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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Man schickte mich in die Bäder, auf Reisen. Ich hielt es nicht aus, allein umher zu schweifen, und kehrte schon nach einem halben Jahr zu den kummervollen Räumen zurück, die mein Glück gesehen hatten. Man war liebevoll und nachsichtig gegen mich. Die Stiefmutter ging ganz in Sorge für mein Kind auf, das aufs Schönste gedieh, der Vater verlangte nichts von mir und sann nur darauf, mich zu trösten und zu zerstreuen. Er wußte mich dahin zu bringen, daß ich mich ein wenig mit Zeichnen und Malen beschäftigte, wie ich es sonst wohl getrieben hatte, er vermittelte mir Bekanntschaften mit Künstlern und wurde aus Liebe zu seinem Sohne ein Kunstmäcen. Besonders zog er jüngere Maler ins Haus, damit ich durch ihren Umgang dem Leben wieder gewonnen würde. Ich ließ mit mir anstellen, was man wollte, mein Herz war nicht bei der Kunst, noch bei den Menschen, und in das Innere meiner Brust fiel kein Funken des Trostes. Zu heiß hatte ich geliebt, zu tief war der Riß durch mein ganzes Wesen.

Franz hatte inzwischen eine Stelle als Lehrer erhalten, und zwar in seinem heimatlichen Spreewalde, in dem Dorfe Leipe. Die treue Kascha war ihrem Sohne gefolgt und führte ihm das Hauswesen. Da schrieb er mir, wie er oft gethan hatte, und bat mich zu ihm zu kommen, um bei ihm meinen Kummer zu zerstreuen. Das letztere hoffte ich zwar nicht, doch ging ich auf seinen Vorschlag ein, denn ich war ruhe-

Man schickte mich in die Bäder, auf Reisen. Ich hielt es nicht aus, allein umher zu schweifen, und kehrte schon nach einem halben Jahr zu den kummervollen Räumen zurück, die mein Glück gesehen hatten. Man war liebevoll und nachsichtig gegen mich. Die Stiefmutter ging ganz in Sorge für mein Kind auf, das aufs Schönste gedieh, der Vater verlangte nichts von mir und sann nur darauf, mich zu trösten und zu zerstreuen. Er wußte mich dahin zu bringen, daß ich mich ein wenig mit Zeichnen und Malen beschäftigte, wie ich es sonst wohl getrieben hatte, er vermittelte mir Bekanntschaften mit Künstlern und wurde aus Liebe zu seinem Sohne ein Kunstmäcen. Besonders zog er jüngere Maler ins Haus, damit ich durch ihren Umgang dem Leben wieder gewonnen würde. Ich ließ mit mir anstellen, was man wollte, mein Herz war nicht bei der Kunst, noch bei den Menschen, und in das Innere meiner Brust fiel kein Funken des Trostes. Zu heiß hatte ich geliebt, zu tief war der Riß durch mein ganzes Wesen.

Franz hatte inzwischen eine Stelle als Lehrer erhalten, und zwar in seinem heimatlichen Spreewalde, in dem Dorfe Leipe. Die treue Kascha war ihrem Sohne gefolgt und führte ihm das Hauswesen. Da schrieb er mir, wie er oft gethan hatte, und bat mich zu ihm zu kommen, um bei ihm meinen Kummer zu zerstreuen. Das letztere hoffte ich zwar nicht, doch ging ich auf seinen Vorschlag ein, denn ich war ruhe-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/13>, abgerufen am 19.04.2024.