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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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so wie andererseits jene allgemeineren Gegensätze in der Auf-
fassung des Kunstzweckes nothwendig in eine unbestimmbar
große Menge von untergeordneten zerfallen. Liegt es doch in
dem Wesen der Ableitung aus vereinzelten Wahrnehmungen,
daß jeglicher Kunstgelehrte, so lang' er von dem Eindruck,
bald der einen, bald der andern Schule und Meisterschaft
ausgeht, bald diese, bald wiederum eine andere Eigenthüm-
lichkeit bestimmter Erscheinungen mit denen Vorstellungen ver-
knüpft, welche ihm für allgemeine gelten. Frey von einer
solchen Vermischung des Besonderen und Allgemeinen erhielten
sich nicht einmal die unvergeßlichen Stifter jener höheren
Richtung des deutschen Kunstsinnes, aus deren Nachwirkung
sogar das scheinbar Entgegengesetzte in neueren Ansichten und
Bestrebungen entstanden ist. Denn wie könnten wir uns ver-
hehlen, daß Winkelmann und Lessing keinesweges von
einem, sey es ursprünglichen, oder mit großer Verstandes-
schärfe abgesonderten Begriffe der Kunst, sondern überall nur
von dem Eindruck einzelner Kunstgebilde des Alterthumes aus-

Theorieen die Kunst in viele einzelne sogenannte Theile zerlegt;
in Zeichnung, Colorit, Helldunkel, Composition, Ausdruck, u. s. f.,
wie solches in der franz. Encyclopädie, in ihrer deutschen Bear-
beitung, bei Sulzer, und in den Schriften des Mengs aufzu-
finden, und bis auf Sandrart und weiter, rückwärts zu ver-
folgen ist. Ich will nicht untersuchen, ob man bey Auffassung sol-
cher vereinzelten Evolutionen der Kunst überall mit Scharfsinn
wahrgenommen und unterschieden habe; obwohl ich die Bemerkung
nicht unterdrücken kann, daß man in diesen Begriffen das blos
Technische mit dem Geistigsten der Kunst wild durch einander ge-
worfen. Einige dieser Kunstbegriffe gehören in der That nur in
die Werkstätte des thätigen Meisters, und auf keine Weise in die
Theorie; andere sollte man in der Kunstlehre voranstellen, statt sie
mit untergeordneten Fertigkeiten der Länge nach aufzureihn.

ſo wie andererſeits jene allgemeineren Gegenſaͤtze in der Auf-
faſſung des Kunſtzweckes nothwendig in eine unbeſtimmbar
große Menge von untergeordneten zerfallen. Liegt es doch in
dem Weſen der Ableitung aus vereinzelten Wahrnehmungen,
daß jeglicher Kunſtgelehrte, ſo lang’ er von dem Eindruck,
bald der einen, bald der andern Schule und Meiſterſchaft
ausgeht, bald dieſe, bald wiederum eine andere Eigenthuͤm-
lichkeit beſtimmter Erſcheinungen mit denen Vorſtellungen ver-
knuͤpft, welche ihm fuͤr allgemeine gelten. Frey von einer
ſolchen Vermiſchung des Beſonderen und Allgemeinen erhielten
ſich nicht einmal die unvergeßlichen Stifter jener hoͤheren
Richtung des deutſchen Kunſtſinnes, aus deren Nachwirkung
ſogar das ſcheinbar Entgegengeſetzte in neueren Anſichten und
Beſtrebungen entſtanden iſt. Denn wie koͤnnten wir uns ver-
hehlen, daß Winkelmann und Leſſing keinesweges von
einem, ſey es urſpruͤnglichen, oder mit großer Verſtandes-
ſchaͤrfe abgeſonderten Begriffe der Kunſt, ſondern uͤberall nur
von dem Eindruck einzelner Kunſtgebilde des Alterthumes aus-

Theorieen die Kunſt in viele einzelne ſogenannte Theile zerlegt;
in Zeichnung, Colorit, Helldunkel, Compoſition, Ausdruck, u. ſ. f.,
wie ſolches in der franz. Encyclopaͤdie, in ihrer deutſchen Bear-
beitung, bei Sulzer, und in den Schriften des Mengs aufzu-
finden, und bis auf Sandrart und weiter, ruͤckwaͤrts zu ver-
folgen iſt. Ich will nicht unterſuchen, ob man bey Auffaſſung ſol-
cher vereinzelten Evolutionen der Kunſt uͤberall mit Scharfſinn
wahrgenommen und unterſchieden habe; obwohl ich die Bemerkung
nicht unterdruͤcken kann, daß man in dieſen Begriffen das blos
Techniſche mit dem Geiſtigſten der Kunſt wild durch einander ge-
worfen. Einige dieſer Kunſtbegriffe gehoͤren in der That nur in
die Werkſtaͤtte des thaͤtigen Meiſters, und auf keine Weiſe in die
Theorie; andere ſollte man in der Kunſtlehre voranſtellen, ſtatt ſie
mit untergeordneten Fertigkeiten der Laͤnge nach aufzureihn.
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[4/0022] ſo wie andererſeits jene allgemeineren Gegenſaͤtze in der Auf- faſſung des Kunſtzweckes nothwendig in eine unbeſtimmbar große Menge von untergeordneten zerfallen. Liegt es doch in dem Weſen der Ableitung aus vereinzelten Wahrnehmungen, daß jeglicher Kunſtgelehrte, ſo lang’ er von dem Eindruck, bald der einen, bald der andern Schule und Meiſterſchaft ausgeht, bald dieſe, bald wiederum eine andere Eigenthuͤm- lichkeit beſtimmter Erſcheinungen mit denen Vorſtellungen ver- knuͤpft, welche ihm fuͤr allgemeine gelten. Frey von einer ſolchen Vermiſchung des Beſonderen und Allgemeinen erhielten ſich nicht einmal die unvergeßlichen Stifter jener hoͤheren Richtung des deutſchen Kunſtſinnes, aus deren Nachwirkung ſogar das ſcheinbar Entgegengeſetzte in neueren Anſichten und Beſtrebungen entſtanden iſt. Denn wie koͤnnten wir uns ver- hehlen, daß Winkelmann und Leſſing keinesweges von einem, ſey es urſpruͤnglichen, oder mit großer Verſtandes- ſchaͤrfe abgeſonderten Begriffe der Kunſt, ſondern uͤberall nur von dem Eindruck einzelner Kunſtgebilde des Alterthumes aus- **) **) Theorieen die Kunſt in viele einzelne ſogenannte Theile zerlegt; in Zeichnung, Colorit, Helldunkel, Compoſition, Ausdruck, u. ſ. f., wie ſolches in der franz. Encyclopaͤdie, in ihrer deutſchen Bear- beitung, bei Sulzer, und in den Schriften des Mengs aufzu- finden, und bis auf Sandrart und weiter, ruͤckwaͤrts zu ver- folgen iſt. Ich will nicht unterſuchen, ob man bey Auffaſſung ſol- cher vereinzelten Evolutionen der Kunſt uͤberall mit Scharfſinn wahrgenommen und unterſchieden habe; obwohl ich die Bemerkung nicht unterdruͤcken kann, daß man in dieſen Begriffen das blos Techniſche mit dem Geiſtigſten der Kunſt wild durch einander ge- worfen. Einige dieſer Kunſtbegriffe gehoͤren in der That nur in die Werkſtaͤtte des thaͤtigen Meiſters, und auf keine Weiſe in die Theorie; andere ſollte man in der Kunſtlehre voranſtellen, ſtatt ſie mit untergeordneten Fertigkeiten der Laͤnge nach aufzureihn.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/22>, abgerufen am 19.04.2024.