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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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fremdes, satanisches Princip, sondern es ist eben die Pflanze
selber, die als lebendige krank und als Folge der Erkrankung
in Geschwulsten, Vertrocknungen, Verzwergungen und Ver¬
wachsungen ihre normale Form, so wie in Abbleichungen und
Umfärbungen ihr normales Colorit einbüßen kann. Fremd
an sich ist der Pflanze die Gewalt, die ihr vom Sturm,
vom Wasser, von der Gluth, von Thieren und Men¬
schen angethan werden kann. Diese Gewalt kann die
Pflanze verhäßlichen, aber auch verschönen. Es kommt auf
die nähere Art der Einwirkung an. Der Sturm kann einer
Eiche das Laub abstreifen, die Aeste zersplittern und so den
stolzen Baum verkrüppeln. Er kann aber auch, wenn er
mit rhythmischen Stößen in den laubreichen Aesten wühlt,
durch die Bewegung des Baums das Markige und Energi¬
sche in seiner Schönheit erst recht zur Erscheinung bringen.
Normale Veränderungen in der Metamorphose der Pflanze
sind frei von Häßlichkeit, denn als nothwendig sind sie
nichts Krankhaftes. Der Uebergang der Knospe zur Blüthe,
der Blüthe zur Frucht ist von einem stillen, unsäglichen
Reiz begleitet. Wenn zur Herbstzeit das Chlorophyll aus
den Blättern entweicht und diese sich nun in tausend gelb¬
lichen, braunen und rothen Tinten färben, so werden dadurch
unendlich malerische Effecte hervorgebracht. Und wie schön
ist nicht die Anschauung der goldenen Saaten, wenn die
nährenden Gräser reifen und gelben d. h. abwelken!

Noch größer, als bei der Pflanze, wird die Möglichkeit
des Häßlichen innerhalb der Thierwelt, weil hier der Reich¬
thum der Formen in's Unendliche hin wächst und das Leben
energischer und selbstischer wird. Um das Häßliche der Thier¬
form richtig zu verstehen, muß man erwägen, daß die Natur
zunächst nur darauf ausgeht, das Leben und die Gattung

fremdes, ſataniſches Princip, ſondern es iſt eben die Pflanze
ſelber, die als lebendige krank und als Folge der Erkrankung
in Geſchwulſten, Vertrocknungen, Verzwergungen und Ver¬
wachſungen ihre normale Form, ſo wie in Abbleichungen und
Umfärbungen ihr normales Colorit einbüßen kann. Fremd
an ſich iſt der Pflanze die Gewalt, die ihr vom Sturm,
vom Waſſer, von der Gluth, von Thieren und Men¬
ſchen angethan werden kann. Dieſe Gewalt kann die
Pflanze verhäßlichen, aber auch verſchönen. Es kommt auf
die nähere Art der Einwirkung an. Der Sturm kann einer
Eiche das Laub abſtreifen, die Aeſte zerſplittern und ſo den
ſtolzen Baum verkrüppeln. Er kann aber auch, wenn er
mit rhythmiſchen Stößen in den laubreichen Aeſten wühlt,
durch die Bewegung des Baums das Markige und Energi¬
ſche in ſeiner Schönheit erſt recht zur Erſcheinung bringen.
Normale Veränderungen in der Metamorphoſe der Pflanze
ſind frei von Häßlichkeit, denn als nothwendig ſind ſie
nichts Krankhaftes. Der Uebergang der Knospe zur Blüthe,
der Blüthe zur Frucht iſt von einem ſtillen, unſäglichen
Reiz begleitet. Wenn zur Herbſtzeit das Chlorophyll aus
den Blättern entweicht und dieſe ſich nun in tauſend gelb¬
lichen, braunen und rothen Tinten färben, ſo werden dadurch
unendlich maleriſche Effecte hervorgebracht. Und wie ſchön
iſt nicht die Anſchauung der goldenen Saaten, wenn die
nährenden Gräſer reifen und gelben d. h. abwelken!

Noch größer, als bei der Pflanze, wird die Möglichkeit
des Häßlichen innerhalb der Thierwelt, weil hier der Reich¬
thum der Formen in's Unendliche hin wächſt und das Leben
energiſcher und ſelbſtiſcher wird. Um das Häßliche der Thier¬
form richtig zu verſtehen, muß man erwägen, daß die Natur
zunächſt nur darauf ausgeht, das Leben und die Gattung

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[20/0042] fremdes, ſataniſches Princip, ſondern es iſt eben die Pflanze ſelber, die als lebendige krank und als Folge der Erkrankung in Geſchwulſten, Vertrocknungen, Verzwergungen und Ver¬ wachſungen ihre normale Form, ſo wie in Abbleichungen und Umfärbungen ihr normales Colorit einbüßen kann. Fremd an ſich iſt der Pflanze die Gewalt, die ihr vom Sturm, vom Waſſer, von der Gluth, von Thieren und Men¬ ſchen angethan werden kann. Dieſe Gewalt kann die Pflanze verhäßlichen, aber auch verſchönen. Es kommt auf die nähere Art der Einwirkung an. Der Sturm kann einer Eiche das Laub abſtreifen, die Aeſte zerſplittern und ſo den ſtolzen Baum verkrüppeln. Er kann aber auch, wenn er mit rhythmiſchen Stößen in den laubreichen Aeſten wühlt, durch die Bewegung des Baums das Markige und Energi¬ ſche in ſeiner Schönheit erſt recht zur Erſcheinung bringen. Normale Veränderungen in der Metamorphoſe der Pflanze ſind frei von Häßlichkeit, denn als nothwendig ſind ſie nichts Krankhaftes. Der Uebergang der Knospe zur Blüthe, der Blüthe zur Frucht iſt von einem ſtillen, unſäglichen Reiz begleitet. Wenn zur Herbſtzeit das Chlorophyll aus den Blättern entweicht und dieſe ſich nun in tauſend gelb¬ lichen, braunen und rothen Tinten färben, ſo werden dadurch unendlich maleriſche Effecte hervorgebracht. Und wie ſchön iſt nicht die Anſchauung der goldenen Saaten, wenn die nährenden Gräſer reifen und gelben d. h. abwelken! Noch größer, als bei der Pflanze, wird die Möglichkeit des Häßlichen innerhalb der Thierwelt, weil hier der Reich¬ thum der Formen in's Unendliche hin wächſt und das Leben energiſcher und ſelbſtiſcher wird. Um das Häßliche der Thier¬ form richtig zu verſtehen, muß man erwägen, daß die Natur zunächſt nur darauf ausgeht, das Leben und die Gattung

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/42>, abgerufen am 28.03.2024.