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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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einer gewissen Uebereinstimmung beider Thätigkeiten bedürfen,
wenn sie überhaupt befriedigen sollen, was doch meist bezweckt
wird. So erkläre ich mir die Beyfälligkeit der Incunabeln,
sowohl der altgriechischen, als der neuitalienischen Kunstepoche
nicht, wie manche Andere, aus einer willkührlich angenom-
menen Ueberlegenheit ihres Geistes über ganz ausgebildete
Künstler derselben Richtung, vielmehr nur daher, daß in jenen
Kunstwerken nirgend Spuren eines Verlangens nach solchen
Vorstellungen des Geistes sichtbar werden, welche das be-
schränkte Darstellungsvermögen anfänglicher und kaum zur
Hälfte ausgebildeter Kunststufen schon um Vieles übersteigen.
Giebt es doch auch im Begriffsleben Gedanken und Vorstel-
lungen, welche das Lallen der Kinder, die treuherzige Einfalt
ungebildeter Menschen treffender ausdrückt, als die gewandteste
oder gelehrteste Sprache. Wer würde indeß daraus folgern
wollen, daß alle Tiefe, alle Erhebung des Geistes eben nur
bey den Kindern und in der roheren Menge wohne? In be-
stimmter Beziehung auf die neuitalienische Kunst dürfte frey-
lich die bewundernswerthe Ausbildung des Begriffes in einem
Dante, Petrarca, Boccaz, viele unserer Zeitgenossen in etwas
irre geleitet haben. Denn es lag nahe, sich zu denken, daß
Künstler, welche von jenen großen Meistern des Begriffes
geschätzt wurden, ihnen auch nicht sogar fern gestanden. Indeß
erhellt das Verhältniß Dante's zu den Malern des vierzehn-
ten Jahrhunderts aus ihren zahlreichen Nachbildungen seines
Gedichtes; dieselben Künstler, denen das treuherzige, innige,
zartsinnige Familienleben der Patriarchen, oder die Jugend-
geschichte des Heilands, oder Aehnliches ganz unübertrefflich
gelang, scheiterten ohne Ausnahme an dem so häufig wieder-

holten

einer gewiſſen Uebereinſtimmung beider Thaͤtigkeiten beduͤrfen,
wenn ſie uͤberhaupt befriedigen ſollen, was doch meiſt bezweckt
wird. So erklaͤre ich mir die Beyfaͤlligkeit der Incunabeln,
ſowohl der altgriechiſchen, als der neuitalieniſchen Kunſtepoche
nicht, wie manche Andere, aus einer willkuͤhrlich angenom-
menen Ueberlegenheit ihres Geiſtes uͤber ganz ausgebildete
Kuͤnſtler derſelben Richtung, vielmehr nur daher, daß in jenen
Kunſtwerken nirgend Spuren eines Verlangens nach ſolchen
Vorſtellungen des Geiſtes ſichtbar werden, welche das be-
ſchraͤnkte Darſtellungsvermoͤgen anfaͤnglicher und kaum zur
Haͤlfte ausgebildeter Kunſtſtufen ſchon um Vieles uͤberſteigen.
Giebt es doch auch im Begriffsleben Gedanken und Vorſtel-
lungen, welche das Lallen der Kinder, die treuherzige Einfalt
ungebildeter Menſchen treffender ausdruͤckt, als die gewandteſte
oder gelehrteſte Sprache. Wer wuͤrde indeß daraus folgern
wollen, daß alle Tiefe, alle Erhebung des Geiſtes eben nur
bey den Kindern und in der roheren Menge wohne? In be-
ſtimmter Beziehung auf die neuitalieniſche Kunſt duͤrfte frey-
lich die bewundernswerthe Ausbildung des Begriffes in einem
Dante, Petrarca, Boccaz, viele unſerer Zeitgenoſſen in etwas
irre geleitet haben. Denn es lag nahe, ſich zu denken, daß
Kuͤnſtler, welche von jenen großen Meiſtern des Begriffes
geſchaͤtzt wurden, ihnen auch nicht ſogar fern geſtanden. Indeß
erhellt das Verhaͤltniß Dante’s zu den Malern des vierzehn-
ten Jahrhunderts aus ihren zahlreichen Nachbildungen ſeines
Gedichtes; dieſelben Kuͤnſtler, denen das treuherzige, innige,
zartſinnige Familienleben der Patriarchen, oder die Jugend-
geſchichte des Heilands, oder Aehnliches ganz unuͤbertrefflich
gelang, ſcheiterten ohne Ausnahme an dem ſo haͤufig wieder-

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[16/0034] einer gewiſſen Uebereinſtimmung beider Thaͤtigkeiten beduͤrfen, wenn ſie uͤberhaupt befriedigen ſollen, was doch meiſt bezweckt wird. So erklaͤre ich mir die Beyfaͤlligkeit der Incunabeln, ſowohl der altgriechiſchen, als der neuitalieniſchen Kunſtepoche nicht, wie manche Andere, aus einer willkuͤhrlich angenom- menen Ueberlegenheit ihres Geiſtes uͤber ganz ausgebildete Kuͤnſtler derſelben Richtung, vielmehr nur daher, daß in jenen Kunſtwerken nirgend Spuren eines Verlangens nach ſolchen Vorſtellungen des Geiſtes ſichtbar werden, welche das be- ſchraͤnkte Darſtellungsvermoͤgen anfaͤnglicher und kaum zur Haͤlfte ausgebildeter Kunſtſtufen ſchon um Vieles uͤberſteigen. Giebt es doch auch im Begriffsleben Gedanken und Vorſtel- lungen, welche das Lallen der Kinder, die treuherzige Einfalt ungebildeter Menſchen treffender ausdruͤckt, als die gewandteſte oder gelehrteſte Sprache. Wer wuͤrde indeß daraus folgern wollen, daß alle Tiefe, alle Erhebung des Geiſtes eben nur bey den Kindern und in der roheren Menge wohne? In be- ſtimmter Beziehung auf die neuitalieniſche Kunſt duͤrfte frey- lich die bewundernswerthe Ausbildung des Begriffes in einem Dante, Petrarca, Boccaz, viele unſerer Zeitgenoſſen in etwas irre geleitet haben. Denn es lag nahe, ſich zu denken, daß Kuͤnſtler, welche von jenen großen Meiſtern des Begriffes geſchaͤtzt wurden, ihnen auch nicht ſogar fern geſtanden. Indeß erhellt das Verhaͤltniß Dante’s zu den Malern des vierzehn- ten Jahrhunderts aus ihren zahlreichen Nachbildungen ſeines Gedichtes; dieſelben Kuͤnſtler, denen das treuherzige, innige, zartſinnige Familienleben der Patriarchen, oder die Jugend- geſchichte des Heilands, oder Aehnliches ganz unuͤbertrefflich gelang, ſcheiterten ohne Ausnahme an dem ſo haͤufig wieder- holten

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/34>, abgerufen am 20.04.2024.