Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

traumstill, nur die Eine ferne Liederweise weht durch die Luft. Immer leiser und ferner klingt sie, das Wasser hört auf zu fließen, die Blumen bewegen sich nicht mehr, des Falters müde Schwinge sucht eine Blüte, die Mücke zur Ruhe einen Grashalm. Der letzte Ton ist verklungen, und mein Auge sinkt zum Schlummer nieder. Wie ich erwache, schimmert das Mondlicht durch die Zweige. Um mich her plätschert und lacht es im Wasser, ich sehe nackte Kindergestalten in reizenden Bewegungen durch die Wellen spielen. Sind es Elfen, Nixen, Kobolde? Sie haschen nach silbernen Schlangen, werfen sich dieselben zu, daß sie sich um die weißen Arme und Nacken schlingen. Da tönt von Neuem die alte Melodie, aber tiefer, trauriger, ferner. Im Kahne schwebt eine blasse Mädchengestalt heran, die Elfenschaar jauchzt ihr entgegen, und all die silbernen Schlangen schießen in leichtem Sprunge in ihren Kahn. Sie hat die Arme ausgestreckt, aber auf mir liegt ein Bann, ich kann mich nicht regen, und mein Haupt sinkt schwer auf Arme und Knie nieder. Einen Seufzer höre ich noch, ein schluchzendes Weinen, und wie ich mich erhebe, verlieren sich im Nebel die letzten Umrisse meines Zauberwaldes. -- --

Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann in Berlin. Sein Haus lag in dem lebhaftesten Theil des alten Berlin und hatte noch die eigenthümliche Einrichtung eines Geschäftshauses früherer Zeiten. Die gewölbten Räume des Erdgeschosses umschlossen große

traumstill, nur die Eine ferne Liederweise weht durch die Luft. Immer leiser und ferner klingt sie, das Wasser hört auf zu fließen, die Blumen bewegen sich nicht mehr, des Falters müde Schwinge sucht eine Blüte, die Mücke zur Ruhe einen Grashalm. Der letzte Ton ist verklungen, und mein Auge sinkt zum Schlummer nieder. Wie ich erwache, schimmert das Mondlicht durch die Zweige. Um mich her plätschert und lacht es im Wasser, ich sehe nackte Kindergestalten in reizenden Bewegungen durch die Wellen spielen. Sind es Elfen, Nixen, Kobolde? Sie haschen nach silbernen Schlangen, werfen sich dieselben zu, daß sie sich um die weißen Arme und Nacken schlingen. Da tönt von Neuem die alte Melodie, aber tiefer, trauriger, ferner. Im Kahne schwebt eine blasse Mädchengestalt heran, die Elfenschaar jauchzt ihr entgegen, und all die silbernen Schlangen schießen in leichtem Sprunge in ihren Kahn. Sie hat die Arme ausgestreckt, aber auf mir liegt ein Bann, ich kann mich nicht regen, und mein Haupt sinkt schwer auf Arme und Knie nieder. Einen Seufzer höre ich noch, ein schluchzendes Weinen, und wie ich mich erhebe, verlieren sich im Nebel die letzten Umrisse meines Zauberwaldes. — —

Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann in Berlin. Sein Haus lag in dem lebhaftesten Theil des alten Berlin und hatte noch die eigenthümliche Einrichtung eines Geschäftshauses früherer Zeiten. Die gewölbten Räume des Erdgeschosses umschlossen große

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0008"/>
traumstill, nur die Eine                ferne Liederweise weht durch die Luft. Immer leiser und ferner klingt sie, das Wasser                hört auf zu fließen, die Blumen bewegen sich nicht mehr, des Falters müde Schwinge                sucht eine Blüte, die Mücke zur Ruhe einen Grashalm. Der letzte Ton ist verklungen,                und mein Auge sinkt zum Schlummer nieder. Wie ich erwache, schimmert das Mondlicht                durch die Zweige. Um mich her plätschert und lacht es im Wasser, ich sehe nackte                Kindergestalten in reizenden Bewegungen durch die Wellen spielen. Sind es Elfen,                Nixen, Kobolde? Sie haschen nach silbernen Schlangen, werfen sich dieselben zu, daß                sie sich um die weißen Arme und Nacken schlingen. Da tönt von Neuem die alte Melodie,                aber tiefer, trauriger, ferner. Im Kahne schwebt eine blasse Mädchengestalt heran,                die Elfenschaar jauchzt ihr entgegen, und all die silbernen Schlangen schießen in                leichtem Sprunge in ihren Kahn. Sie hat die Arme ausgestreckt, aber auf mir liegt ein                Bann, ich kann mich nicht regen, und mein Haupt sinkt schwer auf Arme und Knie                nieder. Einen Seufzer höre ich noch, ein schluchzendes Weinen, und wie ich mich                erhebe, verlieren sich im Nebel die letzten Umrisse meines Zauberwaldes. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann in Berlin. Sein Haus lag in dem lebhaftesten                Theil des alten Berlin und hatte noch die eigenthümliche Einrichtung eines                Geschäftshauses früherer Zeiten. Die gewölbten Räume des Erdgeschosses umschlossen                große<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0008] traumstill, nur die Eine ferne Liederweise weht durch die Luft. Immer leiser und ferner klingt sie, das Wasser hört auf zu fließen, die Blumen bewegen sich nicht mehr, des Falters müde Schwinge sucht eine Blüte, die Mücke zur Ruhe einen Grashalm. Der letzte Ton ist verklungen, und mein Auge sinkt zum Schlummer nieder. Wie ich erwache, schimmert das Mondlicht durch die Zweige. Um mich her plätschert und lacht es im Wasser, ich sehe nackte Kindergestalten in reizenden Bewegungen durch die Wellen spielen. Sind es Elfen, Nixen, Kobolde? Sie haschen nach silbernen Schlangen, werfen sich dieselben zu, daß sie sich um die weißen Arme und Nacken schlingen. Da tönt von Neuem die alte Melodie, aber tiefer, trauriger, ferner. Im Kahne schwebt eine blasse Mädchengestalt heran, die Elfenschaar jauchzt ihr entgegen, und all die silbernen Schlangen schießen in leichtem Sprunge in ihren Kahn. Sie hat die Arme ausgestreckt, aber auf mir liegt ein Bann, ich kann mich nicht regen, und mein Haupt sinkt schwer auf Arme und Knie nieder. Einen Seufzer höre ich noch, ein schluchzendes Weinen, und wie ich mich erhebe, verlieren sich im Nebel die letzten Umrisse meines Zauberwaldes. — — Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann in Berlin. Sein Haus lag in dem lebhaftesten Theil des alten Berlin und hatte noch die eigenthümliche Einrichtung eines Geschäftshauses früherer Zeiten. Die gewölbten Räume des Erdgeschosses umschlossen große

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/8
Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/8>, abgerufen am 29.03.2024.