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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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der Südsee waren schön, so lange sie der Liebe, dem Tanz,
dem Kampf und dem Genuß des Seebades lebten. Die
Neger von Dahomey und Benin sind schön, weil sie mit
sinnlichem Wohlsein kriegerischen Muth und mercantilische
Unternehmungslust verbinden. Sie nehmen daher auch
schon an der Schönheit ein Interesse. Der König hat eine
Leibwache von mehren tausend Amazonen wahrhaft schöner
und tapferer Mädchen, von denen A. Bou e uns Zeichnungen
gegeben hat. Wer ein Geschenk vom Könige empfängt,
drückt seinen Dank durch einen Tanz, also durch einen
ästhetischen Act, öffentlich vor allem Volke aus.

Auch der in moralischem Betracht nach gewissen Seiten
hin schlechte oder gar böse Mensch kann doch Schönheit zeigen,
sofern er neben seinen Untugenden und Lastern auch Tugenden,
selbst Gemüth besitzen kann. Namentlich wird er oft formale
Freiheit, Klugheit, Vorsicht, Besonnenheit, Selbstbeherrschung,
Ausdauer haben, wodurch Verbrecher sogar mit einem ge¬
wissen ritterlichen Schwung und Adel hervorstechen. Es
kommen auf diesem Gebiet seltsame Wunderlichkeiten vor.
Eine Ninon de l'Enclos war gewiß schön und nicht weniger
galant, als schön; allein sie war es mit Freiheit von niedrigen
Nebenrücksichten; sie war es mit Gefühl und Grazie und
blieb daher schön. Sie verschenkte ihre Gunst mit Freiheit
nach Neigung, aber sie verkaufte sie nicht.

Weil der Leib im Verhältniß zum Geist einen nur
symbolischen Werth ansprechen darf, so erklärt sich, wie es
möglich wird, daß ein Mensch körperlich sogar häßlich sein
kann, schief gewachsen, von unregelmäßigen Gesichtszügen,
blatternarbig und daß er doch dies Alles nicht nur kann
vergessen lassen, sondern noch mehr, daß er diese unglücklichen
Formen von Innen heraus mit einem Ausdruck zu beleben

der Südſee waren ſchön, ſo lange ſie der Liebe, dem Tanz,
dem Kampf und dem Genuß des Seebades lebten. Die
Neger von Dahomey und Benin ſind ſchön, weil ſie mit
ſinnlichem Wohlſein kriegeriſchen Muth und mercantiliſche
Unternehmungsluſt verbinden. Sie nehmen daher auch
ſchon an der Schönheit ein Intereſſe. Der König hat eine
Leibwache von mehren tauſend Amazonen wahrhaft ſchöner
und tapferer Mädchen, von denen A. Bou é uns Zeichnungen
gegeben hat. Wer ein Geſchenk vom Könige empfängt,
drückt ſeinen Dank durch einen Tanz, alſo durch einen
äſthetiſchen Act, öffentlich vor allem Volke aus.

Auch der in moraliſchem Betracht nach gewiſſen Seiten
hin ſchlechte oder gar böſe Menſch kann doch Schönheit zeigen,
ſofern er neben ſeinen Untugenden und Laſtern auch Tugenden,
ſelbſt Gemüth beſitzen kann. Namentlich wird er oft formale
Freiheit, Klugheit, Vorſicht, Beſonnenheit, Selbſtbeherrſchung,
Ausdauer haben, wodurch Verbrecher ſogar mit einem ge¬
wiſſen ritterlichen Schwung und Adel hervorſtechen. Es
kommen auf dieſem Gebiet ſeltſame Wunderlichkeiten vor.
Eine Ninon de l'Enclos war gewiß ſchön und nicht weniger
galant, als ſchön; allein ſie war es mit Freiheit von niedrigen
Nebenrückſichten; ſie war es mit Gefühl und Grazie und
blieb daher ſchön. Sie verſchenkte ihre Gunſt mit Freiheit
nach Neigung, aber ſie verkaufte ſie nicht.

Weil der Leib im Verhältniß zum Geiſt einen nur
ſymboliſchen Werth anſprechen darf, ſo erklärt ſich, wie es
möglich wird, daß ein Menſch körperlich ſogar häßlich ſein
kann, ſchief gewachſen, von unregelmäßigen Geſichtszügen,
blatternarbig und daß er doch dies Alles nicht nur kann
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Formen von Innen heraus mit einem Ausdruck zu beleben

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[28/0050] der Südſee waren ſchön, ſo lange ſie der Liebe, dem Tanz, dem Kampf und dem Genuß des Seebades lebten. Die Neger von Dahomey und Benin ſind ſchön, weil ſie mit ſinnlichem Wohlſein kriegeriſchen Muth und mercantiliſche Unternehmungsluſt verbinden. Sie nehmen daher auch ſchon an der Schönheit ein Intereſſe. Der König hat eine Leibwache von mehren tauſend Amazonen wahrhaft ſchöner und tapferer Mädchen, von denen A. Bou é uns Zeichnungen gegeben hat. Wer ein Geſchenk vom Könige empfängt, drückt ſeinen Dank durch einen Tanz, alſo durch einen äſthetiſchen Act, öffentlich vor allem Volke aus. Auch der in moraliſchem Betracht nach gewiſſen Seiten hin ſchlechte oder gar böſe Menſch kann doch Schönheit zeigen, ſofern er neben ſeinen Untugenden und Laſtern auch Tugenden, ſelbſt Gemüth beſitzen kann. Namentlich wird er oft formale Freiheit, Klugheit, Vorſicht, Beſonnenheit, Selbſtbeherrſchung, Ausdauer haben, wodurch Verbrecher ſogar mit einem ge¬ wiſſen ritterlichen Schwung und Adel hervorſtechen. Es kommen auf dieſem Gebiet ſeltſame Wunderlichkeiten vor. Eine Ninon de l'Enclos war gewiß ſchön und nicht weniger galant, als ſchön; allein ſie war es mit Freiheit von niedrigen Nebenrückſichten; ſie war es mit Gefühl und Grazie und blieb daher ſchön. Sie verſchenkte ihre Gunſt mit Freiheit nach Neigung, aber ſie verkaufte ſie nicht. Weil der Leib im Verhältniß zum Geiſt einen nur ſymboliſchen Werth anſprechen darf, ſo erklärt ſich, wie es möglich wird, daß ein Menſch körperlich ſogar häßlich ſein kann, ſchief gewachſen, von unregelmäßigen Geſichtszügen, blatternarbig und daß er doch dies Alles nicht nur kann vergeſſen laſſen, ſondern noch mehr, daß er dieſe unglücklichen Formen von Innen heraus mit einem Ausdruck zu beleben

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/50>, abgerufen am 24.04.2024.