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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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nossen, oder mit denen, die ihm nachgefolgt sind, erscheinen
selbst seine flüchtigsten Arbeiten als geordnet, sorglich behan-
delt, voll lebendiger Anschauung, innigen Gefühles. Dessen-
ungeachtet zeigt sich in ihnen, wenn man sie mit der Disputa,
oder mit den Gemälden der Gewölbdecke desselben Zimmers
zusammenstellt, eine gewisse Lässigkeit der Behandlung *), eine
gewisse Anschwellung der Formen und Gewandmassen, welche
zwar den Bildnissen und bildnißartigen Gegenständen günstig
ist, doch bey anderen und höheren Aufgaben häufig die ältere
Weise Raphaels ersehnen läßt. Wie man denn überhaupt an
der Grenze der Uebergänge von einer Richtung zur anderen
leicht zu irgend einem Aeußersten sich hinneigt, so gab Ra-
phael
eben in der Schule von Athen und im Parnaß den
Gestalten, besonders aber den Gewandmassen, ungleich mehr
Schwerfälligkeit, dem Vortrage aber mehr Weichlichkeit, als
jemals später in seinen nachfolgenden Bildern. Freylich zeigt
der Parnaß im Stiche des Marcanton viel Strenge des Sty-
les; allein man stach dazumal nicht nach Gemälden, sondern
frey nach den Handzeichnungen der Künstler; und Raphaels
erster Entwurf mag hier der malerischen Ausführung um ei-
nige Zeit vorangegangen seyn.

*) Diese Bemerkung, welche man häufig den Romantikern ganz
zur Last legt, ist im Gegentheil so alt, als Raphaels Werke. Vasari
(ed. P. ce. p. 86.) sagt von ihm: "wenn Raphael bey seiner Manier
geblieben wäre, und sie nicht hätte abändern und großartiger machen
wollen, um zu zeigen, daß er eben so viel verstehe, als Michelangelo, so
würde er nicht einen Theil des Namens, den er sich erwor-
ben, wieder eingebüßt haben
." -- Halten wir uns hier an die
Sache, nicht an des Vasari Lieblingsdigression auf Raphaels Nachah-
mung des Michelangelo.

noſſen, oder mit denen, die ihm nachgefolgt ſind, erſcheinen
ſelbſt ſeine fluͤchtigſten Arbeiten als geordnet, ſorglich behan-
delt, voll lebendiger Anſchauung, innigen Gefuͤhles. Deſſen-
ungeachtet zeigt ſich in ihnen, wenn man ſie mit der Diſputa,
oder mit den Gemaͤlden der Gewoͤlbdecke deſſelben Zimmers
zuſammenſtellt, eine gewiſſe Laͤſſigkeit der Behandlung *), eine
gewiſſe Anſchwellung der Formen und Gewandmaſſen, welche
zwar den Bildniſſen und bildnißartigen Gegenſtaͤnden guͤnſtig
iſt, doch bey anderen und hoͤheren Aufgaben haͤufig die aͤltere
Weiſe Raphaels erſehnen laͤßt. Wie man denn uͤberhaupt an
der Grenze der Uebergaͤnge von einer Richtung zur anderen
leicht zu irgend einem Aeußerſten ſich hinneigt, ſo gab Ra-
phael
eben in der Schule von Athen und im Parnaß den
Geſtalten, beſonders aber den Gewandmaſſen, ungleich mehr
Schwerfaͤlligkeit, dem Vortrage aber mehr Weichlichkeit, als
jemals ſpaͤter in ſeinen nachfolgenden Bildern. Freylich zeigt
der Parnaß im Stiche des Marcanton viel Strenge des Sty-
les; allein man ſtach dazumal nicht nach Gemaͤlden, ſondern
frey nach den Handzeichnungen der Kuͤnſtler; und Raphaels
erſter Entwurf mag hier der maleriſchen Ausfuͤhrung um ei-
nige Zeit vorangegangen ſeyn.

*) Dieſe Bemerkung, welche man häufig den Romantikern ganz
zur Laſt legt, iſt im Gegentheil ſo alt, als Raphaels Werke. Vaſari
(ed. P. ce. p. 86.) ſagt von ihm: „wenn Raphael bey ſeiner Manier
geblieben wäre, und ſie nicht hätte abändern und großartiger machen
wollen, um zu zeigen, daß er eben ſo viel verſtehe, als Michelangelo, ſo
würde er nicht einen Theil des Namens, den er ſich erwor-
ben, wieder eingebüßt haben
.“ — Halten wir uns hier an die
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mung des Michelangelo.
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[84/0106] noſſen, oder mit denen, die ihm nachgefolgt ſind, erſcheinen ſelbſt ſeine fluͤchtigſten Arbeiten als geordnet, ſorglich behan- delt, voll lebendiger Anſchauung, innigen Gefuͤhles. Deſſen- ungeachtet zeigt ſich in ihnen, wenn man ſie mit der Diſputa, oder mit den Gemaͤlden der Gewoͤlbdecke deſſelben Zimmers zuſammenſtellt, eine gewiſſe Laͤſſigkeit der Behandlung *), eine gewiſſe Anſchwellung der Formen und Gewandmaſſen, welche zwar den Bildniſſen und bildnißartigen Gegenſtaͤnden guͤnſtig iſt, doch bey anderen und hoͤheren Aufgaben haͤufig die aͤltere Weiſe Raphaels erſehnen laͤßt. Wie man denn uͤberhaupt an der Grenze der Uebergaͤnge von einer Richtung zur anderen leicht zu irgend einem Aeußerſten ſich hinneigt, ſo gab Ra- phael eben in der Schule von Athen und im Parnaß den Geſtalten, beſonders aber den Gewandmaſſen, ungleich mehr Schwerfaͤlligkeit, dem Vortrage aber mehr Weichlichkeit, als jemals ſpaͤter in ſeinen nachfolgenden Bildern. Freylich zeigt der Parnaß im Stiche des Marcanton viel Strenge des Sty- les; allein man ſtach dazumal nicht nach Gemaͤlden, ſondern frey nach den Handzeichnungen der Kuͤnſtler; und Raphaels erſter Entwurf mag hier der maleriſchen Ausfuͤhrung um ei- nige Zeit vorangegangen ſeyn. *) Dieſe Bemerkung, welche man häufig den Romantikern ganz zur Laſt legt, iſt im Gegentheil ſo alt, als Raphaels Werke. Vaſari (ed. P. ce. p. 86.) ſagt von ihm: „wenn Raphael bey ſeiner Manier geblieben wäre, und ſie nicht hätte abändern und großartiger machen wollen, um zu zeigen, daß er eben ſo viel verſtehe, als Michelangelo, ſo würde er nicht einen Theil des Namens, den er ſich erwor- ben, wieder eingebüßt haben.“ — Halten wir uns hier an die Sache, nicht an des Vaſari Lieblingsdigreſſion auf Raphaels Nachah- mung des Michelangelo.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/106>, abgerufen am 20.04.2024.