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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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keit. Aber die lebhaftere Natur meines Gefährten lehrte mich Wohl an die Wirklichkeit glauben. Er hatte von dem Ganzen nur die Schlangenkönigin ins Auge gefaßt und sah in ihr nicht mehr als eine irdische Schönheit. Ich bat und beschwor ihn, ruhig zu bleiben, ich mußte ihn fest halten, daß er nicht ins Wasser fiel, so bog er sich über, so war er ganz benommen und bezaubert.

Jetzt riß er mir die Stange aus der Hand, um der Erscheinung des reizenden Mädchens schneller zu folgen. Aber unser Kahn war in Röhricht und Schlamm so fest gefahren, daß es, trotz vereinter Anstrengungen, nicht möglich war, ihn von der Stelle zu bringen. Eine Viertelstunde verging, Victor's Ungeduld stieg aufs Höchste, und schon trat ein abgerissenes Wolkenstück vor den Mond, ein finsterer Vorposten des heraufziehenden Gewitters. Endlich mußten wir uns entschließen, ins Wasser zu steigen und unser Fahrzeug aus dem Grund heraus zu ziehen und zu heben. So wurden wir wieder flott, durchschnitten im Fluge den wieder glatten Wasserspiegel und folgten der Richtung, die die Schlangenkönigin mit ihrem Gefolge eingeschlagen hatte. Aber in fernster Ferne verhallte schon das Lachen und Rufen. Mehrere Kanalwindungen durchschnitten sich hier, und wir schwammen rathlos am Kreuzwege. Ein Windstoß fuhr durch die Bäume, machte die Wipfel aufrauschen, das Schilf schwirren und die Wellen ans User klatschen. Das Gewitter war da. --

keit. Aber die lebhaftere Natur meines Gefährten lehrte mich Wohl an die Wirklichkeit glauben. Er hatte von dem Ganzen nur die Schlangenkönigin ins Auge gefaßt und sah in ihr nicht mehr als eine irdische Schönheit. Ich bat und beschwor ihn, ruhig zu bleiben, ich mußte ihn fest halten, daß er nicht ins Wasser fiel, so bog er sich über, so war er ganz benommen und bezaubert.

Jetzt riß er mir die Stange aus der Hand, um der Erscheinung des reizenden Mädchens schneller zu folgen. Aber unser Kahn war in Röhricht und Schlamm so fest gefahren, daß es, trotz vereinter Anstrengungen, nicht möglich war, ihn von der Stelle zu bringen. Eine Viertelstunde verging, Victor's Ungeduld stieg aufs Höchste, und schon trat ein abgerissenes Wolkenstück vor den Mond, ein finsterer Vorposten des heraufziehenden Gewitters. Endlich mußten wir uns entschließen, ins Wasser zu steigen und unser Fahrzeug aus dem Grund heraus zu ziehen und zu heben. So wurden wir wieder flott, durchschnitten im Fluge den wieder glatten Wasserspiegel und folgten der Richtung, die die Schlangenkönigin mit ihrem Gefolge eingeschlagen hatte. Aber in fernster Ferne verhallte schon das Lachen und Rufen. Mehrere Kanalwindungen durchschnitten sich hier, und wir schwammen rathlos am Kreuzwege. Ein Windstoß fuhr durch die Bäume, machte die Wipfel aufrauschen, das Schilf schwirren und die Wellen ans User klatschen. Das Gewitter war da. —

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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/24>, abgerufen am 29.03.2024.