Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

wörtlich wiederholt und hinzusetzt: "genug, daß er auf die
eine oder andere Weise mit dem Pabste sich überworfen hatte."
Vasari wollte offenbar seinen früheren Irrthum nicht gerade-
hin eingestehen, ihn nur bemänteln. Denn an mehr als einer
Stelle kommt er auf seine erste Angabe zurück *), hat sie
demnach zu keiner Zeit ganz zurückgenommen.

Auf irgend eine Weise wollte er das Substantielle aller
jener Andeutungen, Raphaels Nachahmung des Mi-
chelangelo
, behaupten. Denn, ohne alle Berücksichtigung
früherer und ganz entgegengesetzter Versionen, erzählt er an
einer anderen Stelle: "nachdem die Decke der Sixtina zur
Hälfte beendigt war, wollte der Pabst, daß sie aufgedeckt
werde. Ganz Rom eilte herbey und der Pabst hatte nicht
einmal die Geduld, den Staub, welchen das Abwerfen der
Gerüste erregt hatte, sinken zu lassen, bey welcher Gelegen-
heit auch Raphael von Urbino sie sah und gleich darauf seine
Manier veränderte und, um sich zu zeigen, die Sibyllen in

*) Vas . ed. P. cc. p. 731. "Per la qual cosa nacque il disor-
dine, come s'e ragionato, che s'hebbe a partire di Roma non volendo
mostrarla al Papa
(die Malerey der Sixtina); und p. 73. (vita di
Raff.). Avvenne adunque in questo tempo, che Michelangelo fece
al Papa nella cappella quel romore e paura, di che parleremo nella
vita sua."
Roscoe (life of Leo X. Ed. III. p. 245.) versichert, diese
letzte Stelle sey mit anderen eben dahinaus zielenden dess. Lebens nur
aus Versehen stehen geblieben, hingegen im Leben des Michelangelo die
falsche Angabe ganz ausgemerzt und zurückgenommen worden, was falsch
ist. Offenbar hat Roscoe den Vasari nicht selbst nachgelesen, auf Lanzi
sich verlassen. -- Vasari ist durchaus kein ehrlicher Historiker; was sei-
nen Werth begründet, ist der Umfang seiner Kunde und der Umstand,
daß er der größten modernen Kunstepoche Zeitgenosse war.

woͤrtlich wiederholt und hinzuſetzt: „genug, daß er auf die
eine oder andere Weiſe mit dem Pabſte ſich uͤberworfen hatte.“
Vaſari wollte offenbar ſeinen fruͤheren Irrthum nicht gerade-
hin eingeſtehen, ihn nur bemaͤnteln. Denn an mehr als einer
Stelle kommt er auf ſeine erſte Angabe zuruͤck *), hat ſie
demnach zu keiner Zeit ganz zuruͤckgenommen.

Auf irgend eine Weiſe wollte er das Subſtantielle aller
jener Andeutungen, Raphaels Nachahmung des Mi-
chelangelo
, behaupten. Denn, ohne alle Beruͤckſichtigung
fruͤherer und ganz entgegengeſetzter Verſionen, erzaͤhlt er an
einer anderen Stelle: „nachdem die Decke der Sixtina zur
Haͤlfte beendigt war, wollte der Pabſt, daß ſie aufgedeckt
werde. Ganz Rom eilte herbey und der Pabſt hatte nicht
einmal die Geduld, den Staub, welchen das Abwerfen der
Geruͤſte erregt hatte, ſinken zu laſſen, bey welcher Gelegen-
heit auch Raphael von Urbino ſie ſah und gleich darauf ſeine
Manier veraͤnderte und, um ſich zu zeigen, die Sibyllen in

*) Vas . ed. P. cc. p. 731. „Per la qual cosa nacque il disor-
dine, come s’é ragionato, che s’hebbe a partire di Roma non volendo
mostrarla al Papa
(die Malerey der Sixtina); und p. 73. (vita di
Raff.). Avvenne adunque in questo tempo, che Michelangelo fece
al Papa nella cappella quel romore e paura, di che parleremo nella
vita sua.“
Roſcoe (life of Leo X. Ed. III. p. 245.) verſichert, dieſe
letzte Stelle ſey mit anderen eben dahinaus zielenden deſſ. Lebens nur
aus Verſehen ſtehen geblieben, hingegen im Leben des Michelangelo die
falſche Angabe ganz ausgemerzt und zurückgenommen worden, was falſch
iſt. Offenbar hat Roſcoe den Vaſari nicht ſelbſt nachgeleſen, auf Lanzi
ſich verlaſſen. — Vaſari iſt durchaus kein ehrlicher Hiſtoriker; was ſei-
nen Werth begründet, iſt der Umfang ſeiner Kunde und der Umſtand,
daß er der größten modernen Kunſtepoche Zeitgenoſſe war.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0114" n="92"/>
wo&#x0364;rtlich wiederholt und hinzu&#x017F;etzt: &#x201E;genug, daß er auf die<lb/>
eine oder andere Wei&#x017F;e mit dem Pab&#x017F;te &#x017F;ich u&#x0364;berworfen hatte.&#x201C;<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> wollte offenbar &#x017F;einen fru&#x0364;heren Irrthum nicht gerade-<lb/>
hin einge&#x017F;tehen, ihn nur bema&#x0364;nteln. Denn an mehr als einer<lb/>
Stelle kommt er auf &#x017F;eine er&#x017F;te Angabe zuru&#x0364;ck <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vas .</persName> ed. P. cc. p. 731. &#x201E;Per la qual cosa nacque il disor-<lb/>
dine, come s&#x2019;é ragionato, che s&#x2019;hebbe a partire di <placeName>Roma</placeName> non volendo<lb/>
mostrarla al Papa</hi> (die Malerey der Sixtina); und <hi rendition="#aq">p. 73. (vita di<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raff.</persName>). Avvenne adunque in questo tempo, che <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelangelo</persName> fece<lb/>
al Papa nella cappella quel romore e paura, di che parleremo nella<lb/>
vita sua.&#x201C;</hi> <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117594261">Ro&#x017F;coe</persName> (<hi rendition="#aq">life of <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640437">Leo X.</persName> Ed. III. p. 245.</hi>) ver&#x017F;ichert, die&#x017F;e<lb/>
letzte Stelle &#x017F;ey mit anderen eben dahinaus zielenden de&#x017F;&#x017F;. Lebens nur<lb/>
aus Ver&#x017F;ehen &#x017F;tehen geblieben, hingegen im Leben des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelangelo</persName> die<lb/>
fal&#x017F;che Angabe ganz ausgemerzt und zurückgenommen worden, was fal&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t. Offenbar hat <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117594261">Ro&#x017F;coe</persName> den <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> nicht &#x017F;elb&#x017F;t nachgele&#x017F;en, auf <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName><lb/>
&#x017F;ich verla&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> i&#x017F;t durchaus kein ehrlicher Hi&#x017F;toriker; was &#x017F;ei-<lb/>
nen Werth begründet, i&#x017F;t der Umfang &#x017F;einer Kunde und der Um&#x017F;tand,<lb/>
daß er der größten modernen Kun&#x017F;tepoche Zeitgeno&#x017F;&#x017F;e war.</note>, hat &#x017F;ie<lb/>
demnach zu keiner Zeit ganz zuru&#x0364;ckgenommen.</p><lb/>
            <p>Auf irgend eine Wei&#x017F;e wollte er das Sub&#x017F;tantielle aller<lb/>
jener Andeutungen, <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> Nachahmung des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Mi-<lb/>
chelangelo</persName></hi>, behaupten. Denn, ohne alle Beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigung<lb/>
fru&#x0364;herer und ganz entgegenge&#x017F;etzter Ver&#x017F;ionen, erza&#x0364;hlt er an<lb/>
einer anderen Stelle: &#x201E;nachdem die Decke der Sixtina zur<lb/>
Ha&#x0364;lfte beendigt war, wollte der Pab&#x017F;t, daß &#x017F;ie aufgedeckt<lb/>
werde. Ganz <placeName>Rom</placeName> eilte herbey und der Pab&#x017F;t hatte nicht<lb/>
einmal die Geduld, den Staub, welchen das Abwerfen der<lb/>
Geru&#x0364;&#x017F;te erregt hatte, &#x017F;inken zu la&#x017F;&#x017F;en, bey welcher Gelegen-<lb/>
heit auch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael von Urbino</persName> &#x017F;ie &#x017F;ah und gleich darauf &#x017F;eine<lb/>
Manier vera&#x0364;nderte und, um &#x017F;ich zu zeigen, die Sibyllen in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0114] woͤrtlich wiederholt und hinzuſetzt: „genug, daß er auf die eine oder andere Weiſe mit dem Pabſte ſich uͤberworfen hatte.“ Vaſari wollte offenbar ſeinen fruͤheren Irrthum nicht gerade- hin eingeſtehen, ihn nur bemaͤnteln. Denn an mehr als einer Stelle kommt er auf ſeine erſte Angabe zuruͤck *), hat ſie demnach zu keiner Zeit ganz zuruͤckgenommen. Auf irgend eine Weiſe wollte er das Subſtantielle aller jener Andeutungen, Raphaels Nachahmung des Mi- chelangelo, behaupten. Denn, ohne alle Beruͤckſichtigung fruͤherer und ganz entgegengeſetzter Verſionen, erzaͤhlt er an einer anderen Stelle: „nachdem die Decke der Sixtina zur Haͤlfte beendigt war, wollte der Pabſt, daß ſie aufgedeckt werde. Ganz Rom eilte herbey und der Pabſt hatte nicht einmal die Geduld, den Staub, welchen das Abwerfen der Geruͤſte erregt hatte, ſinken zu laſſen, bey welcher Gelegen- heit auch Raphael von Urbino ſie ſah und gleich darauf ſeine Manier veraͤnderte und, um ſich zu zeigen, die Sibyllen in *) Vas . ed. P. cc. p. 731. „Per la qual cosa nacque il disor- dine, come s’é ragionato, che s’hebbe a partire di Roma non volendo mostrarla al Papa (die Malerey der Sixtina); und p. 73. (vita di Raff.). Avvenne adunque in questo tempo, che Michelangelo fece al Papa nella cappella quel romore e paura, di che parleremo nella vita sua.“ Roſcoe (life of Leo X. Ed. III. p. 245.) verſichert, dieſe letzte Stelle ſey mit anderen eben dahinaus zielenden deſſ. Lebens nur aus Verſehen ſtehen geblieben, hingegen im Leben des Michelangelo die falſche Angabe ganz ausgemerzt und zurückgenommen worden, was falſch iſt. Offenbar hat Roſcoe den Vaſari nicht ſelbſt nachgeleſen, auf Lanzi ſich verlaſſen. — Vaſari iſt durchaus kein ehrlicher Hiſtoriker; was ſei- nen Werth begründet, iſt der Umfang ſeiner Kunde und der Umſtand, daß er der größten modernen Kunſtepoche Zeitgenoſſe war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/114
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/114>, abgerufen am 24.04.2024.