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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wir sind hier unter Zigeunern und Kosaken, flüsterte mir Victor zu. Ich gestehe dir, mir ist es hier fast eben so unheimlich, wie draußen in Sturm und Regen. -- Die beiden Gestalten, welche sich um uns her bewegten, waren allerdings fremdartig genug anzusehen. Die Alte, mager und hochgewachsen, zeigte in ihrem braunen Gesicht den unverkennbaren Typus des Zigeunervolks. Sie hatte ein rothes Tuch um den Kopf geschlungen, unter dem das graue Haar unordentlich hervorhing. Ueber dem ebenfalls rothen und zerlumpten wollenen Rock trug sie eine Jacke von unbestimmter Farbe. Sie nahm in ihren Worten und Geberden dem Manne gegenüber eine durchaus übergeordnete Stellung ein. Er war viel jünger, vielleicht kaum Dreißig alt, dabei von sehr kleiner Gestalt und an einem Fuße hinkend; das Haar schwarz und lang, die Züge stumpf, doch nicht ohne einen verschmitzten Ausdruck. Von der Oberlippe hing ihm ein langer Schnurrbart herab. Es war ein Kosakengesicht, wie ich deren in den Kriegsjahren, in welche meine Knabenzeit fiel, genug in Berlin gesehen hatte. Die Alte rief ihn bei dem Namen Sardok.

Dieses sonderbare Paar war in der That nicht geeignet, besonderes Vertrauen zu erwecken, eben so wenig als seine Umgebung ein behagliches Aussehen hatte. Von den Wänden des aus Bohlen gebauten Hauses war der Bewurf längst herabgefallen. Man sah die geschwärzten Balken, und an den Nägeln über-

Wir sind hier unter Zigeunern und Kosaken, flüsterte mir Victor zu. Ich gestehe dir, mir ist es hier fast eben so unheimlich, wie draußen in Sturm und Regen. — Die beiden Gestalten, welche sich um uns her bewegten, waren allerdings fremdartig genug anzusehen. Die Alte, mager und hochgewachsen, zeigte in ihrem braunen Gesicht den unverkennbaren Typus des Zigeunervolks. Sie hatte ein rothes Tuch um den Kopf geschlungen, unter dem das graue Haar unordentlich hervorhing. Ueber dem ebenfalls rothen und zerlumpten wollenen Rock trug sie eine Jacke von unbestimmter Farbe. Sie nahm in ihren Worten und Geberden dem Manne gegenüber eine durchaus übergeordnete Stellung ein. Er war viel jünger, vielleicht kaum Dreißig alt, dabei von sehr kleiner Gestalt und an einem Fuße hinkend; das Haar schwarz und lang, die Züge stumpf, doch nicht ohne einen verschmitzten Ausdruck. Von der Oberlippe hing ihm ein langer Schnurrbart herab. Es war ein Kosakengesicht, wie ich deren in den Kriegsjahren, in welche meine Knabenzeit fiel, genug in Berlin gesehen hatte. Die Alte rief ihn bei dem Namen Sardok.

Dieses sonderbare Paar war in der That nicht geeignet, besonderes Vertrauen zu erwecken, eben so wenig als seine Umgebung ein behagliches Aussehen hatte. Von den Wänden des aus Bohlen gebauten Hauses war der Bewurf längst herabgefallen. Man sah die geschwärzten Balken, und an den Nägeln über-

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[0027] Wir sind hier unter Zigeunern und Kosaken, flüsterte mir Victor zu. Ich gestehe dir, mir ist es hier fast eben so unheimlich, wie draußen in Sturm und Regen. — Die beiden Gestalten, welche sich um uns her bewegten, waren allerdings fremdartig genug anzusehen. Die Alte, mager und hochgewachsen, zeigte in ihrem braunen Gesicht den unverkennbaren Typus des Zigeunervolks. Sie hatte ein rothes Tuch um den Kopf geschlungen, unter dem das graue Haar unordentlich hervorhing. Ueber dem ebenfalls rothen und zerlumpten wollenen Rock trug sie eine Jacke von unbestimmter Farbe. Sie nahm in ihren Worten und Geberden dem Manne gegenüber eine durchaus übergeordnete Stellung ein. Er war viel jünger, vielleicht kaum Dreißig alt, dabei von sehr kleiner Gestalt und an einem Fuße hinkend; das Haar schwarz und lang, die Züge stumpf, doch nicht ohne einen verschmitzten Ausdruck. Von der Oberlippe hing ihm ein langer Schnurrbart herab. Es war ein Kosakengesicht, wie ich deren in den Kriegsjahren, in welche meine Knabenzeit fiel, genug in Berlin gesehen hatte. Die Alte rief ihn bei dem Namen Sardok. Dieses sonderbare Paar war in der That nicht geeignet, besonderes Vertrauen zu erwecken, eben so wenig als seine Umgebung ein behagliches Aussehen hatte. Von den Wänden des aus Bohlen gebauten Hauses war der Bewurf längst herabgefallen. Man sah die geschwärzten Balken, und an den Nägeln über-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/27>, abgerufen am 23.04.2024.