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Rubens, Heinrich: Gedächtnisrede auf Friedrich Kohlrausch. Berlin, 1910.

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Gedächtnisrede auf Friedrich Kohlrausch.


der letztgenannte bei gleichem Aufwand von Sorgfalt die geringsten Fehler-
quellen enthält". Es wurden 35 Salzlösungen bei drei verschiedenen Tem-
peraturen untersucht. 1876 kam eine große Zahl von Säuren hinzu, 1879
weitere 158 Lösungen von 40 verschiedenen Körpern. Auch wurden in dem-
selben Jahre drei wichtige experimentelle Verbesserungen eingeführt: die
Vergrößerung der Elektrodenflächen durch Überziehen mit Platinschwarz,
die Verwendung des Induktoriums mit Neefschem Hammer an Stelle des
Sinusinduktors und der Ersatz des Elektrodynamometers durch das Bell-
sche Telephon. Das nunmehr vorliegende gewaltige Beobachtungsmaterial
gestattete schon eine ziemlich gute Übersicht und ließ ein Gesetz von
fundamentaler Wichtigkeit erkennen, welches aussagt, daß innerhalb einer
stark verdünnten Lösung einer jeden Ionengattung ein ganz bestimmter
Widerstand zukommt, dessen Größe von der Zusammensetzung des Mole-
küls unabhängig ist, aus welchem sich das Ion durch Dissoziation gebildet
hat. Ist der Widerstand einer jeden Ionenart ein für allemal bestimmt,
so läßt sich daraus das Leitvermögen verdünnter Lösungen berechnen.
Dieses Gesetz von der unabhängigen Wanderung der Ionen bildet heute die
Grundlage unserer Anschauung auf dem Gebiet der elektrolytischen Leitung
und ist deshalb auch für die physikalische Chemie von großer Bedeutung.


Unter Kohlrauschs elektrolytischen Arbeiten beansprucht die in Ge-
meinschaft mit Hrn. Heydweiller angestellte Untersuchung der Leitfähigkeit
des reinen Wassers besonderes Interesse. Durch Eindestillieren des Wassers
in Glasgefäße unter Luftabschluß, welche durch lange Berührung mit Wasser
fast alle löslichen Bestandteile der Wände abgegeben hatten, war es den
Verfassern möglich, ein Wasser von nie dagewesener Reinheit, entsprechend
geringem Leitvermögen und hohem Temperaturkoeffizienten zu erzielen.
Es ergab sich, daß dieses Wasser etwa 200mal schlechter leitete, als das
unter gewöhnlichen Bedingungen an der Luft destillierte, und es ließ sich
theoretisch berechnen, daß es sich in seinem Leitvermögen von dem ab-
solut reinen Wasser nur noch um etwa 10 Prozent unterschied.


Kohlrausch hat in einem besonderen Werk, welches er 1898 zusammen
mit Hrn. Holborn veröffentlichte, die experimentellen Methoden zur Be-
stimmung des Leitvermögens von Elektrolyten, das gesamte auf die moderne
Widerstandseinheit umgerechnete Beobachtungsmaterial und die theoreti-
schen Folgerungen, welche sich aus den Versuchsergebnissen ziehen lassen,
in übersichtlicher Weise zusammengestellt. Die imponierende Größe des

Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. I. 2


Gedächtnisrede auf Friedrich Kohlrausch.


der letztgenannte bei gleichem Aufwand von Sorgfalt die geringsten Fehler-
quellen enthält«. Es wurden 35 Salzlösungen bei drei verschiedenen Tem-
peraturen untersucht. 1876 kam eine große Zahl von Säuren hinzu, 1879
weitere 158 Lösungen von 40 verschiedenen Körpern. Auch wurden in dem-
selben Jahre drei wichtige experimentelle Verbesserungen eingeführt: die
Vergrößerung der Elektrodenflächen durch Überziehen mit Platinschwarz,
die Verwendung des Induktoriums mit Neefschem Hammer an Stelle des
Sinusinduktors und der Ersatz des Elektrodynamometers durch das Bell-
sche Telephon. Das nunmehr vorliegende gewaltige Beobachtungsmaterial
gestattete schon eine ziemlich gute Übersicht und ließ ein Gesetz von
fundamentaler Wichtigkeit erkennen, welches aussagt, daß innerhalb einer
stark verdünnten Lösung einer jeden Ionengattung ein ganz bestimmter
Widerstand zukommt, dessen Größe von der Zusammensetzung des Mole-
küls unabhängig ist, aus welchem sich das Ion durch Dissoziation gebildet
hat. Ist der Widerstand einer jeden Ionenart ein für allemal bestimmt,
so läßt sich daraus das Leitvermögen verdünnter Lösungen berechnen.
Dieses Gesetz von der unabhängigen Wanderung der Ionen bildet heute die
Grundlage unserer Anschauung auf dem Gebiet der elektrolytischen Leitung
und ist deshalb auch für die physikalische Chemie von großer Bedeutung.


Unter Kohlrauschs elektrolytischen Arbeiten beansprucht die in Ge-
meinschaft mit Hrn. Heydweiller angestellte Untersuchung der Leitfähigkeit
des reinen Wassers besonderes Interesse. Durch Eindestillieren des Wassers
in Glasgefäße unter Luftabschluß, welche durch lange Berührung mit Wasser
fast alle löslichen Bestandteile der Wände abgegeben hatten, war es den
Verfassern möglich, ein Wasser von nie dagewesener Reinheit, entsprechend
geringem Leitvermögen und hohem Temperaturkoeffizienten zu erzielen.
Es ergab sich, daß dieses Wasser etwa 200mal schlechter leitete, als das
unter gewöhnlichen Bedingungen an der Luft destillierte, und es ließ sich
theoretisch berechnen, daß es sich in seinem Leitvermögen von dem ab-
solut reinen Wasser nur noch um etwa 10 Prozent unterschied.


Kohlrausch hat in einem besonderen Werk, welches er 1898 zusammen
mit Hrn. Holborn veröffentlichte, die experimentellen Methoden zur Be-
stimmung des Leitvermögens von Elektrolyten, das gesamte auf die moderne
Widerstandseinheit umgerechnete Beobachtungsmaterial und die theoreti-
schen Folgerungen, welche sich aus den Versuchsergebnissen ziehen lassen,
in übersichtlicher Weise zusammengestellt. Die imponierende Größe des

Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. I. 2
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[11/0011] Gedächtnisrede auf Friedrich Kohlrausch. 9 der letztgenannte bei gleichem Aufwand von Sorgfalt die geringsten Fehler- quellen enthält«. Es wurden 35 Salzlösungen bei drei verschiedenen Tem- peraturen untersucht. 1876 kam eine große Zahl von Säuren hinzu, 1879 weitere 158 Lösungen von 40 verschiedenen Körpern. Auch wurden in dem- selben Jahre drei wichtige experimentelle Verbesserungen eingeführt: die Vergrößerung der Elektrodenflächen durch Überziehen mit Platinschwarz, die Verwendung des Induktoriums mit Neefschem Hammer an Stelle des Sinusinduktors und der Ersatz des Elektrodynamometers durch das Bell- sche Telephon. Das nunmehr vorliegende gewaltige Beobachtungsmaterial gestattete schon eine ziemlich gute Übersicht und ließ ein Gesetz von fundamentaler Wichtigkeit erkennen, welches aussagt, daß innerhalb einer stark verdünnten Lösung einer jeden Ionengattung ein ganz bestimmter Widerstand zukommt, dessen Größe von der Zusammensetzung des Mole- küls unabhängig ist, aus welchem sich das Ion durch Dissoziation gebildet hat. Ist der Widerstand einer jeden Ionenart ein für allemal bestimmt, so läßt sich daraus das Leitvermögen verdünnter Lösungen berechnen. Dieses Gesetz von der unabhängigen Wanderung der Ionen bildet heute die Grundlage unserer Anschauung auf dem Gebiet der elektrolytischen Leitung und ist deshalb auch für die physikalische Chemie von großer Bedeutung. Unter Kohlrauschs elektrolytischen Arbeiten beansprucht die in Ge- meinschaft mit Hrn. Heydweiller angestellte Untersuchung der Leitfähigkeit des reinen Wassers besonderes Interesse. Durch Eindestillieren des Wassers in Glasgefäße unter Luftabschluß, welche durch lange Berührung mit Wasser fast alle löslichen Bestandteile der Wände abgegeben hatten, war es den Verfassern möglich, ein Wasser von nie dagewesener Reinheit, entsprechend geringem Leitvermögen und hohem Temperaturkoeffizienten zu erzielen. Es ergab sich, daß dieses Wasser etwa 200mal schlechter leitete, als das unter gewöhnlichen Bedingungen an der Luft destillierte, und es ließ sich theoretisch berechnen, daß es sich in seinem Leitvermögen von dem ab- solut reinen Wasser nur noch um etwa 10 Prozent unterschied. Kohlrausch hat in einem besonderen Werk, welches er 1898 zusammen mit Hrn. Holborn veröffentlichte, die experimentellen Methoden zur Be- stimmung des Leitvermögens von Elektrolyten, das gesamte auf die moderne Widerstandseinheit umgerechnete Beobachtungsmaterial und die theoreti- schen Folgerungen, welche sich aus den Versuchsergebnissen ziehen lassen, in übersichtlicher Weise zusammengestellt. Die imponierende Größe des Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. I. 2

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Zitationshilfe: Rubens, Heinrich: Gedächtnisrede auf Friedrich Kohlrausch. Berlin, 1910, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rubens_kohlrausch_1910/11>, abgerufen am 23.04.2024.