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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

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20.
Der Knabe steht am Berg und lauscht in stiller Wonne,
Weil gegenüber ihm aufgehen will die Sonne.
Die höchsten Spitzen sieht von Hoffnung er geröthet,
Und hört von Lerchenlied den Sieg des Lichts geflötet.
Doch immer will sie selbst noch kommen nicht empor,
Und seiner Sehnsucht schiebt sich eine Wolke vor.
Da faßt ihn Ungeduld: wie lange will sie säumen?
Der Sonn' entgegen geht er vorwerts in den Räumen.
Er geht den Berg hinab, er stand am Bergabhange,
Entgegen berghinab geht er dem Sonnaufgange.
Und immer schwächer wird um ihn der Morgenschein,
Wie tiefer in die Nacht des Thals er geht hinein.
Und aus der Schlucht, wo ihm der letzte Schein verglimmt,
Sieht er zurück, wie rings in Glanz die Schöpfung schwimmt;
Und sieht denselben Platz, von dem er ausgegangen,
Vom hellsten Sonnenstral, den er ersehnt, umfangen.

20.
Der Knabe ſteht am Berg und lauſcht in ſtiller Wonne,
Weil gegenuͤber ihm aufgehen will die Sonne.
Die hoͤchſten Spitzen ſieht von Hoffnung er geroͤthet,
Und hoͤrt von Lerchenlied den Sieg des Lichts gefloͤtet.
Doch immer will ſie ſelbſt noch kommen nicht empor,
Und ſeiner Sehnſucht ſchiebt ſich eine Wolke vor.
Da faßt ihn Ungeduld: wie lange will ſie ſaͤumen?
Der Sonn' entgegen geht er vorwerts in den Raͤumen.
Er geht den Berg hinab, er ſtand am Bergabhange,
Entgegen berghinab geht er dem Sonnaufgange.
Und immer ſchwaͤcher wird um ihn der Morgenſchein,
Wie tiefer in die Nacht des Thals er geht hinein.
Und aus der Schlucht, wo ihm der letzte Schein verglimmt,
Sieht er zuruͤck, wie rings in Glanz die Schoͤpfung ſchwimmt;
Und ſieht denſelben Platz, von dem er ausgegangen,
Vom hellſten Sonnenſtral, den er erſehnt, umfangen.

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[19/0029] 20. Der Knabe ſteht am Berg und lauſcht in ſtiller Wonne, Weil gegenuͤber ihm aufgehen will die Sonne. Die hoͤchſten Spitzen ſieht von Hoffnung er geroͤthet, Und hoͤrt von Lerchenlied den Sieg des Lichts gefloͤtet. Doch immer will ſie ſelbſt noch kommen nicht empor, Und ſeiner Sehnſucht ſchiebt ſich eine Wolke vor. Da faßt ihn Ungeduld: wie lange will ſie ſaͤumen? Der Sonn' entgegen geht er vorwerts in den Raͤumen. Er geht den Berg hinab, er ſtand am Bergabhange, Entgegen berghinab geht er dem Sonnaufgange. Und immer ſchwaͤcher wird um ihn der Morgenſchein, Wie tiefer in die Nacht des Thals er geht hinein. Und aus der Schlucht, wo ihm der letzte Schein verglimmt, Sieht er zuruͤck, wie rings in Glanz die Schoͤpfung ſchwimmt; Und ſieht denſelben Platz, von dem er ausgegangen, Vom hellſten Sonnenſtral, den er erſehnt, umfangen.

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Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/29>, abgerufen am 29.03.2024.