Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

nothwendig eigenthümlich und selbst innerhalb der Grenzen des
Tüchtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend
mannichfaltig. Doch darf bei so umfassender und billiger
Ansicht nicht übersehen werden, daß die niedrigsten Stufen
des Lobenswerthen: genügsame Behaglichkeit beym Geringen
und ironische Auffassung des Gemeinen und Schlechten, das
unbedingt Verwerfliche der Lässigkeit des eignen Geistes und der
Verkehrtheit des eignen Sinnes schon unmittelbar begrenzen.

Betrachten wir aber die Auffassung in Bezug auf ihren
Gegenstand, so wird sich ergeben, daß sie, aus diesem Ge-
sichtspunkt angesehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue
und Strenge zu würdigen ist. Allerdings werde ich zugeben
müssen, daß im Uebrigen achtungswerthe Künstler doch, ver-
möge ihrer eigenthümlichen Sinnesart, oder äußeren Stellung,
unfähig seyn können, bestimmte Aufgaben mit Treue und
Richtigkeit aufzufassen. Doch scheint es einzuleuchten, daß die
Verdienste eines Künstlers, der seinen Gegenstand aus Unfä-
higkeit oder Lässigkeit schief auffaßt, in allem Anderen, nur
nicht in der Auffassung des Gegenstandes begründet seyn kön-
nen; demnach wird durch solche Ausnahmefälle der Grundsatz
weder aufgehoben, noch abgeändert: daß der Künstler bemüht
seyn müsse, in das Wesen seines Gegenstandes -- oder sagen
wir einmal seiner Aufgabe -- jedesmal so tief einzudringen,
als ihm nach seiner eigenthümlichen Sinnesart irgend möglich
ist. Und wirklich zeigen häufige Beyspiele, daß hierin schon
die bloße Redlichkeit des Strebens sich unmittelbar belohnt.
Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Darstellungen der
älteren deutschen Maler, deren Sinn und Fähigkeit im ganzen
beschränkt war, mit ähnlichen des Rubens, der in so vielen
Beziehungen jenen überlegen ist, so werden wir gewiß, wenn

nothwendig eigenthuͤmlich und ſelbſt innerhalb der Grenzen des
Tuͤchtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend
mannichfaltig. Doch darf bei ſo umfaſſender und billiger
Anſicht nicht uͤberſehen werden, daß die niedrigſten Stufen
des Lobenswerthen: genuͤgſame Behaglichkeit beym Geringen
und ironiſche Auffaſſung des Gemeinen und Schlechten, das
unbedingt Verwerfliche der Laͤſſigkeit des eignen Geiſtes und der
Verkehrtheit des eignen Sinnes ſchon unmittelbar begrenzen.

Betrachten wir aber die Auffaſſung in Bezug auf ihren
Gegenſtand, ſo wird ſich ergeben, daß ſie, aus dieſem Ge-
ſichtspunkt angeſehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue
und Strenge zu wuͤrdigen iſt. Allerdings werde ich zugeben
muͤſſen, daß im Uebrigen achtungswerthe Kuͤnſtler doch, ver-
moͤge ihrer eigenthuͤmlichen Sinnesart, oder aͤußeren Stellung,
unfaͤhig ſeyn koͤnnen, beſtimmte Aufgaben mit Treue und
Richtigkeit aufzufaſſen. Doch ſcheint es einzuleuchten, daß die
Verdienſte eines Kuͤnſtlers, der ſeinen Gegenſtand aus Unfaͤ-
higkeit oder Laͤſſigkeit ſchief auffaßt, in allem Anderen, nur
nicht in der Auffaſſung des Gegenſtandes begruͤndet ſeyn koͤn-
nen; demnach wird durch ſolche Ausnahmefaͤlle der Grundſatz
weder aufgehoben, noch abgeaͤndert: daß der Kuͤnſtler bemuͤht
ſeyn muͤſſe, in das Weſen ſeines Gegenſtandes — oder ſagen
wir einmal ſeiner Aufgabe — jedesmal ſo tief einzudringen,
als ihm nach ſeiner eigenthuͤmlichen Sinnesart irgend moͤglich
iſt. Und wirklich zeigen haͤufige Beyſpiele, daß hierin ſchon
die bloße Redlichkeit des Strebens ſich unmittelbar belohnt.
Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Darſtellungen der
aͤlteren deutſchen Maler, deren Sinn und Faͤhigkeit im ganzen
beſchraͤnkt war, mit aͤhnlichen des Rubens, der in ſo vielen
Beziehungen jenen uͤberlegen iſt, ſo werden wir gewiß, wenn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0038" n="20"/>
nothwendig eigenthu&#x0364;mlich und &#x017F;elb&#x017F;t innerhalb der Grenzen des<lb/>
Tu&#x0364;chtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend<lb/>
mannichfaltig. Doch darf bei &#x017F;o umfa&#x017F;&#x017F;ender und billiger<lb/>
An&#x017F;icht nicht u&#x0364;ber&#x017F;ehen werden, daß die niedrig&#x017F;ten Stufen<lb/>
des Lobenswerthen: genu&#x0364;g&#x017F;ame Behaglichkeit beym Geringen<lb/>
und ironi&#x017F;che Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Gemeinen und Schlechten, das<lb/>
unbedingt Verwerfliche der La&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit des eignen Gei&#x017F;tes und der<lb/>
Verkehrtheit des eignen Sinnes &#x017F;chon unmittelbar begrenzen.</p><lb/>
          <p>Betrachten wir aber die Auffa&#x017F;&#x017F;ung in Bezug auf ihren<lb/>
Gegen&#x017F;tand, &#x017F;o wird &#x017F;ich ergeben, daß &#x017F;ie, aus die&#x017F;em Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspunkt ange&#x017F;ehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue<lb/>
und Strenge zu wu&#x0364;rdigen i&#x017F;t. Allerdings werde ich zugeben<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß im Uebrigen achtungswerthe Ku&#x0364;n&#x017F;tler doch, ver-<lb/>
mo&#x0364;ge ihrer eigenthu&#x0364;mlichen Sinnesart, oder a&#x0364;ußeren Stellung,<lb/>
unfa&#x0364;hig &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, be&#x017F;timmte Aufgaben mit Treue und<lb/>
Richtigkeit aufzufa&#x017F;&#x017F;en. Doch &#x017F;cheint es einzuleuchten, daß die<lb/>
Verdien&#x017F;te eines Ku&#x0364;n&#x017F;tlers, der &#x017F;einen Gegen&#x017F;tand aus Unfa&#x0364;-<lb/>
higkeit oder La&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit &#x017F;chief auffaßt, in allem Anderen, nur<lb/>
nicht in der Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Gegen&#x017F;tandes begru&#x0364;ndet &#x017F;eyn ko&#x0364;n-<lb/>
nen; demnach wird durch &#x017F;olche Ausnahmefa&#x0364;lle der Grund&#x017F;atz<lb/>
weder aufgehoben, noch abgea&#x0364;ndert: daß der Ku&#x0364;n&#x017F;tler bemu&#x0364;ht<lb/>
&#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, in das We&#x017F;en &#x017F;eines Gegen&#x017F;tandes &#x2014; oder &#x017F;agen<lb/>
wir einmal &#x017F;einer Aufgabe &#x2014; jedesmal &#x017F;o tief einzudringen,<lb/>
als ihm nach &#x017F;einer eigenthu&#x0364;mlichen Sinnesart irgend mo&#x0364;glich<lb/>
i&#x017F;t. Und wirklich zeigen ha&#x0364;ufige Bey&#x017F;piele, daß hierin &#x017F;chon<lb/>
die bloße Redlichkeit des Strebens &#x017F;ich unmittelbar belohnt.<lb/>
Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Dar&#x017F;tellungen der<lb/>
a&#x0364;lteren deut&#x017F;chen Maler, deren Sinn und Fa&#x0364;higkeit im ganzen<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nkt war, mit a&#x0364;hnlichen des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11860354X">Rubens</persName>, der in &#x017F;o vielen<lb/>
Beziehungen jenen u&#x0364;berlegen i&#x017F;t, &#x017F;o werden wir gewiß, wenn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0038] nothwendig eigenthuͤmlich und ſelbſt innerhalb der Grenzen des Tuͤchtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend mannichfaltig. Doch darf bei ſo umfaſſender und billiger Anſicht nicht uͤberſehen werden, daß die niedrigſten Stufen des Lobenswerthen: genuͤgſame Behaglichkeit beym Geringen und ironiſche Auffaſſung des Gemeinen und Schlechten, das unbedingt Verwerfliche der Laͤſſigkeit des eignen Geiſtes und der Verkehrtheit des eignen Sinnes ſchon unmittelbar begrenzen. Betrachten wir aber die Auffaſſung in Bezug auf ihren Gegenſtand, ſo wird ſich ergeben, daß ſie, aus dieſem Ge- ſichtspunkt angeſehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue und Strenge zu wuͤrdigen iſt. Allerdings werde ich zugeben muͤſſen, daß im Uebrigen achtungswerthe Kuͤnſtler doch, ver- moͤge ihrer eigenthuͤmlichen Sinnesart, oder aͤußeren Stellung, unfaͤhig ſeyn koͤnnen, beſtimmte Aufgaben mit Treue und Richtigkeit aufzufaſſen. Doch ſcheint es einzuleuchten, daß die Verdienſte eines Kuͤnſtlers, der ſeinen Gegenſtand aus Unfaͤ- higkeit oder Laͤſſigkeit ſchief auffaßt, in allem Anderen, nur nicht in der Auffaſſung des Gegenſtandes begruͤndet ſeyn koͤn- nen; demnach wird durch ſolche Ausnahmefaͤlle der Grundſatz weder aufgehoben, noch abgeaͤndert: daß der Kuͤnſtler bemuͤht ſeyn muͤſſe, in das Weſen ſeines Gegenſtandes — oder ſagen wir einmal ſeiner Aufgabe — jedesmal ſo tief einzudringen, als ihm nach ſeiner eigenthuͤmlichen Sinnesart irgend moͤglich iſt. Und wirklich zeigen haͤufige Beyſpiele, daß hierin ſchon die bloße Redlichkeit des Strebens ſich unmittelbar belohnt. Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Darſtellungen der aͤlteren deutſchen Maler, deren Sinn und Faͤhigkeit im ganzen beſchraͤnkt war, mit aͤhnlichen des Rubens, der in ſo vielen Beziehungen jenen uͤberlegen iſt, ſo werden wir gewiß, wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/38
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/38>, abgerufen am 29.03.2024.