnimmt, welche, eines besonderen Bey-
falls sich erfreuend, seit längerer Zeit alljährlich unzählige
Male chalkirt werden, daher, welche Vorsicht man anwenden
möge, allmählig erlöschen müssen, nach dem Grundsatze: daß
viele Tropfen am Ende den härtesten Stein aushöhlen.

Die eine Hälfte der Darstellung des Wunders von Bol-
sena
füllen, in zwey Gruppen, die wundervollsten Bildnisse;
die obere Gruppe, Julius II., einige Cardinäle und geistliche
Hofleute, jener voll Kühnheit und Trotz, diese geschmeidig und
fein, bildet zu der deutschen Mächtigkeit und bieder starrsinni-
gen Einfalt der Schweizerwachen einen im eigentlichsten Sinne
historischen Gegensatz. Priesterherrschaft und Schweizerfußvolk
waren zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts die beiden
Hebel der europäischen Staatenverhältnisse. Ich bezweifle, ob
sie irgendwo in den Schriftstellern so anschaulich, so objectiv
sich darstellen, als eben hier. Allein auch in kunsthistorischer
Beziehung hat dieses Gemälde eine große Merkwürdigkeit.
Denn, was man in Tizians, was in den Arbeiten seiner aus-
gezeichnetsten Schul- und Zeitgenossen vornehmlich bewundert,
die überzeugende Kraft und Wärme ihres Localtons, die zarte,
sich unterordnende Andeutung der Uebergänge, Halbtöne, Far-
benspielungen, sammt dem saftigen, energischen Vortrage, alle
diese Vorzüge finden sich in diesem, auch als a fresco Ge-
mälde unvergleichbaren, Bilde bereits in unübertroffener Voll-

ſehns, welches nicht allein dieſen Deckengemaͤlden, ſondern
auch in dem vorangehenden Zimmer den beiden Nebenbildern
an der Wand der Jurisprudenz alle kraͤftige und dunklere
Tinten entzogen hat, mag ſogleich an den Tag gekommen
ſeyn, da in den folgenden Gemaͤlden, der Meſſe von Bolſena,
dem Heliodor, die Faͤrbung vortrefflich ſich erhalten hat, wenn
man einige Figuren ausnimmt, welche, eines beſonderen Bey-
falls ſich erfreuend, ſeit laͤngerer Zeit alljaͤhrlich unzaͤhlige
Male chalkirt werden, daher, welche Vorſicht man anwenden
moͤge, allmaͤhlig erloͤſchen muͤſſen, nach dem Grundſatze: daß
viele Tropfen am Ende den haͤrteſten Stein aushoͤhlen.

Die eine Haͤlfte der Darstellung des Wunders von Bol-
ſena
fuͤllen, in zwey Gruppen, die wundervollſten Bildniſſe;
die obere Gruppe, Julius II., einige Cardinaͤle und geiſtliche
Hofleute, jener voll Kuͤhnheit und Trotz, dieſe geſchmeidig und
fein, bildet zu der deutſchen Maͤchtigkeit und bieder ſtarrſinni-
gen Einfalt der Schweizerwachen einen im eigentlichſten Sinne
hiſtoriſchen Gegenſatz. Prieſterherrſchaft und Schweizerfußvolk
waren zu Anfang des ſechzehnten Jahrhunderts die beiden
Hebel der europaͤiſchen Staatenverhaͤltniſſe. Ich bezweifle, ob
ſie irgendwo in den Schriftſtellern ſo anſchaulich, ſo objectiv
ſich darſtellen, als eben hier. Allein auch in kunſthiſtoriſcher
Beziehung hat dieſes Gemaͤlde eine große Merkwuͤrdigkeit.
Denn, was man in Tizians, was in den Arbeiten ſeiner aus-
gezeichnetſten Schul- und Zeitgenoſſen vornehmlich bewundert,
die uͤberzeugende Kraft und Waͤrme ihres Localtons, die zarte,
ſich unterordnende Andeutung der Uebergaͤnge, Halbtoͤne, Far-
benſpielungen, ſammt dem ſaftigen, energiſchen Vortrage, alle
dieſe Vorzuͤge finden ſich in dieſem, auch als a fresco Ge-
maͤlde unvergleichbaren, Bilde bereits in unuͤbertroffener Voll-

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[103/0125] ſehns, welches nicht allein dieſen Deckengemaͤlden, ſondern auch in dem vorangehenden Zimmer den beiden Nebenbildern an der Wand der Jurisprudenz alle kraͤftige und dunklere Tinten entzogen hat, mag ſogleich an den Tag gekommen ſeyn, da in den folgenden Gemaͤlden, der Meſſe von Bolſena, dem Heliodor, die Faͤrbung vortrefflich ſich erhalten hat, wenn man einige Figuren ausnimmt, welche, eines beſonderen Bey- falls ſich erfreuend, ſeit laͤngerer Zeit alljaͤhrlich unzaͤhlige Male chalkirt werden, daher, welche Vorſicht man anwenden moͤge, allmaͤhlig erloͤſchen muͤſſen, nach dem Grundſatze: daß viele Tropfen am Ende den haͤrteſten Stein aushoͤhlen. Die eine Haͤlfte der Darstellung des Wunders von Bol- ſena fuͤllen, in zwey Gruppen, die wundervollſten Bildniſſe; die obere Gruppe, Julius II., einige Cardinaͤle und geiſtliche Hofleute, jener voll Kuͤhnheit und Trotz, dieſe geſchmeidig und fein, bildet zu der deutſchen Maͤchtigkeit und bieder ſtarrſinni- gen Einfalt der Schweizerwachen einen im eigentlichſten Sinne hiſtoriſchen Gegenſatz. Prieſterherrſchaft und Schweizerfußvolk waren zu Anfang des ſechzehnten Jahrhunderts die beiden Hebel der europaͤiſchen Staatenverhaͤltniſſe. Ich bezweifle, ob ſie irgendwo in den Schriftſtellern ſo anſchaulich, ſo objectiv ſich darſtellen, als eben hier. Allein auch in kunſthiſtoriſcher Beziehung hat dieſes Gemaͤlde eine große Merkwuͤrdigkeit. Denn, was man in Tizians, was in den Arbeiten ſeiner aus- gezeichnetſten Schul- und Zeitgenoſſen vornehmlich bewundert, die uͤberzeugende Kraft und Waͤrme ihres Localtons, die zarte, ſich unterordnende Andeutung der Uebergaͤnge, Halbtoͤne, Far- benſpielungen, ſammt dem ſaftigen, energiſchen Vortrage, alle dieſe Vorzuͤge finden ſich in dieſem, auch als a fresco Ge- maͤlde unvergleichbaren, Bilde bereits in unuͤbertroffener Voll-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/125>, abgerufen am 19.04.2024.