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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

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43.
Am Rand des Stromes sitzt ein Angler um zu angeln,
Und läßts an keiner Kunst, den Fisch zu locken, mangeln.
Die Lockung lässet er am feinsten Faden schweben,
Die Ruth' ist stark genug den schwersten Fang zu heben.
Doch munter spielt der Fisch in seinem Element,
Und achtets seinen Tod, wenn man davon ihn trennt.
So überm Sinnenmeer, in das versenkt wir sind,
Sitzt dort ein Angler auch und lockt das Menschenkind.
Der Angel Nektar schwebt an goldnem Sonnenfaden,
Uns aus der bittern Flut zur süßen Kost zu laden.
Doch wollen sie nicht recht der Himmelsladung achten,
Sie fürchten wie der Fisch im Aether zu verschmachten.
Doch jeder ist zuletzt gefangen unwillkührlich;
Komm, stirb der Welt im Geist, eh du ihr stirbst natürlich!
Der Mensch, solang er lebt, ist meist ein Doppelleber,
Nur wen'ge sind ganz Fisch, noch wen'ger Himmelschweber.

43.
Am Rand des Stromes ſitzt ein Angler um zu angeln,
Und laͤßts an keiner Kunſt, den Fiſch zu locken, mangeln.
Die Lockung laͤſſet er am feinſten Faden ſchweben,
Die Ruth' iſt ſtark genug den ſchwerſten Fang zu heben.
Doch munter ſpielt der Fiſch in ſeinem Element,
Und achtets ſeinen Tod, wenn man davon ihn trennt.
So uͤberm Sinnenmeer, in das verſenkt wir ſind,
Sitzt dort ein Angler auch und lockt das Menſchenkind.
Der Angel Nektar ſchwebt an goldnem Sonnenfaden,
Uns aus der bittern Flut zur ſuͤßen Koſt zu laden.
Doch wollen ſie nicht recht der Himmelsladung achten,
Sie fuͤrchten wie der Fiſch im Aether zu verſchmachten.
Doch jeder iſt zuletzt gefangen unwillkuͤhrlich;
Komm, ſtirb der Welt im Geiſt, eh du ihr ſtirbſt natuͤrlich!
Der Menſch, ſolang er lebt, iſt meiſt ein Doppelleber,
Nur wen'ge ſind ganz Fiſch, noch wen'ger Himmelſchweber.

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[42/0052] 43. Am Rand des Stromes ſitzt ein Angler um zu angeln, Und laͤßts an keiner Kunſt, den Fiſch zu locken, mangeln. Die Lockung laͤſſet er am feinſten Faden ſchweben, Die Ruth' iſt ſtark genug den ſchwerſten Fang zu heben. Doch munter ſpielt der Fiſch in ſeinem Element, Und achtets ſeinen Tod, wenn man davon ihn trennt. So uͤberm Sinnenmeer, in das verſenkt wir ſind, Sitzt dort ein Angler auch und lockt das Menſchenkind. Der Angel Nektar ſchwebt an goldnem Sonnenfaden, Uns aus der bittern Flut zur ſuͤßen Koſt zu laden. Doch wollen ſie nicht recht der Himmelsladung achten, Sie fuͤrchten wie der Fiſch im Aether zu verſchmachten. Doch jeder iſt zuletzt gefangen unwillkuͤhrlich; Komm, ſtirb der Welt im Geiſt, eh du ihr ſtirbſt natuͤrlich! Der Menſch, ſolang er lebt, iſt meiſt ein Doppelleber, Nur wen'ge ſind ganz Fiſch, noch wen'ger Himmelſchweber.

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Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/52>, abgerufen am 28.03.2024.