Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

was für sich Vorhandenes eingeräumt, doch ausgeschlossen
von den möglichen Veranlassungen der Entstehung der neuen
schönen Manier, so scheint nichts übrig zu bleiben und näher
zu liegen, als bey den lombardischen und venezianischen Künst-
lern sie aufzusuchen. Diese haben bekanntlich durch maleri-
schen Reiz besonders sich ausgezeichnet. Allein es fällt die
Ausbildung ihrer malerischen Technik fast um ein Jahrzehnd
später ein, als Raphaels, als Michelangelo's bewundernswer-
theste Leistungen derselben Art *). Wir werden also den
Ursprung und die Entwickelung des malerischen Geschmackes
in den Lebensumständen dieser letzten aufsuchen, doch vorher
auch den Lionardo da Vinci berücksichtigen müssen.

Lionardo hatte die Anlagen und Neigungen eines Bild-
ners auf die Malerey übertragen; in der allgemeineren An-
ordnung, in der Lage, Stellung, Ansicht der Gestalten und
ihrer einzelnen Vergliederungen, war er bis zum Gesuchten
gewählt und zierlich. Zudem erwarb er in der Kunst zu
malen nie so viel Fertigkeit, daß er der Welt in malerischer.
Beziehung ein großes Beyspiel hätte aufstellen können; denn
jenes berühmte Abendmahl zu Mayland war, so viel sein un-
säglich elender Zustand **) noch erkennen läßt, bei weitem
mehr ein Muster kunstvoller Anordnung, als malerischer An-
nehmlichkeit. Indeß leitete eben jenes Streben, auf einer
Fläche dargestellte Formen zu denkbar höchster Vollendung zu
erheben, den Künstler auf die ernstlichste Bemühung um Be-

*) Gaudenzio Ferrari, Benvenuto Garofalo verpflanzten die Neue-
rung von Rom aus in die Lombardey.
**) Es ward in Auftrag des Vicekönigs (Eugen) zum letzten Male
restaurirt, ganz übergangen.

was fuͤr ſich Vorhandenes eingeraͤumt, doch ausgeſchloſſen
von den moͤglichen Veranlaſſungen der Entſtehung der neuen
ſchoͤnen Manier, ſo ſcheint nichts uͤbrig zu bleiben und naͤher
zu liegen, als bey den lombardiſchen und venezianiſchen Kuͤnſt-
lern ſie aufzuſuchen. Dieſe haben bekanntlich durch maleri-
ſchen Reiz beſonders ſich ausgezeichnet. Allein es faͤllt die
Ausbildung ihrer maleriſchen Technik faſt um ein Jahrzehnd
ſpaͤter ein, als Raphaels, als Michelangelo’s bewundernswer-
theſte Leiſtungen derſelben Art *). Wir werden alſo den
Urſprung und die Entwickelung des maleriſchen Geſchmackes
in den Lebensumſtaͤnden dieſer letzten aufſuchen, doch vorher
auch den Lionardo da Vinci beruͤckſichtigen muͤſſen.

Lionardo hatte die Anlagen und Neigungen eines Bild-
ners auf die Malerey uͤbertragen; in der allgemeineren An-
ordnung, in der Lage, Stellung, Anſicht der Geſtalten und
ihrer einzelnen Vergliederungen, war er bis zum Geſuchten
gewaͤhlt und zierlich. Zudem erwarb er in der Kunſt zu
malen nie ſo viel Fertigkeit, daß er der Welt in maleriſcher.
Beziehung ein großes Beyſpiel haͤtte aufſtellen koͤnnen; denn
jenes beruͤhmte Abendmahl zu Mayland war, ſo viel ſein un-
ſaͤglich elender Zuſtand **) noch erkennen laͤßt, bei weitem
mehr ein Muſter kunſtvoller Anordnung, als maleriſcher An-
nehmlichkeit. Indeß leitete eben jenes Streben, auf einer
Flaͤche dargeſtellte Formen zu denkbar hoͤchſter Vollendung zu
erheben, den Kuͤnſtler auf die ernſtlichſte Bemuͤhung um Be-

*) Gaudenzio Ferrari, Benvenuto Garofalo verpflanzten die Neue-
rung von Rom aus in die Lombardey.
**) Es ward in Auftrag des Vicekönigs (Eugen) zum letzten Male
reſtaurirt, ganz übergangen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0110" n="88"/>
was fu&#x0364;r &#x017F;ich Vorhandenes eingera&#x0364;umt, doch ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
von den mo&#x0364;glichen Veranla&#x017F;&#x017F;ungen der Ent&#x017F;tehung der neuen<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Manier, &#x017F;o &#x017F;cheint nichts u&#x0364;brig zu bleiben und na&#x0364;her<lb/>
zu liegen, als bey den lombardi&#x017F;chen und veneziani&#x017F;chen Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
lern &#x017F;ie aufzu&#x017F;uchen. Die&#x017F;e haben bekanntlich durch maleri-<lb/>
&#x017F;chen Reiz be&#x017F;onders &#x017F;ich ausgezeichnet. Allein es fa&#x0364;llt die<lb/>
Ausbildung ihrer maleri&#x017F;chen Technik fa&#x017F;t um ein Jahrzehnd<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;ter ein, als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName>, als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelangelo&#x2019;s</persName> bewundernswer-<lb/>
the&#x017F;te Lei&#x017F;tungen der&#x017F;elben Art <note place="foot" n="*)"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11868339X">Gaudenzio Ferrari</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119195909">Benvenuto Garofalo</persName> verpflanzten die Neue-<lb/>
rung von <placeName>Rom</placeName> aus in die <placeName>Lombardey</placeName>.</note>. Wir werden al&#x017F;o den<lb/>
Ur&#x017F;prung und die Entwickelung des maleri&#x017F;chen Ge&#x017F;chmackes<lb/>
in den Lebensum&#x017F;ta&#x0364;nden die&#x017F;er letzten auf&#x017F;uchen, doch vorher<lb/>
auch den <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640445">Lionardo da Vinci</persName> beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640445">Lionardo</persName> hatte die Anlagen und Neigungen eines Bild-<lb/>
ners auf die Malerey u&#x0364;bertragen; in der allgemeineren An-<lb/>
ordnung, in der Lage, Stellung, An&#x017F;icht der Ge&#x017F;talten und<lb/>
ihrer einzelnen Vergliederungen, war er bis zum Ge&#x017F;uchten<lb/>
gewa&#x0364;hlt und zierlich. Zudem erwarb er in der Kun&#x017F;t zu<lb/>
malen nie &#x017F;o viel Fertigkeit, daß er der Welt in maleri&#x017F;cher.<lb/>
Beziehung ein großes Bey&#x017F;piel ha&#x0364;tte auf&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen; denn<lb/>
jenes beru&#x0364;hmte Abendmahl zu <placeName>Mayland</placeName> war, &#x017F;o viel &#x017F;ein un-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;glich elender Zu&#x017F;tand <note place="foot" n="**)">Es ward in Auftrag des Vicekönigs (<persName ref="http://d-nb.info/gnd/118727834">Eugen</persName>) zum letzten Male<lb/>
re&#x017F;taurirt, ganz übergangen.</note> noch erkennen la&#x0364;ßt, bei weitem<lb/>
mehr ein Mu&#x017F;ter kun&#x017F;tvoller Anordnung, als maleri&#x017F;cher An-<lb/>
nehmlichkeit. Indeß leitete eben jenes Streben, auf einer<lb/>
Fla&#x0364;che darge&#x017F;tellte Formen zu denkbar ho&#x0364;ch&#x017F;ter Vollendung zu<lb/>
erheben, den Ku&#x0364;n&#x017F;tler auf die ern&#x017F;tlich&#x017F;te Bemu&#x0364;hung um Be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0110] was fuͤr ſich Vorhandenes eingeraͤumt, doch ausgeſchloſſen von den moͤglichen Veranlaſſungen der Entſtehung der neuen ſchoͤnen Manier, ſo ſcheint nichts uͤbrig zu bleiben und naͤher zu liegen, als bey den lombardiſchen und venezianiſchen Kuͤnſt- lern ſie aufzuſuchen. Dieſe haben bekanntlich durch maleri- ſchen Reiz beſonders ſich ausgezeichnet. Allein es faͤllt die Ausbildung ihrer maleriſchen Technik faſt um ein Jahrzehnd ſpaͤter ein, als Raphaels, als Michelangelo’s bewundernswer- theſte Leiſtungen derſelben Art *). Wir werden alſo den Urſprung und die Entwickelung des maleriſchen Geſchmackes in den Lebensumſtaͤnden dieſer letzten aufſuchen, doch vorher auch den Lionardo da Vinci beruͤckſichtigen muͤſſen. Lionardo hatte die Anlagen und Neigungen eines Bild- ners auf die Malerey uͤbertragen; in der allgemeineren An- ordnung, in der Lage, Stellung, Anſicht der Geſtalten und ihrer einzelnen Vergliederungen, war er bis zum Geſuchten gewaͤhlt und zierlich. Zudem erwarb er in der Kunſt zu malen nie ſo viel Fertigkeit, daß er der Welt in maleriſcher. Beziehung ein großes Beyſpiel haͤtte aufſtellen koͤnnen; denn jenes beruͤhmte Abendmahl zu Mayland war, ſo viel ſein un- ſaͤglich elender Zuſtand **) noch erkennen laͤßt, bei weitem mehr ein Muſter kunſtvoller Anordnung, als maleriſcher An- nehmlichkeit. Indeß leitete eben jenes Streben, auf einer Flaͤche dargeſtellte Formen zu denkbar hoͤchſter Vollendung zu erheben, den Kuͤnſtler auf die ernſtlichſte Bemuͤhung um Be- *) Gaudenzio Ferrari, Benvenuto Garofalo verpflanzten die Neue- rung von Rom aus in die Lombardey. **) Es ward in Auftrag des Vicekönigs (Eugen) zum letzten Male reſtaurirt, ganz übergangen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/110
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/110>, abgerufen am 25.04.2024.