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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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A. Leistungen derselben.
Gleichzeitig wurde dasselbe, aber ohne Angabe directer Be-
stimmungen, von Haeckel in der oben citirten Stelle ausge-
sprochen.

Ferner weisen die Untersuchungen von Tiegel1) eine Er-
höhung der specifischen Leistungsfähigkeit innerhalb einer ein-
zigen kurzen physiologischen Reizperiode des Muskels nach,
indem sie ergaben, dass bei gleichen Reizen eine Zeit lang die
Hubhöhen, also die Verkürzungen, grösser werden, ehe sie
durch Erschöpfung sich verkleinern.

Für die nervösen Centralorgane scheint die alltägliche Er-
fahrung das Gleiche zu bestätigen; es weiss Jeder, wie durch
jahrelange Uebung mühselig erlernte Bewegungen, etwa beim
Spielen musikalischer Instrumente etc., später leicht ausführbar
werden, sodass sie schliesslich fast ohne bewusste Innervation
als feste Mechanismen von selber sich abspielen, wenn nur der
Anfang dazu befohlen worden ist. Man wird hier nicht wohl
annehmen können, dass die die Ganglienzellen des Rückenmar-
kes verbindenden Fasern so viel hundertmal dicker geworden
wären, um allein durch Vergrösserung des Querschnittes die
Widerstandsabnahme in den Bahnen hervorzubringen, sondern
es ist wahrscheinlicher, dass die Verbindungsbahnen neben
gleichzeitiger Vergrösserung ihres Querschnittes auch qualitativ
besser leitend geworden sind, und dass die Ganglienzellen rela-
tiv mehr Impuls auf eine Anregung produciren.

In gleicher Weise werden auch die Organe unserer Seelen-
thätigkeit leistungsfähiger durch öfteren und intensiveren Ge-
brauch, durch Uebung, wie wir sagen. Alles, was wir körper-
lich und geistig lernen, ist Product der functionellen Anpassung;
ohne dieselbe würden wir in keiner Beziehung etwas lernen
können. Und Jeder weiss, wie viel rascher und leichter all-

1) Tiegel in: Hermann, Handb. d. Physiologie. Bd. 1. p. 135.

A. Leistungen derselben.
Gleichzeitig wurde dasselbe, aber ohne Angabe directer Be-
stimmungen, von Haeckel in der oben citirten Stelle ausge-
sprochen.

Ferner weisen die Untersuchungen von Tiegel1) eine Er-
höhung der specifischen Leistungsfähigkeit innerhalb einer ein-
zigen kurzen physiologischen Reizperiode des Muskels nach,
indem sie ergaben, dass bei gleichen Reizen eine Zeit lang die
Hubhöhen, also die Verkürzungen, grösser werden, ehe sie
durch Erschöpfung sich verkleinern.

Für die nervösen Centralorgane scheint die alltägliche Er-
fahrung das Gleiche zu bestätigen; es weiss Jeder, wie durch
jahrelange Uebung mühselig erlernte Bewegungen, etwa beim
Spielen musikalischer Instrumente etc., später leicht ausführbar
werden, sodass sie schliesslich fast ohne bewusste Innervation
als feste Mechanismen von selber sich abspielen, wenn nur der
Anfang dazu befohlen worden ist. Man wird hier nicht wohl
annehmen können, dass die die Ganglienzellen des Rückenmar-
kes verbindenden Fasern so viel hundertmal dicker geworden
wären, um allein durch Vergrösserung des Querschnittes die
Widerstandsabnahme in den Bahnen hervorzubringen, sondern
es ist wahrscheinlicher, dass die Verbindungsbahnen neben
gleichzeitiger Vergrösserung ihres Querschnittes auch qualitativ
besser leitend geworden sind, und dass die Ganglienzellen rela-
tiv mehr Impuls auf eine Anregung produciren.

In gleicher Weise werden auch die Organe unserer Seelen-
thätigkeit leistungsfähiger durch öfteren und intensiveren Ge-
brauch, durch Uebung, wie wir sagen. Alles, was wir körper-
lich und geistig lernen, ist Product der functionellen Anpassung;
ohne dieselbe würden wir in keiner Beziehung etwas lernen
können. Und Jeder weiss, wie viel rascher und leichter all-

1) Tiegel in: Hermann, Handb. d. Physiologie. Bd. 1. p. 135.
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[23/0037] A. Leistungen derselben. Gleichzeitig wurde dasselbe, aber ohne Angabe directer Be- stimmungen, von Haeckel in der oben citirten Stelle ausge- sprochen. Ferner weisen die Untersuchungen von Tiegel 1) eine Er- höhung der specifischen Leistungsfähigkeit innerhalb einer ein- zigen kurzen physiologischen Reizperiode des Muskels nach, indem sie ergaben, dass bei gleichen Reizen eine Zeit lang die Hubhöhen, also die Verkürzungen, grösser werden, ehe sie durch Erschöpfung sich verkleinern. Für die nervösen Centralorgane scheint die alltägliche Er- fahrung das Gleiche zu bestätigen; es weiss Jeder, wie durch jahrelange Uebung mühselig erlernte Bewegungen, etwa beim Spielen musikalischer Instrumente etc., später leicht ausführbar werden, sodass sie schliesslich fast ohne bewusste Innervation als feste Mechanismen von selber sich abspielen, wenn nur der Anfang dazu befohlen worden ist. Man wird hier nicht wohl annehmen können, dass die die Ganglienzellen des Rückenmar- kes verbindenden Fasern so viel hundertmal dicker geworden wären, um allein durch Vergrösserung des Querschnittes die Widerstandsabnahme in den Bahnen hervorzubringen, sondern es ist wahrscheinlicher, dass die Verbindungsbahnen neben gleichzeitiger Vergrösserung ihres Querschnittes auch qualitativ besser leitend geworden sind, und dass die Ganglienzellen rela- tiv mehr Impuls auf eine Anregung produciren. In gleicher Weise werden auch die Organe unserer Seelen- thätigkeit leistungsfähiger durch öfteren und intensiveren Ge- brauch, durch Uebung, wie wir sagen. Alles, was wir körper- lich und geistig lernen, ist Product der functionellen Anpassung; ohne dieselbe würden wir in keiner Beziehung etwas lernen können. Und Jeder weiss, wie viel rascher und leichter all- 1) Tiegel in: Hermann, Handb. d. Physiologie. Bd. 1. p. 135.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/37>, abgerufen am 28.03.2024.