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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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trachtung nun einmal durchaus nicht angeht. Denn ohne,
etwa mit Lessing, die Möglichkeit, oder den Nutzen der bild-
lichen Andeutung edler Begriffe und sinnreicher Gedanken durch-
aus zu läugnen, sehe ich mich dennoch genöthigt, das Ver-
dienst alles Guten, welches solche Andeutungen in sich ein-
schließen, nicht dem Künstler, als Künstler betrachtet, nicht
den bildenden Künsten beyzumessen, welche dazu die stehenden
Ziffern nur etwa herleihen, vielmehr dem menschlichen Geiste
überhaupt und besonders den Künsten der Rede, in deren
Begriffen und Fügungen ihr Gegenstand, wie es einleuchten
muß, zuerst aufgefaßt und durchgebildet worden. Näher jedoch
dürften uns solche Erklärungen angehen, welche, wie einseitig
sie seyn mögen, doch immer von irgend einer Fähigkeit oder
Leistung wirklicher Kunst ausgehen.

Dieser Art ist die Erklärung derer, welche den Zweck der
Kunst entweder in Deutlichkeit des Dargestellten -- Charak-
ter *) -- oder auch in bloß sinnliche Wahrscheinlichkeit --
Illusion **) -- setzen; je nachdem sie in bestimmten Kunst-
werken von dem einen, oder von dem andern Vorzuge leb-

*) S. Hirt, über das Kunstschöne, Horen. 1797. St. 7. --
Herr Hofrath Hirt gehört, wie es nicht immer zur Genüge aner-
kannt worden, zu den wenigen Kunstgelehrten, welche den Werken
der Kunst mit Sinn, Gefühl und Liebe sich angenähert haben.
Eben daher hat der Ausdruck Charakter in seinem Munde eine
vollere Bedeutung; der wirklich Kunstverständige wollte und konnte
durch ein Paar allgemeine ästhetische Begriffe sich nicht befriedigen
lassen. In wie fern er in der Behauptung einer wesentlichen Seite
der Kunst damals zu weit gegangen, bedarf keiner Beleuchtung,
nachdem dieser treffliche Veteran der Geschichte der Kunst eben
diese seither auf das vielseitigste beleuchtet hat.
**) S. die französischen und a. Kunstgelehrten, welche vornehm-
lich durch den Eindruck holländischer Kunstwerke bestimmt worden.

trachtung nun einmal durchaus nicht angeht. Denn ohne,
etwa mit Leſſing, die Moͤglichkeit, oder den Nutzen der bild-
lichen Andeutung edler Begriffe und ſinnreicher Gedanken durch-
aus zu laͤugnen, ſehe ich mich dennoch genoͤthigt, das Ver-
dienſt alles Guten, welches ſolche Andeutungen in ſich ein-
ſchließen, nicht dem Kuͤnſtler, als Kuͤnſtler betrachtet, nicht
den bildenden Kuͤnſten beyzumeſſen, welche dazu die ſtehenden
Ziffern nur etwa herleihen, vielmehr dem menſchlichen Geiſte
uͤberhaupt und beſonders den Kuͤnſten der Rede, in deren
Begriffen und Fuͤgungen ihr Gegenſtand, wie es einleuchten
muß, zuerſt aufgefaßt und durchgebildet worden. Naͤher jedoch
duͤrften uns ſolche Erklaͤrungen angehen, welche, wie einſeitig
ſie ſeyn moͤgen, doch immer von irgend einer Faͤhigkeit oder
Leiſtung wirklicher Kunſt ausgehen.

Dieſer Art iſt die Erklaͤrung derer, welche den Zweck der
Kunſt entweder in Deutlichkeit des Dargeſtellten — Charak-
ter *) — oder auch in bloß ſinnliche Wahrſcheinlichkeit —
Illuſion **) — ſetzen; je nachdem ſie in beſtimmten Kunſt-
werken von dem einen, oder von dem andern Vorzuge leb-

*) S. Hirt, uͤber das Kunſtſchoͤne, Horen. 1797. St. 7. —
Herr Hofrath Hirt gehoͤrt, wie es nicht immer zur Genuͤge aner-
kannt worden, zu den wenigen Kunſtgelehrten, welche den Werken
der Kunſt mit Sinn, Gefuͤhl und Liebe ſich angenaͤhert haben.
Eben daher hat der Ausdruck Charakter in ſeinem Munde eine
vollere Bedeutung; der wirklich Kunſtverſtaͤndige wollte und konnte
durch ein Paar allgemeine aͤſthetiſche Begriffe ſich nicht befriedigen
laſſen. In wie fern er in der Behauptung einer weſentlichen Seite
der Kunſt damals zu weit gegangen, bedarf keiner Beleuchtung,
nachdem dieſer treffliche Veteran der Geſchichte der Kunſt eben
dieſe ſeither auf das vielſeitigſte beleuchtet hat.
**) S. die franzoͤſiſchen und a. Kunſtgelehrten, welche vornehm-
lich durch den Eindruck hollaͤndiſcher Kunſtwerke beſtimmt worden.
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[2/0020] trachtung nun einmal durchaus nicht angeht. Denn ohne, etwa mit Leſſing, die Moͤglichkeit, oder den Nutzen der bild- lichen Andeutung edler Begriffe und ſinnreicher Gedanken durch- aus zu laͤugnen, ſehe ich mich dennoch genoͤthigt, das Ver- dienſt alles Guten, welches ſolche Andeutungen in ſich ein- ſchließen, nicht dem Kuͤnſtler, als Kuͤnſtler betrachtet, nicht den bildenden Kuͤnſten beyzumeſſen, welche dazu die ſtehenden Ziffern nur etwa herleihen, vielmehr dem menſchlichen Geiſte uͤberhaupt und beſonders den Kuͤnſten der Rede, in deren Begriffen und Fuͤgungen ihr Gegenſtand, wie es einleuchten muß, zuerſt aufgefaßt und durchgebildet worden. Naͤher jedoch duͤrften uns ſolche Erklaͤrungen angehen, welche, wie einſeitig ſie ſeyn moͤgen, doch immer von irgend einer Faͤhigkeit oder Leiſtung wirklicher Kunſt ausgehen. Dieſer Art iſt die Erklaͤrung derer, welche den Zweck der Kunſt entweder in Deutlichkeit des Dargeſtellten — Charak- ter *) — oder auch in bloß ſinnliche Wahrſcheinlichkeit — Illuſion **) — ſetzen; je nachdem ſie in beſtimmten Kunſt- werken von dem einen, oder von dem andern Vorzuge leb- *) S. Hirt, uͤber das Kunſtſchoͤne, Horen. 1797. St. 7. — Herr Hofrath Hirt gehoͤrt, wie es nicht immer zur Genuͤge aner- kannt worden, zu den wenigen Kunſtgelehrten, welche den Werken der Kunſt mit Sinn, Gefuͤhl und Liebe ſich angenaͤhert haben. Eben daher hat der Ausdruck Charakter in ſeinem Munde eine vollere Bedeutung; der wirklich Kunſtverſtaͤndige wollte und konnte durch ein Paar allgemeine aͤſthetiſche Begriffe ſich nicht befriedigen laſſen. In wie fern er in der Behauptung einer weſentlichen Seite der Kunſt damals zu weit gegangen, bedarf keiner Beleuchtung, nachdem dieſer treffliche Veteran der Geſchichte der Kunſt eben dieſe ſeither auf das vielſeitigſte beleuchtet hat. **) S. die franzoͤſiſchen und a. Kunſtgelehrten, welche vornehm- lich durch den Eindruck hollaͤndiſcher Kunſtwerke beſtimmt worden.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/20>, abgerufen am 29.03.2024.