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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Vasari, die nackten Figuren im Burgbrande *), fällt unbe-
stritten in so späte Zeit.

Unter diesen Umständen kommen die Anachronismen des
Vasari, deren Ausgleichung uns oben beschäftigt hat, genau
genommen gar nicht in Erwägung. Nur so viel wollte und
konnte er behaupten: Raphael habe des Michelangelo großar-
tige und massige Behandlung irgend ein Mal (der Zeitpunkt
kümmerte ihn hier so wenig, als an anderen Stellen) voll
Bewunderung sich angesehen, und versucht, in dieser Beziehung
seinen Nebenbuhler einzuholen. Mit gehöriger Einschränkung
seiner Uebertreibungen **), werden wir ihm hierin beypflich-

*) Vas . ib. p. 86. -- "E se Raffaello si fusse in questa ma-
niera fermato, ne avesse cercato di aggrandirla e variarla, per mo-
strare ch' egli intendeva gli ignudi cosi bene come Mi-
chelangelo
, non si etc. -- percioche gli ignudi, che fece nella ca-
mera di Torre Borgia, dove e l'incendio di Borgo nuovo, an-
cora che sieno buoni, non sono del tutto eccellenti"
-- Seinem We-
sen nach konnte dieser Wettstreit methodischer Virtuosität erst bey ab-
nehmender Fruchtbarkeit, eintretender Reflexion, Raum finden.
**) Man hat eben in dieser Frage den Vasari der Partheylichkeit
beschuldigt, Andere haben ihn davon frey sprechen wollen; beides mit einigem
Grunde. Als einer der feinsten, vielseitigsten Kenner aller Zeiten, liebte
Vasari unstreitig die Bilder des Raphael mehr, als jene seines Meisters;
die einen beschreibt er auf das anschaulichste, die anderen überhäuft er
mit allgemeinen, leeren Lobsprüchen. Als Methsdiker, als Theoretiker,
verachtete er aber den Raphael, begegnete ihm mit einem, besonders in
seinem Munde lächerlichen Ueberlegenheitsgefühle (S. vita di Raff. be-
sonders p. 86., doch auch sonst), erhob er hingegen den Michelangelo
zum höchsten und allgemeinen Vorbilde. Vita di M.A. ed. P. cc. p.
736. "O veramente felice eta nostra, o beati artefici, che ben cosi
vi dovete chiamare, da che nel tempo vostro havete potuto al fonte
di tanta chiarezza rischiarare le tenebrose lucid egli occhj"
und so fort
in ähnlichen Hyperbeln.

Vaſari, die nackten Figuren im Burgbrande *), faͤllt unbe-
ſtritten in ſo ſpaͤte Zeit.

Unter dieſen Umſtaͤnden kommen die Anachronismen des
Vaſari, deren Ausgleichung uns oben beſchaͤftigt hat, genau
genommen gar nicht in Erwaͤgung. Nur ſo viel wollte und
konnte er behaupten: Raphael habe des Michelangelo großar-
tige und maſſige Behandlung irgend ein Mal (der Zeitpunkt
kuͤmmerte ihn hier ſo wenig, als an anderen Stellen) voll
Bewunderung ſich angeſehen, und verſucht, in dieſer Beziehung
ſeinen Nebenbuhler einzuholen. Mit gehoͤriger Einſchraͤnkung
ſeiner Uebertreibungen **), werden wir ihm hierin beypflich-

*) Vas . ib. p. 86. — „E se Raffaello si fusse in questa ma-
niera fermato, ne avesse cercato di aggrandirla e variarla, per mo-
strare ch’ egli intendeva gli ignudi così bene come Mi-
chelangelo
, non si etc. — perciochè gli ignudi, che fece nella ca-
mera di Torre Borgia, dove é l’incendio di Borgo nuovo, an-
cora che sieno buoni, non sono del tutto eccellenti“
— Seinem We-
ſen nach konnte dieſer Wettſtreit methodiſcher Virtuoſität erſt bey ab-
nehmender Fruchtbarkeit, eintretender Reflexion, Raum finden.
**) Man hat eben in dieſer Frage den Vaſari der Partheylichkeit
beſchuldigt, Andere haben ihn davon frey ſprechen wollen; beides mit einigem
Grunde. Als einer der feinſten, vielſeitigſten Kenner aller Zeiten, liebte
Vaſari unſtreitig die Bilder des Raphael mehr, als jene ſeines Meiſters;
die einen beſchreibt er auf das anſchaulichſte, die anderen überhäuft er
mit allgemeinen, leeren Lobſprüchen. Als Methsdiker, als Theoretiker,
verachtete er aber den Raphael, begegnete ihm mit einem, beſonders in
ſeinem Munde lächerlichen Ueberlegenheitsgefühle (S. vita di Raff. be-
ſonders p. 86., doch auch ſonſt), erhob er hingegen den Michelangelo
zum höchſten und allgemeinen Vorbilde. Vita di M.A. ed. P. cc. p.
736. „O veramente felice età nostra, o beati artefici, che ben così
vi dovete chiamare, da che nel tempo vostro havete potuto al fonte
di tanta chiarezza rischiarare le tenebrose lucid egli occhj“
und ſo fort
in ähnlichen Hyperbeln.
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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/117>, abgerufen am 20.04.2024.