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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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nismus den verschiedenen Elementen, Zonen und Bodenformen
einzuverleiben und ihn durch die verschiedenen Erdperioden
hindurchzuleiten. Dieser Nothwendigkeit sich unterwerfend,
muß sie denselben Typus z. B. den des Hundes, in's Un¬
endliche variiren. Gewisse Quallen, Sepien, Raupen,
Spinnen, Rochen, Eidechsen, Frösche, Kröten, Nager,
Pachydermaten, Affen, sind positiv häßlich (11). Manche
dieser Thiere sind uns wichtig, mindestens interessant, wie
der Zitterroche. Andere imponiren uns in ihrer Häßlichkeit
durch ihre Größe und Stärke, wie das Nilpferd, das Nas¬
horn, das Kameel, der Elephant, die Giraffe. Zuweilen
nimmt die Thiergestalt eine komische Wendung, wie bei
einigen Reihern, Hornschnäblern, Pinguins, bei einigen
Mäusen und Affen. Viele Thiere sind schön. Wie schön
sind nicht manche Konchylien, Schmetterlinge, Käfer,
Schlangen, Tauben, Papagaien, Pferde! Wir sehen, daß
die häßlichen Formen sich vorzüglich auf den Uebergängen
der Thierreiche erzeugen, weil auf ihnen sich ein gewisser
Widerspruch, ein Schwanken zwischen verschiedenen Typen
auch in der Gestalt kund geben muß. Viele Amphibien z. B.
sind häßlich, weil sie Land- und Wasserthiere zugleich sind.
Sie sind noch Fische und sind es auch nicht mehr, eine
Amphibolie, die nun innerlich und äußerlich in ihrer Structur
und ihrem Verhalten zu Tage kommt. Die ungeheuerlichen
Gestalten der Vorwelt sind vorzüglich dadurch entstanden,
daß die gigantischen Organismen sich den extremen Verhält¬
nissen der Bodenform und Temperatur anpassen mußten.
Fisch- und Vogeleidechsen, mit Ruderflossen ausgestattete
Riesenreptilien, konnten allein in diesen grenzenlosen Sumpf¬
ländern und in dieser gluthdampfenden, versengenden Atmos¬
phäre ausdauern. Die Zweideutigkeit der damaligen terrestri¬

nismus den verſchiedenen Elementen, Zonen und Bodenformen
einzuverleiben und ihn durch die verſchiedenen Erdperioden
hindurchzuleiten. Dieſer Nothwendigkeit ſich unterwerfend,
muß ſie denſelben Typus z. B. den des Hundes, in's Un¬
endliche variiren. Gewiſſe Quallen, Sepien, Raupen,
Spinnen, Rochen, Eidechſen, Fröſche, Kröten, Nager,
Pachydermaten, Affen, ſind poſitiv häßlich (11). Manche
dieſer Thiere ſind uns wichtig, mindeſtens intereſſant, wie
der Zitterroche. Andere imponiren uns in ihrer Häßlichkeit
durch ihre Größe und Stärke, wie das Nilpferd, das Nas¬
horn, das Kameel, der Elephant, die Giraffe. Zuweilen
nimmt die Thiergeſtalt eine komiſche Wendung, wie bei
einigen Reihern, Hornſchnäblern, Pinguins, bei einigen
Mäuſen und Affen. Viele Thiere ſind ſchön. Wie ſchön
ſind nicht manche Konchylien, Schmetterlinge, Käfer,
Schlangen, Tauben, Papagaien, Pferde! Wir ſehen, daß
die häßlichen Formen ſich vorzüglich auf den Uebergängen
der Thierreiche erzeugen, weil auf ihnen ſich ein gewiſſer
Widerſpruch, ein Schwanken zwiſchen verſchiedenen Typen
auch in der Geſtalt kund geben muß. Viele Amphibien z. B.
ſind häßlich, weil ſie Land- und Waſſerthiere zugleich ſind.
Sie ſind noch Fiſche und ſind es auch nicht mehr, eine
Amphibolie, die nun innerlich und äußerlich in ihrer Structur
und ihrem Verhalten zu Tage kommt. Die ungeheuerlichen
Geſtalten der Vorwelt ſind vorzüglich dadurch entſtanden,
daß die gigantiſchen Organismen ſich den extremen Verhält¬
niſſen der Bodenform und Temperatur anpaſſen mußten.
Fiſch- und Vogeleidechſen, mit Ruderfloſſen ausgeſtattete
Rieſenreptilien, konnten allein in dieſen grenzenloſen Sumpf¬
ländern und in dieſer gluthdampfenden, verſengenden Atmos¬
phäre ausdauern. Die Zweideutigkeit der damaligen terreſtri¬

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[22/0044] nismus den verſchiedenen Elementen, Zonen und Bodenformen einzuverleiben und ihn durch die verſchiedenen Erdperioden hindurchzuleiten. Dieſer Nothwendigkeit ſich unterwerfend, muß ſie denſelben Typus z. B. den des Hundes, in's Un¬ endliche variiren. Gewiſſe Quallen, Sepien, Raupen, Spinnen, Rochen, Eidechſen, Fröſche, Kröten, Nager, Pachydermaten, Affen, ſind poſitiv häßlich (11). Manche dieſer Thiere ſind uns wichtig, mindeſtens intereſſant, wie der Zitterroche. Andere imponiren uns in ihrer Häßlichkeit durch ihre Größe und Stärke, wie das Nilpferd, das Nas¬ horn, das Kameel, der Elephant, die Giraffe. Zuweilen nimmt die Thiergeſtalt eine komiſche Wendung, wie bei einigen Reihern, Hornſchnäblern, Pinguins, bei einigen Mäuſen und Affen. Viele Thiere ſind ſchön. Wie ſchön ſind nicht manche Konchylien, Schmetterlinge, Käfer, Schlangen, Tauben, Papagaien, Pferde! Wir ſehen, daß die häßlichen Formen ſich vorzüglich auf den Uebergängen der Thierreiche erzeugen, weil auf ihnen ſich ein gewiſſer Widerſpruch, ein Schwanken zwiſchen verſchiedenen Typen auch in der Geſtalt kund geben muß. Viele Amphibien z. B. ſind häßlich, weil ſie Land- und Waſſerthiere zugleich ſind. Sie ſind noch Fiſche und ſind es auch nicht mehr, eine Amphibolie, die nun innerlich und äußerlich in ihrer Structur und ihrem Verhalten zu Tage kommt. Die ungeheuerlichen Geſtalten der Vorwelt ſind vorzüglich dadurch entſtanden, daß die gigantiſchen Organismen ſich den extremen Verhält¬ niſſen der Bodenform und Temperatur anpaſſen mußten. Fiſch- und Vogeleidechſen, mit Ruderfloſſen ausgeſtattete Rieſenreptilien, konnten allein in dieſen grenzenloſen Sumpf¬ ländern und in dieſer gluthdampfenden, verſengenden Atmos¬ phäre ausdauern. Die Zweideutigkeit der damaligen terreſtri¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/44>, abgerufen am 19.04.2024.